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Endlich Urlaub!

Auf einem Landgut an der Algarve hat sich die Reitpädagogin Silke Baumgarten ihren Lebenstraum erfüllt: Mit sieben ausgebildeten Therapiepferden und drei Eseln bietet sie seit sieben Jahren ein integratives Ferienprogramm an - für Kinder mit und ohne Handicap samt Eltern.

Von Gesa Ufer |
    "Ich heiße Stefan, ich bin 14 Jahre alt. Ich verstehe viel, ich kann nur nicht sprechen."

    Deshalb stellt sein kleiner tragbarer Sprachcomputer den Jungen vor. Stefans Blick wechselt schüchtern zwischen dem Gerät und seiner Mutter. Gemeinsam sitzen wir auf der weißgekalkten Galerie eines portugiesischen Landsitzes. Inmitten scheinbar endlos weiter Felder und Wiesen. Es ist Frühling, Vögel zwitschern, auf der wenig befahrenen Landstraße vorm Haus knattert ein Moped vorbei.

    Margret van Kempen und ihr Sohn sind zum ersten Mal auf der Herdade do Castanheiro. Über Freunde von Freunden bekamen die beiden diesen Geheimtipp: ein Hof, auf dem Familien mit behinderten und nicht behinderten Kindern erholsame Ferien verbringen können. Für Margret van Kempen alles andere als eine Selbstverständlichkeit:

    "Stefan ist hypoton, also kann eingeschränkt laufen, spricht nicht und ist auch ängstlich und lärmscheu, und das macht es schwierig, ihn auch mit anderen normalen Kindern unterzubringen, weil der Lärmpegel einfach relativ ist, und eine Verständigung mit anderen noch sehr schwierig ist."

    Auf dem abgelegenen 38 Hektar großen Landgut nahe Faro hat sich die gebürtige Remscheiderin Silke Baumgarten ihren Lebenstraum erfüllt. Die Reitpädagogin kam vor über zehn Jahren an die Algarve, mit sieben ausgebildeten Therapiepferden und drei Eseln. Seit dieser Zeit bietet sie gemeinsam mit einem deutschsprachigen Team nicht nur Wohnungen, sondern ein komplettes integratives Ferienprogramm.

    Für Silke Baumgarten steht neben der klassischen Reittherapie vor allem die Begegnung der Kinder mit den Hoftieren im Mittelpunkt:

    "Da leben jetzt im Moment Ziegen, Schafe, einige, die wir immer mit den Kindern besuche. Hunde sind immer mit dabei Katzen und auch einiges, was so frei kreucht und fleucht, nämlich ganz viele dicke fette Kröten, und natürlich irgendwo sicher auch mal Schlangen. Oder heute haben wir gesehen, es muss ein Chamäleon gewesen sein."

    Morgens geht es mit dem Füttern und Ausmisten der Ställe los, dann wird in aller Ruhe beobachtet, es werden Welpen geknuddelt, Pferde gestriegelt und gebürstet. Und während sich die Kinder in Kleingruppen ausgiebig um die Tiere kümmern, haben die Eltern ganze fünf Stunden für sich, für Ausflüge, zum Lesen oder zum einfach nur mal Abschalten.

    "Manche fühlen sich wie in den Flitterwochen, sagen sie."

    Julia Latscha ist mit ihrer Familie aus Berlin angereist.

    "Ja, uns gefällt total, dass die Eltern auch Urlaub haben, weil ja gerade die Urlaubszeit mit einem behinderten Kind oft die anstrengendste Zeit ist. Weil unsere Tochter Lotte einfach eine Rundumbetreuung braucht, und das auch körperlich so anstrengend ist, weil Lotte viel getragen, gehoben, gesetzt, gewickelt, gefüttert - man muss ihr bei jeglichen alltäglichen Dingen helfen. Und hier haben wir von 10 bis 15 Uhr Zeit ohne Kinder wandern, schwimmen, lesen, einfach wirklich mal zur Ruhe zu kommen."

    Jetzt im Frühjahr blühen flächendeckend die weißen klebrigen Zistrosen-Büsche. Korkeichen strecken ihre knorrigen bizarr geformten Äste gen Himmel. Dazwischen stehen Johannisbrotbäume, stacheliger Ginster, Oleander, Lorbeer und immer wieder Orangenbäume.

    Der alte Herrensitz, die Herdade, liegt am Rande des verschlafenen Ortes Bensafrim, nur acht Kilometer vom Atlantik und der größeren Stadt Faro entfernt.

    Westlich von hier wird die Landschaft merklich rauer, und auch im Sommer weht fast immer eine kühle Brise, die wie ein natürlicher Schutz gegen Touristenmassen wirkt.

    Der Atlantik bietet mal atemberaubende Brandung, dann wieder lauschige, versteckt liegende Badebuchten, an denen man mit etwas Glück sogar Delfine beobachten kann.

    In Dörfern wie Bensafrim ist deutlich die Landflucht der Portugiesen zu spüren. Allenfalls Tagestouristen kommen von der Küste hier her, um im Restaurants Frongo Piri-piri zu probieren, die Spezialität der Region, ein in scharfe Chilisoße eingelegtes Hühnchen vom Grill.

    Um die Mittagszeit sitzen ein paar Alte auf den Plastikstühlen am Waschhaus. In den stillen Gassen sind einige Fenster und Türen vernagelt, Brombeersträucher überwuchern verlassene Häuser und Ställe.

    Wenn Silke Baumgarten mit den Kindern und Tieren des Weges kommt, ist sie die Attraktion.

    "Ich glaube, dass die Arbeit mit den Kindern hier sehr hoch geschätzt wird, das ist mir auch wichtig. Alle, die uns begegnen, also wenn wir zum Beispiel als kleine Karawane, was auch vorkommt, einen Ausflug entweder ins Land oder auch mal ins Dorf und dann dort ein Eis essen und da mitten im Dorf stehen mit drei Pferden, zwei Rollis und zig Kindern und ein Gewusel ist, dann wird das, glaube ich, doch sehr geschätzt und bestaunt."

    Heute findet auf der Herdade ein Familienprogramm für alle statt. Entsprechend ihren Fähigkeiten lösen die Kinder kleine Aufgaben, angefeuert von großen und kleinen Feriengästen. Gerade ist Louis dran:

    "Louis ist ein kleiner Mann, der super Lieder summen kann. Summe uns ein kleines Lied vor."

    Louis ist neun Jahre, sprechen kann er nicht, dafür aber eben sehr gut singen. An gemeinsamen Unternehmungen wie dieser nimmt teil, wer Lust hat. Familien können sich verabreden oder aus dem Weg gehen, ganz wie sie mögen, sagt Silke Baumgarten:

    "Und wir versuchen ja auch, und das empfinde ich auch so, dass das so tolle Begegnungen sind, und diese da nicht so eine Schwere und Problembelastung vordergründig haben, sondern wir haben hier unheimlich viel Spaß mit den Kindern und lachen viel und - ja ich glaub - das kommt auch einfach rüber."

    Wer einmal hier war, kommt im nächsten Jahr meistens wieder, so wie die 22-jährige Karima aus Bonn. Sie hat ein Downsyndrom und gehört mit ihrer Familie zu den zahlreichen Stammgästen, für die der Portugalurlaub ein festes Ritual geworden ist:

    "Ich bin jetzt das elfte Mal hier, ich heiße Karima Suadi, weil ich mich eben freue, also mit Pferden zu sein, sehr besonders nett sind die Hunde und Pferde von Silke."

    Jede Menge eindrucksvolle Wildtiere gibt es allerdings auch rund um die Herdade do Castanheiro. Magret van Kempen traut kaum ihren Ohren:

    "Oh, Gott! Hier in Portugals Süden hörst du die Nachtigall? Ich dachte das könnte doch gar nicht möglich sein. Oder Froschgequake. Ich dachte, das wär alles viel zu trocken hier. Und weil ich von Beruf her im Naturschutz arbeite, ist das hier schon in Anführungszeichen 'der Himmel auf Erden'."

    An solchen Abenden, wenn die Nachtigall singt und die riesigen Kröten in ihr Konzert einstimmen, dann ist der richtige Moment für herrliche Spaziergänge unterm Sternenhimmel. Der anstrengende Alltag mit einem behinderten Kind scheint da Lichtjahre entfernt.