Archiv

Endlich weg vom Februar
Anmerkungen zur Aufteilung der Berlinale 2021

Ein Treffen der internationalen Filmbranche im Februar ist wegen der Corona-Pandemie undenkbar. Die Berlinale 2021 wird aufgeteilt: Die Filmprofis treffen sich im März im Netz. Das Publikum geht im Sommer hoffentlich ins Kino. Das kann auch eine Chance fürs Renommee des Internationalen Filmfestivals sein.

Von Maja Ellmenreich |
Das Bild zeigt den Platz vor dem Berlinale Palast am Potsdamer Platz. Zu sehen ist das Berlinale-Plakat.
Der Berlinale Palast 2020. (dpa / picture alliance)
Nicht ohne Grund trägt der Berlinale-Bär ein dickes Fell, unter dem sicherlich noch die eine oder andere zusätzlich wärmende Fettschicht steckt. Denn im Februar ist es bitterkalt in Berlin. Eisige Temperaturen, Schneematsch auf den Straßen, und am Potsdamer Platz, wo die Berlinale zu Hause ist, da pfeift der Wind nur so um die Ecken.
Kein Branchentreffen im Schneematsch
Der Berlinale-Bär ist also bestens gerüstet für dieses unwirtliche Wetter; und die Besucherinnen und Besucher aus aller Welt, sie tun es ihm gleich: Mummeln sich ein in Daune und Wolle, schützen die klammen Finger und die kalten Ohren so gut es geht für den Spurt von Kino zu Kino.
Das Fluchen über Kälte und Nässe gehört zum Soundtrack von Deutschlands größtem Filmfestival wie die pathetische Eröffnungsmusik vor jedem einzelnen Film. Man leidet zwar ein bisschen, ist aber insgeheim auch stolz darauf, dazu gehören zu dürfen. Ein kleiner Märtyrer steckt demnach in jedem Berlinale-Fan. Auch das trägt bei zum Charme dieses Festivals, das mit seiner Terminierung im Februar ohnehin der "Underdog unter großen Branchentreffen ist.
Bislang zu nah an den Oscars
Denn in unmittelbarer Nachbarschaft zur Oscar-Verleihung ist die Berlinale für große Filmpremieren denkbar unattraktiv. Zum einen müssen die Filmstars rechtzeitig zurück in Hollywood sein. Und zum anderen gilt: Wer sich Hoffnung machen will auf einen Goldjungen aus Los Angeles, muss sich mit seinem Film deutlich früher oder später ins Rennen begeben.
Theoretisch entscheidet zwar nicht der Premierentermin über die Oscar-Chancen, praktisch aber dann doch: Die Aufmerksamkeit eines großen Festivalauftritts sollte noch nicht verpufft sein, wenn die Academy ihr Urteil fällt. Und somit haben die Filmfestspiele in Venedig die Pole-Position eingenommen: Im September, bei gutem Wetter – da wollen Produzenten ihre Oscar-Kandidaten dem Weltpublikum präsentieren – und nicht, wenn es nicht unbedingt sein muss, zu Jahresbeginn in Berlin.
Das Klagen über den Februartermin der Berlinale ist so alt wie der Termin selbst. Und alle Überlegungen und Versuche, ihn zu verschieben, waren erfolglos. Berlinale im Dezember? Zu nah an den Feiertagen. Im Sommer? Eingequetscht zwischen Cannes und Venedig - und ohnehin mitten in der Urlaubszeit. Deshalb ist der Februartermin seit Ende der 70-er gesetzt.
Warum nicht Open-Air-Kino?
Und jetzt – Corona macht’s möglich – die Berlinale im Sommer? Flip-Flops und Handventilator statt Fellstiefel und Ohrenschützer? Auf das schüttelfrostige Berlinale-Feeling müsste man natürlich verzichten; aber dem weltweit größten Publikumsfestival würde es wohl noch mehr Interessenten bescheren. Die Hauptstadt ist im Sommer schließlich randvoll mit Touristen – alles potenzielle Festivalbesucher. Und die strenge Terminabfolge der Filmbranche – die gerät durch die Pandemie ohnehin durcheinander.
Also: Wer weiß? Vielleicht bietet eine Sommer-Berlinale die einzigartige Gelegenheit, das Filmfestival ganz neu zu erfinden. Die zweigeteilte Not-Berlinale im kommenden Jahr ist da sicher noch nicht der Weisheit letzter Schluss: Branchentreff im März mit Online-Wettbewerb und Sommer-Event mit Corona-kompatiblem Open-Air-Kino im Juni.
Renommee der Internationalen Filmfestspiele im Blick
Doch das Leben beweist: Was aus der Not geboren ist, besitzt nicht selten gute Überlebenschancen. Was zu Beginn ruckelt und hakt, kann passend gemacht werden. Zweifelsohne kein leichtes Spiel für Mariette Rissenbeek, die Geschäftsführerin der Berlinale: Man mag sich den Aufwand kaum ausmalen, eingespielte Partnerschaften, langjährige Absprachen vom Winter in den Sommer zu verlegen. Doch was mit großen Corona-Anstrengungen möglich ist, lässt sich vielleicht auch in virenloseren Zeiten bewerkstelligen, um die Berlinale ganz in den Sommer zu hieven. Dem Renommee der Internationalen Filmfestspiele könnte es dienlich sein.
Und der Bär – auch er müsste mitspielen, sein zottiges Winterfell gegen eine leichtere Sommerbekleidung eintauschen und vielleicht ein bisschen abspecken. Und wir, die Berlinale-Fans, wir müssten uns auch umgewöhnen. Weniger meckern über die Kälte, dafür vielleicht - wenn wir den finsteren Kinosaal verlassen - ein bisschen freundlicher in die Berliner Sommersonne blinzeln.