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''Endspiel''

Das Leben ist kein Traum. Auch nicht im Theater. Und erst recht nicht bei Beckett. Hamm, Clov, Nagg und Nell heißen die Protagonisten, keine Namen eigentlich, eher lautmalende Bündelungen von Unglück, Bosheit, später Verzweiflung und heimlicher Rache.

    Hamm wird gespielt von dem überragenden, im wirklichen Leben fast 8ojährigen Thomas Holtzmann, der hier blind – getarnt durch eine kleine, schwarze Sonnenbrille- und gelähmt auf einem abgewetzten, schwarzen Lederstuhl sitzen bleiben muss. Den ganzen Einakter hindurch auf diesem einzigen Möbel auf der Bühne, die in der Mitte durch einen scheußlich- braunen Kubus und an den Seiten klaustrophobisch durch Milchglasscheiben begrenzt ist. Hamms Stuhl hat Rollen und vor allem eine Bremse. Seine Unflexibilität kompensiert er schauspielerisch durch eine grandiose Bandbreite seiner mimischen und stimmlichen Fähigkeiten. Bewegt werden kann er nur von Clov, seinem Zieh-Sohn, den Götz Schubert glänzend im wahrsten Sinne, nämlich durch eine beeindruckende Körpersprache, verkörpert. Denn er kann nicht sitzen und ist deshalb immer in Bewegung: Vom Zimmer in die Küche, dem Kubus in der Mitte. Aus der Küche ins Zimmer. Im Zimmer auf die Trittbrettleiter, um mit dem Fernglas durch die Milchglasscheiben zu sehen. Von einer Wand zur anderen. Schikaniert bis zum geht- nicht- mehr von Hamm.

    Und da sind da noch, akkurat nebeneinander deponiert, die beiden Mülltonnen, deren Deckel ab und an hochgeklappt werden und die Köpfe der beiden Uralten Nagg und Nell herausschauen. Ein altes Ehepaar, das uralte Sandkastendialoge veranstaltet.

    Dass diese kichernden, täppischen, kindischen Alten – exzellent ausgebreitet von Peter Herzog und Heide von Strombeck – die Eltern des missmutigen, zynischen, sadistischen, winselnden Hamm sind, stellt die Ordnung natürlich auf den Kopf, genauso wie die des Nicht-erwachsen-werden-können des Clov gegenüber seinem väterlichen Tyrannen Hamm.

    Kennt man das nicht? Befangen in kindlichen Verhaltensmustern? Gefesselt von Konventionen? Lebenslänglich dieselben Albernheiten, heißt es im Text, und ständig ist davon die Rede, dass einer den anderen verlassen will, aber es irgendwie nicht schafft. Bis auf Nell, die einfach wegstirbt. Als ob das die Lösung wäre. Aber es ist kein Spiel, das "Endspiel", sondern grauenvolle, grausame Realität. Barbara Frey, die junge, erst 4ojährige Schweizer Theatermacherin, bis vor kurzem an Ostermeiers Berliner Schaubühne Hausregisseurin, inszenierte sehr feinfühlig, sehr genau , klug und – im Gegensatz zum oft überdrehten Klamauk ihrer Regiekollegen – zurückhaltend die scharfsinnige Beschreibung dieser verdrehten, unlebendigen, statischen, erkalteten Männerwelt. In der keine Berührung mehr möglich ist, und Rührung höchstens durch einen Stoffhund in der Einbildung. Wie im wirklichen Leben. Alt gegen Jung. Jung gegen Alt. Und kein Hoffnungsschimmer in Sicht. Befinden wir uns nicht gerade im Generationenkrieg? Beckett geht also immer noch? In unserer Fun-Gesellschaft wohl kaum, und erst recht nicht beim Münchner Staatstheaterpublikum, das den Tiefsinn des Stückes ignorant weglachte und nicht wusste, ob es Beifall klatschen sollte – oder was!

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