Nur wer fest an einem Theater engagiert ist, hat im Unglück der Pandemie derzeit ein bisschen Glück – weil viele Theater die sozialgesetzlichen Regeln für Kurzarbeit anwenden können, während der von Städten, Ländern und Bund verordneten Schließung. Extrem dramatisch ist die Lebenssituation jenseits davon für all jene, die nicht fest engagiert sind: für eine Spielzeit nur oder normalerweise für zwei Jahre, vielleicht sogar unkündbar bis zur Rente nach fünfzehn Jahren der festen Anstellung an einer Bühne. Wer frei arbeitet, wer entweder freiwillig die feste Bindung an ein Theater aufgegeben hat oder noch keine gesucht und gefunden hat, bewegt sich generell auf sehr unsicherem, extrem risikoreichen Terrain.
Im Netz aus Agenturen und Produzenten
Jede Schauspielerin und jeder Schauspieler in der "freien" Szene tut gut daran, eine Agentur mit der Vermarktung des eigenen Talents zu befassen. Ein wenig Statistik, ohne Anspruch auf Vollständigkeit und jenseits der auch vorhandenen staatlichen Vermittlung im Rahmen der "Agentur für Arbeit" – allein im "Verband der Agenturen für Film, Fernsehen und Theater" (VdA) sind 66 Firmen sowie 149 Agentinnen und Agenten damit beschäftigt, über 2500 Schauspielerinnen und Schauspieler sowie über 300 Autorinnen und Autoren in Lohn und Brot zu bringen; außerdem gut 400 Regisseurinnen und Regisseure und knapp 100 Kameraleute. Zu den außergewöhnlich erfolgreichen Agenturen gehören etwa die von Sanna Hübchen oder dem vor fünfeinhalb Jahren verstorbenen Bernhard Hoestermann; sie sitzen in Berlin, wohin mittlerweile auch "Die Agenten" umgezogen sind, eine in Hamburg gegründete Gruppe. Die Agenturen sind generell an den zentralen Orten der Fernseh- und Filmproduktion in Deutschland zu Hause – vor allem in Berlin, in Hamburg, München und Köln. Sie sind fest verflochten im Netz der Produzenten und Produktionsfirmen, die Hauptaufgabe besteht in der Vermittlung zwischen den Projekten und den vor oder hinter der Kamera, auf oder hinter den Bühnen wirkenden Ensemble.
Auf Profilsuche
Der Agentur-Service kostet natürlich - die vermittelten Künstlerinnen und Künstler entlohnen die Agenturen mit prozentualen Anteilen der Gage. Die Zusammenarbeit in diesem privaten Rahmen ist eine Mischung aus künstlerischer Menschenkenntnis und Psychologie, Marktwert und Magie – das Anforderungsprofil des Produktes muss übereinstimmen oder in Übereinstimmung gebracht werden mit dem Talent, den Fähig- und Fertigkeiten des Anbieters und der Anbieterin. Wenige sind –wie sagen wir mal der Schauspieler Thomas Thieme- immer und an sich mit klarem Profil besetzt; Thieme etwa als "schwerer Held" wie Helmut Kohl, Carl Friedrich Wilhelm Borgward oder demnächst Otto von Bismarck. Bei einem wie ihm ist heute im Grunde das allerletzte Echo der alten "Rollenfächer" zu spüren, das im Theater schon sehr lange nichts mehr taugt. Auf der Bühne sollte mittlerweile tendenziell ja jeder und jede alles spielen können – vor der Kamera ist (und bleibt das vorerst wohl auch) anders. Vielleicht auch darum generiert das Theater letztlich weit mehr an Freiheit und Tiefenschärfe in den Künsten.
Die Hürde "Casting"
Auch wenn dann mit Hilfe der Agenturen eine Art "Zusammenklang" hergestellt zwischen Profil und Talent auf der künstlerischen Seite und Struktur und Planung auf Seiten der Produktion zustande gekommen ist, kann es noch zum "Casting" kommen – das ist die zentrale Hürde, bevor Verträge geschlossen werden in Fernsehen und Film; sehr selten auch im Theater. "Cast" ist im Kino die Besetzung; und wer im zurückliegenden Jahr der Pandemie zum Fernseh-Junkie wurde, hat etwa in den "Tatort"-Folgen aus mittlerweile 50 Jahren die immense Bedeutung von Casting-Agenturen kennen gelernt. Wie die konkret arbeiten, also wer wo wann für was "gecastet" wird, ist womöglich ein noch größeres Rätsel als die Vermittlungsstrategien von Agenturen; und auch in der Berufsgruppe "Casting" gibt’s so etwas wie Legenden: Anja Dihrberg etwa, ebenfalls in Berlin daheim – wann immer die Herren Ballauf und Schenk in Köln ermitteln, hat sie entscheidend mitgewirkt an der Besetzung des Ensembles drumherum.
Regelmäßig tauchen auf dem Bildschirm Schauspielerinnen und Schauspieler auf, die ehemals fest engagiert waren in kleineren und größeren Theater-Ensembles - gerade etwa Nina Gummich in der dritten "Charité"-Staffel (zuletzt fest im Ensemble vom Potsdamer Hans-Otto-Theater), im Kölner "Tatort" Ulrike Krumbiegel (ehedem am Deutschen Theater in Berlin), oder (auch in einer "Charité"-Folge) Johanna Link, die in Konstanz engagiert war; Bernhard Schütz war eine der Säulen von Frank Castorfs Volksbühne, Hilmar Eichhorn verließ gerade das "neue theater" in Halle in Richtung Rente. Sie sind so etwas wie Stammgäste. Einige, wie Schütz, der erwähnte Thomas Thieme (zuletzt an der Berliner Schaubühne) oder die einstige Zadek-Schauspielerin Mechthild Grossmann (jetzt "Staatsanwältin" beim "Tatort" in Münster), haben mittlerweile sehr grundsätzlich Abschied vom Theater genommen; was immer schade ist.
Unterschiedliche Karrierewege
Wer allerdings in jüngerer und jüngster Zeit das Schauspielstudium abgeschlossen hat, begibt sich mittlerweile ganz selbstverständlich auf die unterschiedlichen Karriere-Wege – zwischen Bühne, Fernsehen und Film, und mit Agentur für möglichst alles. In der Pandemie ist diese Vielfalt und Vielseitigkeit ein echter Strohhalm, oft ein Rettungsring - gerade, so beklagen schon Betreiber freier Theater wie der Münchner Jochen Schölch, drängen Schauspielerinnen und Schauspieler mit enormer Überlebensenergie in die letzten noch unbeschränkten Bereiche aktueller Medien-Produktion, etwa ins Fernsehen, das ja unter strengsten Hygieneregeln (und anders als die trotz strengster Regeln geschlossenen Theater!) weiter produzieren darf. Die Folgen sind in keiner Hinsicht absehbar – sie werden aber den Druck auf den Markt, in dem freie Schauspielerinnen und Schauspieler agieren, auf Dauer und in schwer erträglicher Weise erhöhen. Wer weiter spielen will, weil sie oder er halt spielen muss, braucht weiterhin starke Nerven, ein dickes Fell – und Unterstützung, jeder Art und woher auch immer.