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Endlich mal erklärt
Wer drückt was aus im Ausdruckstanz?

Spitzenschuhe und Tutus hielten sie für überholt. Mary Wigman und die anderen zentralen Figuren des Ausdruckstanzes wandten sich Anfang des 20. Jahrhunderts explizit gegen das klassische Ballett. Der ganze Körper war ihr Ausdrucksmittel. Aber wofür?

Von Elisabeth Nehring |
Schüler und Schülerinnen der Protagonistin des Ausdruckstanzes, Mary Wigman, beim "Instrumententanz".
Schülerinnen und Schüler von Mary Wigman, einer Pionierin des Ausdruckstanzes (picture alliance/dpa/Bildarchiv/DB)
Gegen gesellschaftliche Konventionen, gegen die aufkommende Industrialisierung und Mechanisierung der Lebens- und Arbeitswelt, gegen die enge Rolle der Frauen in der Gesellschaft: Die Lebensreformbewegungen am Ende ausgehenden 19. Jahrhunderts waren von verschiedenen Überzeugungen geprägt. Der Körper als Mittel zur "Befreiung" stand dabei häufig im Mittelpunkt.
Auch die Anfänge des Ausdruckstanzes liegen in dieser Zeit. Rudolf von Laban und Mary Wigman sind die berühmtesten Protagonisten des Ausdruckstanzes deutscher Prägung. Doch spätestens in den 20er-Jahren gab es in vielen verschiedenen Städten Tänzerinnen, die ihre Kunst frei praktizierten. Sie alle haben eigene, mitunter höchst individuelle Konzepte mit dem Tanz verfolgt.
Gedanke der Befreiung zentral
Zwar gab es etwa in Wien, Berlin, Hamburg und Dresden Institute, an denen er als "Freier Tanz" praktiziert und gelehrt wurde – jedoch nicht im Sinne eines starren, akademischen Systems, sondern befeuert von der Grundidee der individuellen Persönlichkeit, die den Tanz mit Leben füllt. Auch wenn die Philosophie des Ausdruckstanzes nur schwer auf einen Nenner zu bringen ist - zentral ist der Gedanke der Befreiung. Weil man sich von Konventionen befreien wollte, tanzte man in losen Kleidern. Weil man sich vom klassischen Ballett befreien wollte, tanzte man barfuß.
Der ungarische Tänzer und Choreograf Rudolf von Laban unterrichtete in seiner Sommerschule auf dem Monte Verità den "freien Tanz eines schönen Lebens" mit Übungen zur Sensibilisierung des Körpergefühls und Anregungen zur freien Tanzimprovisation. Die überwiegend weiblichen Tänzerinnen sollten aus ihrer Individualität eigene Bewegungsrhythmiken und -dynamiken entwickeln. Darüber hinaus sollte der Tanz mit "gesunder Arbeit" in der Natur verbunden werden. Labans Devise "Freie Körper, freie Bewegung, Licht, Luft, Leben, Sonne!" diente dazu, die Tanzenden zu einer neuen Gemeinschaft zusammenzuführen, die nichts mehr mit der Vereinzelung des städtischen Lebens zu tun haben sollte.
Schroffe Bewegungen wie in Trance
Mary Wigman ließ sich als junge Tänzerin stark von Labans Sommerschule inspirieren und entwickelte gleichzeitig eine ganz eigene Bühnenästhetik. Videoaufzeichnungen ihres berühmten, 1914 in München uraufgeführten Solos "Hexentanz" zeigen sie sitzend, in Kaftan und mit einer Maske auf dem Gesicht: Die Tänzerin bewegt sich zu rhythmischen Klängen mit schroffen Bewegungen, wie in Trance – impulsiv, bizarr, expressiv.
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Größer könnte der Gegensatz zum Bild der Frau im klassischen Tanz nicht sein. Auch Wigman ging von ihrem inneren Erleben, ihrem Körpergefühl aus, hat ihren Tanz aber zunehmend entpersonalisiert. Sie tanze als "Priesterin", erklärte Wigman und lud auf diese Weise den Ausdruckstanz spirituell auf. In den 30er-Jahren stellte sie ihre Kunst zunehmend in den Dienst der nationalsozialistischen Ideologie und meinte, mit dem Tanz das "deutsche Wesen" zu verkörpern.
Andere Ausdruckstänzerinnen hingegen mussten Deutschland und Österreich zu dieser Zeit aufgrund ihrer jüdischen Herkunft verlassen. Gertrud Bodenwieser emigrierte aus Wien nach Australien, ihre Schülerin Gertrud Kraus ins damalige Palästina. Während in Deutschland der Ausdruckstanz nach dem Zweiten Weltkrieg im kulturellen Leben keine große Rolle mehr spielte, praktizierten und entwickelten diese Choreografinnen ihre Tanzkunst im Exil weiter.