Dirk Müller: Nicht so viel freuen wird sich darüber Franz-Josef Möllenberg, Chef der Gewerkschaft Nahrung, Genuss und Gaststätten. Guten Morgen!
Franz-Josef Möllenberg: Guten Morgen, Herr Müller.
Müller: Immerhin, Herr Möllenberg, wenn Sie bislang gezögert haben, jetzt müssen Sie schon wieder SPD wählen.
Möllenberg: Darum geht es gar nicht. Es geht darum, dass wir den Menschen in Deutschland endlich eine Perspektive aufzeigen, endlich Schluss machen mit Hungerlöhnen. Und wenn die SPD dafür steht – und das tut sie, gemeinsam übrigens mit den Grünen und mit der Linkspartei; das ist ja der Antrag auch gewesen im Bundesrat, der mit Mehrheit beschlossen worden ist -, dann bleibt es nur übrig, CDU/CSU und FDP nicht zu wählen.
Müller: Sie haben auch noch eine Alternative zur SPD gefunden?
Möllenberg: Gewerkschafter sind Einheitsgewerkschafter. Wir sagen nicht, wen man wählen soll, das wissen die Menschen auch selber. Wir machen unsere Themen an Inhalten fest und deshalb wundert mich die Haltung der Kanzlerin überhaupt nicht. Die hat es in den letzten Monaten und Jahren verstanden, links zu blinken, aber weiter geradeaus zu fahren oder rechts abzubiegen. Und jetzt kommt die Wissenschaft, die wieder zur Hilfe genommen wird. Niemand kann den Beweis erbringen, auch die Wissenschaft nicht, dass das angeblich Arbeitsplätze vernichten würde, wenn wir in Deutschland zu einem Mindestlohn kämen, wie wir ihn in anderen Ländern schon längst haben. Und deshalb sind das alles Scheingefechte. Es geht darum, konkret Menschen zu helfen, die in der Hungerlohn- und in der Armutsfalle sind. Darum geht es!
Müller: Sie sagen, das hilft nicht weiter. Frankreich hat einen höheren Mindestlohn, hat einen Mindestlohn, 9,43 Euro, wenn wir das richtig notiert haben. Dort steigt die Arbeitslosigkeit. Hat nichts damit zu tun?
Möllenberg: Hat nichts damit zu tun, absolut nichts! Es geht letztendlich auch bei der Frage Mindestlohn um Fragen von Verteilungsgerechtigkeit. Und das französische Problem, das Problem in Südeuropa ist ein ganz anderes Problem. Und wir dürfen nicht vergessen die Ursachen. Die Ursachen für die Wirtschaftsmisere, das ist der Finanzkapitalismus, diese aufgeblähte Blase, die da durch die Gegend geschickt worden ist. Das ist nicht der Mindestlohn, weder in Frankreich, noch ein möglicher in Deutschland.
Müller: Warum muss das denn gesetzlich geregelt werden?
Möllenberg: ..., weil wir mittlerweile nach wie vor eine Situation haben, dass ein Drittel der Menschen nicht mehr in Deutschland... Ein Drittel der Menschen fallen in Deutschland nicht mehr unter den Schutz und die Sicherheit eines Tarifvertrages. Es gibt einen Erfindungsreichtum bei Unternehmern. Wenn denen Arbeit zu teuer wird, zum Beispiel aufgrund eines Tarifvertrages, dann gliedern die aus, dann beschäftigen die Leiharbeit, dann gehen die auf Werkvertragsregelung. Wir haben mittlerweile im Bereich der Ernährungswirtschaft eine Situation, dass Leiharbeit schon gar nicht mehr das große Problem ist, sondern das neue Problem, das Krebsgeschwür, wie ich es sage, sind Werkvertragsregelungen. Unternehmen, die teilweise mit osteuropäischen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern arbeiten, keinerlei Tarifbindung. Und dort wird wirklich erschreckend bezahlt. Und das lassen wir alles im legalen, halb legalen Bereich zu. Und das Schlimme ist: Ich bin ja nun beim EU-Kommissar gewesen, bei Herrn Andor vor zweieinhalb Jahren, ich war bei Frau von der Leyen, ich habe Werkvertragsregelungen auch Frau Merkel dargelegt und habe gesagt, eine Möglichkeit wäre, nicht das Allheilmittel, aber eine Möglichkeit wäre, dass wir endlich zu gesetzlichen Mindestlöhnen kämen. Dann ist immer wieder gesagt worden, ja wir prüfen, wir prüfen, wir prüfen. Und jetzt dreht sie sich ab. Das ist nicht mehr anständig.
Müller: Herr Möllenberg, reden wir mal über die positiven Beispiele. Die Kanzlerin sagt ja, Mindestlohn, also wenn es unbedingt sein muss, dann in einer bestimmten Form, nämlich die Branchen sollen sich zusammensetzen und dann entsprechend innerhalb eines Tarifgefüges diesen Mindestlohn festsetzen. Das funktioniert ja offenbar effektiv und konsequent zum Beispiel bei den Gebäudereinigern, beim Pflegedienst, bei den Dachdeckern. Warum ist das nicht das Vorbild für den Rest?
Möllenberg: Weil wir bei den Dachdeckern und bei der Gebäudereinigung das Entsenderecht zugrunde legen. Das ist überhaupt kein Problem, weil es dort Tarifverträge gibt, die zwischen der Industriegewerkschaft Bauen, Agrar, Umwelt auf der einen Seite und zwischen den Arbeitgeberverbänden auf der anderen Seite abgeschlossen worden sind. Und über das Entsenderecht ist es möglich geworden, dass andere Arbeitgeber, andere Unternehmen auf jeden Fall diese Sätze auch an nicht tarifgebundene Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zahlen müssen. Wir brauchen eine veränderte Regelung bei der Allgemeinverbindlichkeitserklärung. Und unser Problem ist, dass selbst da, wo wir feste Regeln haben, immer wieder von manchen Arbeitgebern – nicht von allen; es ist ja nicht so, dass pauschal alle Arbeitgeber schlecht wären; ganz im Gegenteil -, aber von manchen Arbeitgebern werden Fluchtmöglichkeiten gesucht. Da werden selbst Reinigungskräfte in Hotels, die normalerweise unter das Entsenderecht fallen wegen Gebäudereinigerhandwerk, für zwei Euro die Stunde abgefunden. Das ist nicht mehr in Ordnung, deshalb brauchen wir strikte Regelungen, damit auch die Aufsichtsbehörden, die Sozialversicherungsträger sofort sehen, wenn da Hungerlöhne gezahlt werden.
Der Wahnsinn, Herr Müller, ist auch der: Wir haben nach wie vor in Deutschland das Problem, dass wir rund gerechnet 1,2 - 1,3 Millionen Menschen haben, die Arbeit haben, die aber mit ihrem Lohn, mit ihrem Einkommen das Auskommen nicht sicherstellen können, die sogenannten Aufstocker. Das kostet unserer Gesellschaft insgesamt fast zehn Milliarden Euro jedes Jahr. Das ist ein Wahnsinnsteufelskreis, in dem wir uns befinden. Und da muss endlich mithilfe eines gesetzlichen Mindestlohns Schluss gemacht werden.
Müller: Herr Möllenberg, ich muss Sie jetzt unterbrechen. Jetzt haben gestern die Wirtschafts-... die Weisen waren es ja nicht, aber sie sind fast weise -, die Wirtschaftsexperten gesagt, es ist doch besser, für sieben Euro zu arbeiten, als für 8,50 Euro - das ist das, was Sie fordern - arbeitslos zu sein.
Möllenberg: Ja, das sagen die Weisen immer. Das sind Menschen – Entschuldigung -, die nicht in diesen Einkommenszonen sind. Die 8,50 Euro leiten sich doch ganz einfach daraus ab, dass wir uns an der Pfändungsfreigrenze orientiert haben, die der Gesetzgeber selber festgelegt hat. 987 Euro netto im Monat, das ist pfändungsfreies Einkommen. Daraus leiten sich die 8,50 Euro ab. Normalerweise müsste unsere Forderung nach einem gesetzlichen Mindestlohn ja höher sein, siehe Frankreich als Beispiel. Es ist ein Scheingefecht, das da geführt wird. Und entscheidend ist letztendlich, Herr Müller, dass wir den Menschen, die in dieser Armutsfalle sind, dass wir denen eine Perspektive bieten und auch eine Perspektive, dass die später nicht in Altersarmut landen, dass sie letztendlich nicht weiter in diesen Ausbeutungssituationen sind. Und deshalb bin ich enttäuscht über das, was die Kanzlerin da von sich gegeben hat.
Müller: Friseurladen, das wird immer wieder, oder Friseure werden immer wieder als Beispiel genannt. Wenn dort, wo auch immer, 3,50, vier Euro, 4,50 Euro, fünf Euro bezahlt wird, dann sagen viele, das ist sittenwidrig. Darüber gibt es auch fast einen gesellschaftlichen Konsens. Wenn der kleine Besitzer des Friseurladens demnächst 8,50 bezahlen muss, kann er das?
Möllenberg: Ja. Auch im Gastgewerbe. Ich sage jetzt mal bewusst Gastgewerbe oder spreche das Bäckerhandwerk an, also Organisationsbereiche, für die ich zuständig bin. Es ist letztendlich eine Frage des Verteilungsspielraums. Das Brot oder das Brötchen müsste nicht teurer werden, um mindestens 8,50 Euro zur Auszahlung zu bringen. Und das ist der entscheidende Punkt, denn hier erwarte ich gerade von einer Kanzlerin, dass die weiß, für wen sie eigentlich den Eid abgelegt hat, nämlich für die Mehrheit der Menschen in diesem Land.
Müller: Woher wissen Sie das, dass sich das die Kleinsten leisten können?
Möllenberg: Weil es gibt doch Betriebsrechnungen. Es gibt Berechnungen der Zentralverbände, beispielsweise des Handwerks, wo die Betriebsvergleiche anstellen, wo die errechnen, wie hoch der Personalkostenanteil ist etc. Natürlich ist das auch in der Gastronomie von Betriebstyp zu Betriebstyp unterschiedlich. Es gibt personalintensivere Dienstleistungen, da ist es nun weniger. Aber letztendlich kann die Branche es verkraften.
Müller: Jetzt sind Sie, Herr Möllenberg, so enttäuscht von der Kanzlerin. Wie teilen Sie ihr das mit?
Möllenberg: Wir haben als deutsche Gewerkschaften nicht umsonst zum 1. Mai gesagt, was wir brauchen, ist neue Ordnung der Arbeit. Zur neuen Ordnung der Arbeit gehört Mindestlohn, gehört Regelung für Leiharbeit, gehört Schluss mit dieser Werkvertrags-Krebsgeschwür-Arie. Dazu gehört weg mit befristeten Beschäftigungsverhältnissen, sachgrundlos etc. Wir wollen, dass es sichere Renten gibt. Und weniger Rente ist ein falscher Weg, genauso wie es falsch ist, das Renteneintrittsalter auf 67 heraufzusetzen. Wir sind für ein Europa, das sozial ist und wo Deutschland nicht den anderen Ländern noch vorschreibt, dass die angebliche sogenannte Reformen machen sollen und letztendlich Lohnleitlinien entstehen sollen. Und wir sind für einen handlungsfähigen Staat. Das heißt, wir sind auch für entsprechende Steuerregelungen. Wir sind gegen Steuergeschenke und ich habe immer noch nicht verstanden, warum zulasten auch der Beschäftigten im Hotel- und Gastgewerbe das Beherbergungsgewerbe ein Steuergeschenk bekommen hat von jährlich einer Milliarde Euro durch die Absenkung der Mehrwertsteuer. Das werden wir Frau Merkel nach wie vor sagen und da werden wir nicht nur den 1. Mai für nutzen.
Müller: Franz-Josef Möllenberg bei uns heute Morgen im Deutschlandfunk, Chef der Gewerkschaft Nahrung, Genuss, Gaststätten. Vielen Dank und schönen Tag.
Möllenberg: Ich danke auch. Tschüss!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Franz-Josef Möllenberg: Guten Morgen, Herr Müller.
Müller: Immerhin, Herr Möllenberg, wenn Sie bislang gezögert haben, jetzt müssen Sie schon wieder SPD wählen.
Möllenberg: Darum geht es gar nicht. Es geht darum, dass wir den Menschen in Deutschland endlich eine Perspektive aufzeigen, endlich Schluss machen mit Hungerlöhnen. Und wenn die SPD dafür steht – und das tut sie, gemeinsam übrigens mit den Grünen und mit der Linkspartei; das ist ja der Antrag auch gewesen im Bundesrat, der mit Mehrheit beschlossen worden ist -, dann bleibt es nur übrig, CDU/CSU und FDP nicht zu wählen.
Müller: Sie haben auch noch eine Alternative zur SPD gefunden?
Möllenberg: Gewerkschafter sind Einheitsgewerkschafter. Wir sagen nicht, wen man wählen soll, das wissen die Menschen auch selber. Wir machen unsere Themen an Inhalten fest und deshalb wundert mich die Haltung der Kanzlerin überhaupt nicht. Die hat es in den letzten Monaten und Jahren verstanden, links zu blinken, aber weiter geradeaus zu fahren oder rechts abzubiegen. Und jetzt kommt die Wissenschaft, die wieder zur Hilfe genommen wird. Niemand kann den Beweis erbringen, auch die Wissenschaft nicht, dass das angeblich Arbeitsplätze vernichten würde, wenn wir in Deutschland zu einem Mindestlohn kämen, wie wir ihn in anderen Ländern schon längst haben. Und deshalb sind das alles Scheingefechte. Es geht darum, konkret Menschen zu helfen, die in der Hungerlohn- und in der Armutsfalle sind. Darum geht es!
Müller: Sie sagen, das hilft nicht weiter. Frankreich hat einen höheren Mindestlohn, hat einen Mindestlohn, 9,43 Euro, wenn wir das richtig notiert haben. Dort steigt die Arbeitslosigkeit. Hat nichts damit zu tun?
Möllenberg: Hat nichts damit zu tun, absolut nichts! Es geht letztendlich auch bei der Frage Mindestlohn um Fragen von Verteilungsgerechtigkeit. Und das französische Problem, das Problem in Südeuropa ist ein ganz anderes Problem. Und wir dürfen nicht vergessen die Ursachen. Die Ursachen für die Wirtschaftsmisere, das ist der Finanzkapitalismus, diese aufgeblähte Blase, die da durch die Gegend geschickt worden ist. Das ist nicht der Mindestlohn, weder in Frankreich, noch ein möglicher in Deutschland.
Müller: Warum muss das denn gesetzlich geregelt werden?
Möllenberg: ..., weil wir mittlerweile nach wie vor eine Situation haben, dass ein Drittel der Menschen nicht mehr in Deutschland... Ein Drittel der Menschen fallen in Deutschland nicht mehr unter den Schutz und die Sicherheit eines Tarifvertrages. Es gibt einen Erfindungsreichtum bei Unternehmern. Wenn denen Arbeit zu teuer wird, zum Beispiel aufgrund eines Tarifvertrages, dann gliedern die aus, dann beschäftigen die Leiharbeit, dann gehen die auf Werkvertragsregelung. Wir haben mittlerweile im Bereich der Ernährungswirtschaft eine Situation, dass Leiharbeit schon gar nicht mehr das große Problem ist, sondern das neue Problem, das Krebsgeschwür, wie ich es sage, sind Werkvertragsregelungen. Unternehmen, die teilweise mit osteuropäischen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern arbeiten, keinerlei Tarifbindung. Und dort wird wirklich erschreckend bezahlt. Und das lassen wir alles im legalen, halb legalen Bereich zu. Und das Schlimme ist: Ich bin ja nun beim EU-Kommissar gewesen, bei Herrn Andor vor zweieinhalb Jahren, ich war bei Frau von der Leyen, ich habe Werkvertragsregelungen auch Frau Merkel dargelegt und habe gesagt, eine Möglichkeit wäre, nicht das Allheilmittel, aber eine Möglichkeit wäre, dass wir endlich zu gesetzlichen Mindestlöhnen kämen. Dann ist immer wieder gesagt worden, ja wir prüfen, wir prüfen, wir prüfen. Und jetzt dreht sie sich ab. Das ist nicht mehr anständig.
Müller: Herr Möllenberg, reden wir mal über die positiven Beispiele. Die Kanzlerin sagt ja, Mindestlohn, also wenn es unbedingt sein muss, dann in einer bestimmten Form, nämlich die Branchen sollen sich zusammensetzen und dann entsprechend innerhalb eines Tarifgefüges diesen Mindestlohn festsetzen. Das funktioniert ja offenbar effektiv und konsequent zum Beispiel bei den Gebäudereinigern, beim Pflegedienst, bei den Dachdeckern. Warum ist das nicht das Vorbild für den Rest?
Möllenberg: Weil wir bei den Dachdeckern und bei der Gebäudereinigung das Entsenderecht zugrunde legen. Das ist überhaupt kein Problem, weil es dort Tarifverträge gibt, die zwischen der Industriegewerkschaft Bauen, Agrar, Umwelt auf der einen Seite und zwischen den Arbeitgeberverbänden auf der anderen Seite abgeschlossen worden sind. Und über das Entsenderecht ist es möglich geworden, dass andere Arbeitgeber, andere Unternehmen auf jeden Fall diese Sätze auch an nicht tarifgebundene Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zahlen müssen. Wir brauchen eine veränderte Regelung bei der Allgemeinverbindlichkeitserklärung. Und unser Problem ist, dass selbst da, wo wir feste Regeln haben, immer wieder von manchen Arbeitgebern – nicht von allen; es ist ja nicht so, dass pauschal alle Arbeitgeber schlecht wären; ganz im Gegenteil -, aber von manchen Arbeitgebern werden Fluchtmöglichkeiten gesucht. Da werden selbst Reinigungskräfte in Hotels, die normalerweise unter das Entsenderecht fallen wegen Gebäudereinigerhandwerk, für zwei Euro die Stunde abgefunden. Das ist nicht mehr in Ordnung, deshalb brauchen wir strikte Regelungen, damit auch die Aufsichtsbehörden, die Sozialversicherungsträger sofort sehen, wenn da Hungerlöhne gezahlt werden.
Der Wahnsinn, Herr Müller, ist auch der: Wir haben nach wie vor in Deutschland das Problem, dass wir rund gerechnet 1,2 - 1,3 Millionen Menschen haben, die Arbeit haben, die aber mit ihrem Lohn, mit ihrem Einkommen das Auskommen nicht sicherstellen können, die sogenannten Aufstocker. Das kostet unserer Gesellschaft insgesamt fast zehn Milliarden Euro jedes Jahr. Das ist ein Wahnsinnsteufelskreis, in dem wir uns befinden. Und da muss endlich mithilfe eines gesetzlichen Mindestlohns Schluss gemacht werden.
Müller: Herr Möllenberg, ich muss Sie jetzt unterbrechen. Jetzt haben gestern die Wirtschafts-... die Weisen waren es ja nicht, aber sie sind fast weise -, die Wirtschaftsexperten gesagt, es ist doch besser, für sieben Euro zu arbeiten, als für 8,50 Euro - das ist das, was Sie fordern - arbeitslos zu sein.
Möllenberg: Ja, das sagen die Weisen immer. Das sind Menschen – Entschuldigung -, die nicht in diesen Einkommenszonen sind. Die 8,50 Euro leiten sich doch ganz einfach daraus ab, dass wir uns an der Pfändungsfreigrenze orientiert haben, die der Gesetzgeber selber festgelegt hat. 987 Euro netto im Monat, das ist pfändungsfreies Einkommen. Daraus leiten sich die 8,50 Euro ab. Normalerweise müsste unsere Forderung nach einem gesetzlichen Mindestlohn ja höher sein, siehe Frankreich als Beispiel. Es ist ein Scheingefecht, das da geführt wird. Und entscheidend ist letztendlich, Herr Müller, dass wir den Menschen, die in dieser Armutsfalle sind, dass wir denen eine Perspektive bieten und auch eine Perspektive, dass die später nicht in Altersarmut landen, dass sie letztendlich nicht weiter in diesen Ausbeutungssituationen sind. Und deshalb bin ich enttäuscht über das, was die Kanzlerin da von sich gegeben hat.
Müller: Friseurladen, das wird immer wieder, oder Friseure werden immer wieder als Beispiel genannt. Wenn dort, wo auch immer, 3,50, vier Euro, 4,50 Euro, fünf Euro bezahlt wird, dann sagen viele, das ist sittenwidrig. Darüber gibt es auch fast einen gesellschaftlichen Konsens. Wenn der kleine Besitzer des Friseurladens demnächst 8,50 bezahlen muss, kann er das?
Möllenberg: Ja. Auch im Gastgewerbe. Ich sage jetzt mal bewusst Gastgewerbe oder spreche das Bäckerhandwerk an, also Organisationsbereiche, für die ich zuständig bin. Es ist letztendlich eine Frage des Verteilungsspielraums. Das Brot oder das Brötchen müsste nicht teurer werden, um mindestens 8,50 Euro zur Auszahlung zu bringen. Und das ist der entscheidende Punkt, denn hier erwarte ich gerade von einer Kanzlerin, dass die weiß, für wen sie eigentlich den Eid abgelegt hat, nämlich für die Mehrheit der Menschen in diesem Land.
Müller: Woher wissen Sie das, dass sich das die Kleinsten leisten können?
Möllenberg: Weil es gibt doch Betriebsrechnungen. Es gibt Berechnungen der Zentralverbände, beispielsweise des Handwerks, wo die Betriebsvergleiche anstellen, wo die errechnen, wie hoch der Personalkostenanteil ist etc. Natürlich ist das auch in der Gastronomie von Betriebstyp zu Betriebstyp unterschiedlich. Es gibt personalintensivere Dienstleistungen, da ist es nun weniger. Aber letztendlich kann die Branche es verkraften.
Müller: Jetzt sind Sie, Herr Möllenberg, so enttäuscht von der Kanzlerin. Wie teilen Sie ihr das mit?
Möllenberg: Wir haben als deutsche Gewerkschaften nicht umsonst zum 1. Mai gesagt, was wir brauchen, ist neue Ordnung der Arbeit. Zur neuen Ordnung der Arbeit gehört Mindestlohn, gehört Regelung für Leiharbeit, gehört Schluss mit dieser Werkvertrags-Krebsgeschwür-Arie. Dazu gehört weg mit befristeten Beschäftigungsverhältnissen, sachgrundlos etc. Wir wollen, dass es sichere Renten gibt. Und weniger Rente ist ein falscher Weg, genauso wie es falsch ist, das Renteneintrittsalter auf 67 heraufzusetzen. Wir sind für ein Europa, das sozial ist und wo Deutschland nicht den anderen Ländern noch vorschreibt, dass die angebliche sogenannte Reformen machen sollen und letztendlich Lohnleitlinien entstehen sollen. Und wir sind für einen handlungsfähigen Staat. Das heißt, wir sind auch für entsprechende Steuerregelungen. Wir sind gegen Steuergeschenke und ich habe immer noch nicht verstanden, warum zulasten auch der Beschäftigten im Hotel- und Gastgewerbe das Beherbergungsgewerbe ein Steuergeschenk bekommen hat von jährlich einer Milliarde Euro durch die Absenkung der Mehrwertsteuer. Das werden wir Frau Merkel nach wie vor sagen und da werden wir nicht nur den 1. Mai für nutzen.
Müller: Franz-Josef Möllenberg bei uns heute Morgen im Deutschlandfunk, Chef der Gewerkschaft Nahrung, Genuss, Gaststätten. Vielen Dank und schönen Tag.
Möllenberg: Ich danke auch. Tschüss!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.