Eigentlich will der junge Iraner, der sich an einem kleinen offenen Feuer auf einer Brachfläche im Industriegebiet von Calais die Hände wärmt, lieber nicht mit Journalisten reden. Das ändere doch nichts an seiner Situation, sagt er – und erzählt dann doch ein wenig vom elenden Leben hier draußen, den Nächten im Zelt, den Hilfsorganisationen, die Essen oder Brennholz bringen. Er ist überzeugt davon, dass er in Großbritannien besser versorgt würde und gleich eine Unterkunft bekäme.
Viele kleine Grüppchen von Flüchtlingen hocken oder stehen auf dieser Fläche nicht weit von der Autobahn, die zum Hafen führt. Calais hat in den vergangenen Jahren weit über Frankreichs Grenzen hinaus traurige Berühmtheit erlangt wegen der zahlreichen Migranten, die von hier aus versuchen, auf einem Schiff oder durch den Tunnel unbemerkt nach Großbritannien zu gelangen. In letzter Zeit legen auch vermehrt Schlauchboote in Richtung England hier ab.
Der "Dschungel" existiert noch
Denn auch wenn die Dschungel genannte Zeltstadt 2016 geräumt wurde, sind doch aktuell wieder rund 500 Menschen in Calais, die auf eine Gelegenheit zur Überfahrt warten. Seit ein paar Monaten sind unter ihnen viele Iraner, ansonsten kommen die meisten aus Äthiopien, Eritrea, Sudan oder Afghanistan; manche landen nach einem vergeblichen Asylgesuch in Deutschland hier. Das erzählt François Guennoc, stellvertretender Vorsitzender der Hilfsorganisation "L’auberge des migrants". Er weiß, wie schwer es schon jetzt ist, unbemerkt über die Grenze zu kommen:
"Die britischen Kontrollen finden schon hier statt. Calais hat in den letzten Jahren immer mehr Hindernisse erhalten, die die Migranten aufhalten sollen: Mauern, Zäune, Kameras, Scheinwerfer, Drohnen, sehr viele Polizisten und sehr raffinierte Kontrolltechnologie im Hafen."
Deswegen glaubt François Guennoc auch nicht, dass der Brexit mit den dann möglicherweise anstehenden Zollkontrollen für die Migranten viel ändern wird – die Überfahrt wird weiterhin fast unmöglich sein, und dennoch wird sie immer noch manchen gelingen.
Lange Wartezeiten nützen blinden Passagieren
Dass es möglichst wenige schaffen, dafür will Éric Meunier sorgen. Er ist Leiter der Zollbehörde im Nordosten Frankreichs und zurzeit völlig mit der Vorbereitung möglicher Zollkontrollen beschäftigt:
"Wartende Lastwagen könnten Migranten anziehen, die versuchen, in diese stehenden Fahrzeuge zu kommen, um heimlich den Ärmelkanal zu überqueren. Wir müssen deshalb einen maximalen Verkehrsfluss erreichen, damit die gesicherten Anlagen des Hafens und des Eurotunnels nicht mehr als heute durch Migranten in der Region gestört werden."
Finden die britischen Behörden, die die Lastwagen bereits auf dem Festland kontrollieren, einen versteckten Passagier, muss das Transportunternehmen umgerechnet 2.200 Euro Strafe zahlen, der Fahrer persönlich ebenfalls. Eine Summe, die umso schwerer wiegt, als der Handel durch neue Zölle sowieso belastet werden könnte. Außerdem sorgt man sich in Calais, Kunden an andere Häfen zu verlieren. Denn Großbritannien hat angekündigt, den Ausbau von Fährverbindungen nach Belgien und in die Niederlande zu unterstützen. Für den Geschäftsführer der Betreibergesellschaft des Hafens von Calais, Jean-Marc Puissesseau, ist das ein Skandal, zumal man den Briten bisher so stark entgegen gekommen sei:
"Dass der britische Verkehrsminister Grayling es wagt, rund 120 Millionen Euro für drei Fährunternehmen zu versprechen, von denen eins ab dem belgischen Hafen Ostende verkehrt, aber zur Zeit keine Schiffe und keinen Handel hat, das ist unverantwortlich. Dann werde ich vielleicht irgendwann sagen, wir kontrollieren hier nicht mehr, ob sich Migranten in den Lastern verstecken. Graylings Plan ist eine völlige Respektlosigkeit gegenüber dem Hafen von Dover und dem von Calais!"