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Energie aus Kohle

Kohle und die anderen fossilen Brennstoffe gelten als Auslaufmodelle. Mit ihren Kohlendioxid-Emissionen ruinieren sie das Klima. Doch Totgesagte leben länger! Das gilt im Besonderen für Kohle. Ihre spezifischen CO2 -Emissionen sind zwar noch höher als die von Erdöl und Erdgas; Kohle ist daher der klimaschädlichste unter den fossilen Brennstoffen. Aber die industrialisierte Welt kann es sich gar nicht leisten, auf sie zu verzichten.

Von Volker Mrasek |
    "Ja, bitte?""

    " Förster hier. Können wir mal rein?"

    " Ja."

    "Danke! "

    "Hier jetzt bitte die Treppe hoch. "

    "Hier erreichen wir jetzt die Versuchsanlage. Ich geh mal vor. Das ist einfacher ..."

    "Jetzt befinden wir uns an der Anlage. Und zwar schon so weit oben, dass wir an der Brennermündung, dort, wo die Flamme brennt, uns ein Bild machen können von den Versuchen, die zur Zeit hier durchgeführt werden. Sie sollten schon die Berührung mit dem Kessel vermeiden. Da können Sie sich schon gut verbrennen. Sie müssen sich vorstellen: Innerhalb der Brennkammer verbrennt Kohle. Die typischen Verbrennungstemperaturen liegen im Bereich jenseits von 1.000 Grad. Wir sind erst seit gestern angefahren, aber die Außentemperatur ist auch schon ganz erklecklich."

    Mitten in Aachen, nicht weit vom Hauptgebäude, steht das alte Heizkraftwerk der Rheinisch-Westfälisch-Technischen Hochschule. Ein grau-brauner, klobiger Kasten. Die Anlage ist schon lange außer Betrieb. Doch das sechsstöckige Gebäude hat neue Nutzer gefunden. Heute sind hier Kraftwerksforscher zu Hause. RWTH-Ingenieur Bernd Hillemacher ist einer von ihnen ...

    "Eigentlich befinden wir uns hier in dem ehemaligen Druckwirbelschicht-Kessel, der noch zur Nahwärmeversorgung der Hochschule diente. Der ist ausgeräumt worden. Die eigentlichen Brennräume sind nicht mehr verfügbar. Was verfügbar ist, ist der zweieinhalb Zentimeter dicke Druckmantel. Und wir konnten uns den zunutze machen, um die Versuchsanlage hier zu platzieren. "

    Hillemacher ist Geschäftsführer eines laufenden Forschungsvorhabens an der RWTH Aachen. Es heißt Oxycoal-AC. Ganz richtig: Das englische coal bedeutet Kohle, und so gibt es keinen Zweifel: In Aachen kümmert man sich intensiv um einen Sterbenskranken.

    Kohle und die anderen fossilen Brennstoffe gelten als Auslaufmodelle. Man will möglichst rasch von ihnen loskommen, denn mit ihren Kohlendioxid-Emissionen ruinieren sie das Klima. Außerdem, so hört man, werden sie zusehends knapper und vielleicht bald unbezahlbar.

    Doch Totgesagte leben länger! Das gilt im Besonderen für Kohle. Ihre spezifischen CO2 -Emissionen sind zwar noch höher als die von Erdöl und Erdgas; Kohle ist daher der klimaschädlichste unter den fossilen Brennstoffen. Aber die industrialisierte Welt kann es sich gar nicht leisten, auf sie zu verzichten - trotz internationaler Klimaschutz-Vereinbarungen und der forcierten Förderung erneuerbarer Energieträger ...

    Deshalb tüftelt man in Aachen - und auch anderswo - an einer zeitgemäßen , sauberen Kohle-Kraftwerkstechnologie. Deshalb überlegt man, wie man das Treibhausgas Kohlendioxid noch im Schornstein abfangen kann. Deshalb wird dieser Forschungszweig zur Zeit verstärkt ausgebaut ...

    "Es ist völlig klar: Aufgrund der heutigen Dominanz fossiler Energien werden wir über das Jahrhundert hinweg gesehen immer noch auf fossile Energien angewiesen sein. "

    Wolfgang Nitsch, Energieexperte beim Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt.

    "Wir haben EU-weit immer noch Steigerungsraten von ein bis zwei Prozent beim Strom pro Jahr. Und diesen Zuwachs, den können wir nicht allein durch Erneuerbare decken. "

    Ludger Mohrbach, Forschungsleiter beim Verband für Strom- und Wärmeerzeugung, VGB Power Tech.

    "Kohle ist weltweit verfügbar. Die Vorkommen reichen noch circa 200, 250 Jahre. Und es gibt genügend Kohlevorkommen, wo man auch Steinkohle und Braunkohle im Tagebau abbauen kann, so dass der Kohlepreis auch sich in Maßen hält. "

    Malte Förster, Projektleiter von Oxycoal-AC.

    "Ich denke, Deutschland hat immer noch die führende Rolle, was die Kraftwerkstechnik anbelangt, die Technologie. Wir müssen diese Kraftwerke weiter betreiben, modernisieren. Die sind bei weitem nicht am Ende! "

    Reinhold Kneer, Professor für Wärme- und Stoffübertragung an der RWTH Aachen.

    "Bis 2020 muss ungefähr ein Drittel des europäischen Kraftwerksparks ersetzt werden. Aus Altersgründen. Eine Kraftwerksanlage wird in der üblichen Weise mit 40 Jahren betrieben. Dazu kommt, dass eben dieser Zubaubedarf noch größer sein wird als der Ersatzbedarf. Und wir haben das mal versucht in Kraftwerken auszudrücken. Dieser Neubaubedarf in den nächsten 15 Jahren würde europaweit dann bedeuten, dass es ungefähr 500 Kohleblöcke oder 800 Gasblöcke sein müssten, um den Bedarf zu decken. "

    Klimapolitisch, aber auch ökonomisch gebe es hierbei nur eine Maxime, wie Kraftwerkstechniker Malte Förster sagt:

    "Grundsätzlich so viel Energie aus der Kohleverbrennung zu gewinnen, wie eben möglich ist. Und da gibt es einen theoretisch erreichbaren Wirkungsgrad. Und dem muss man sich eben nach Möglichkeit annähern. "

    Auf diesem Weg werden die geplanten Neuanlagen nach der Überzeugung von Ludger Mohrbach die nächste Etappe sein:

    "Wir können, wenn wir im Kohlesektor den bestehenden Kraftwerkspark durch die neueste verfügbare Technik oder jetzt in Entwicklung befindliche Technik ersetzen, spezifisch um die 30 Prozent einsparen an CO2 -Emissionen. Wir geben für den existierenden Kraftwerkspark der Kohlekraftwerke in Europa einen Wirkungsgrad von 36 bis 38 Prozent an. Die jetzt schon modernen Kraftwerke aus den 90er Jahren sind natürlich schon besser. Die haben Wirkungsgrade von 43, teilweise 44 Prozent. Aber wir wollen jetzt den Sprung auf 50 Prozent schaffen. "


    Gach: "Da flackert eine Schrittfolge. Also, [es] ist kein Ventil, was sich da bewegen müsste. Der Block ist ja in Betrieb."

    Ein großer Raum tapeziert mit Signalleuchten und Anzeigefenstern. Auf dem Schaltpult Bildschirme, die komplizierte Fließdiagramme zeigen. Von hier überwacht Thorsten Gach den Block F im Großkraftwerk Gelsenkirchen-Scholven. Die Anlage im Ruhrgebiet ist eine der größten ihrer Art in Deutschland. Der Energiekonzern E.ON produziert hier Strom aus Steinkohle.

    "Anhand des Fließschemas sehe ich, wo der Dampf abgenommen wird vom Kessel, wo der lang läuft. Das ist ja nur ein kleiner Teil des Dampfes, der durch die Testanlage geht.

    Das können Sie doch sicher auch irgendwo ablesen. Wie viel ist denn das?

    Zur Zeit 16,2 Kilo pro Sekunde.

    Und das ganze Kraftwerk macht?

    Das macht 2.200 Tonnen pro Stunde.

    Das müsste man jetzt wieder umrechnen.

    Faktor 50, circa.

    Zwei Prozent.

    Zirca 50 Tonnen also. "

    Der Wartenmeister hat Besuch - wie so oft in letzter Zeit. Gach fachsimpelt mit VGB-Forschungsleiter Ludger Mohrbach und E.ON-Ingenieur Christian Folke. Beide haben ein ganz besonderes Interesse an diesem Block F in Scholven. In dem über 100 Meter hohen Kessel wird derzeit die Technik für das Kohlekraftwerk der nächsten Generation getestet.

    Dadurch soll der Wirkungsgrad künftiger Anlagen auf 50 Prozent steigen. Durch eine Anhebung der Temperatur im Wasserdampf-Kreislauf ...

    E.ON-Projektleiter Folke erläutert die Details vor Ort - dort, wo wichtige Testaufbauten installiert sind: auf einer Arbeitsbühne in 104 Metern Höhe ...

    "Ein Kohlekraftwerk hat zwei wesentliche Komponenten. Das ist zum einen der Kessel und zum anderen die Turbine. Die Kohle wird verbrannt, und da wird dann heißer Dampf draus gemacht. Und in der Turbine wird der heiße Dampf in Strom umgewandelt. Und wir versuchen, möglichst viel von dieser Verbrennungswärme aus der Kohle in den Wasserdampf, in das Wasser, zu übertragen. Und nachher auf die Turbine auch. "

    Das ist ein Schlüsselschritt im Kraftwerksprozeß: Der Wasserdampf wird in die Turbine geleitet. Bei alten Anlagen ist er dabei 500 Grad Celsius heiß, bei moderneren um die 600. Christian Folke und den anderen Projektbeteiligten ist das noch zu wenig. Sie wollen auf 700 Grad Celsius hinauf. Denn je höher die Eintrittstemperatur des Dampfes, je mehr Energie also in Turbine und Generator fließt, desto größer ist auch die Stromausbeute ...

    "Wir steigen hier auf 73 Metern aus ... und gelangen zur 76-Meter-Bühne. "

    Im Block F in Scholven zwacken die Ingenieure eine gewisse Menge Wasserdampf aus dem normalen Kreislauf ab und überhitzen ihn. Das geschieht in dem riesigen Kraftwerkskessel. Projektleiter Folke hat die 76-Meter-Bühne ganz bewusst erklommen. Hier sind Luken in der Kesselwand...

    "So! Der Kessel wird etwas im Unterdruck gefahren, das heißt er zieht Luft von außen. Und da drin, in dem Höllenfeuer, da ist unser Testverdampfer. Und da drin ist auch unser Testüberhitzer. Den sieht man jetzt nicht gut, weil man durch das Feuer gar nicht durchgucken kann. Aber auf einer der Wände, da sind unsere Testflächen angebracht. "

    Comtes700 heißt die Versuchsanlage in Scholven. Das steht für Komponententest bei 700 Grad Celsius. Im Mittelpunkt steht nicht so sehr die Prozesstechnik, sondern die Materialforschung. Die Frage ist: Gibt es überhaupt Werkstoffe, die auf Dauer so hohe Dampftemperaturen und Arbeitsdrücke wie in einem 700-Grad-Kraftwerk aushalten?

    Ein Grundlast-Kraftwerk soll über Jahrzehnte störungsfrei laufen und täglich Strom liefern. Da stellt sich natürlich die Frage nach dem Materialverschleiß von Rohrleitungen und Ventilen ...

    "Wir testen jetzt bis 2009, ob diese Komponenten auch bei 700 Grad einwandfrei arbeiten, das heißt also: Schließt dieser Absperrschieber auch richtig? Sind die Dichtungen dicht? Tauchen da Risse auf oder auch nicht? Wir müssen ja hier für 700 Grad neue Stähle einsetzen, die so im Kraftwerksbau noch nicht getestet worden sind. "

    Bisher sind Eisen-Chrom-Stähle das Material der Wahl. Doch sie würden höhere Heißdampftemperaturen nicht verkraften, wie Ludger Mohrbach erläutert:

    "Für 700 Grad brauchen Sie hochspezialisierte nickelbasierte Stähle, also mit einem hohen Nickelanteil. Weil Nickel speziell diese Temperaturen besser aushält als Eisen. Und diese Stähle sind im Labormaßstab auf solche Temperaturen und Drücke qualifiziert, aber es gibt noch keine Anlage, die weltweit so etwas in Betrieb gesehen hat. "

    Comtes700 ist insofern ein einzigartiges Pilotprojekt. E.ON-Ingenieur Folke sieht es auf einem guten Weg:

    "Der VGB, der Projektkoordinator ist, und E.ON Kraftwerke haben also eine Reihe von Anfragen. Auch aus dem asiatischen Raum, aus USA und so weiter. Und die positive Betriebsnachricht, die ich so weit geben kann, ist, dass wir diverse tausend Betriebsstunden mit 700 Grad schon erreicht haben. "

    Folkes Unternehmen plant bereits über die Pilotanlage hinaus. Im Jahr 2015, so hat es E.ON vor, soll das erste 700-Grad-Demonstrationskraftwerk in Betrieb gehen. Mit einer Leistung von immerhin 400 Megawatt:

    "Für die 400-Megawatt-Anlage brauchen wir aber noch größere Komponenten. Und auch noch die Turbine. Letztendlich müssen wir auch noch eine Machbarkeitsstudie haben. Sie müssen bedenken, die 400-Megawatt-Demoanlage wird uns sicherlich diverse hundert Millionen Euro kosten. Und die Entscheidung fällt man dann ungern auf Basis der halben Betriebsstunden, die man eigentlich bräuchte, um eine verlässliche Aussage zu machen. "

    In das Comtes700-Projekt sind alle großen Energieversorger mit eingebunden. Doch nicht jeder will später einmal 700-Grad-Kraftwerke bauen. RWE zum Beispiel schlägt einen anderen Weg ein. Der Konzern will Kohle in Zukunft nicht mehr direkt verbrennen, sondern zunächst einmal vergasen. Der Vorteil dabei: Mit dem entstehenden, heißen Brenngas kann man zusätzlich eine Gasturbine betreiben. Man kommt also zu einem kombinierten Gas- und Dampfkraftwerk.

    Solche GuD-Anlagen gibt es heute schon im Großmaßstab. Nur werden sie nicht mit Kohle betrieben, sondern mit Erdgas. Sie erreichen Wirkungsgrade von fast 60 Prozent - viel mehr als jeder Kohle-Meiler.

    Mit Verdampfungs-Kraftwerken kann man das GuD-Verfahren aber auch der Kohle zugänglich machen. RWE hat angekündigt, bis zum Jahr 2014 ein solches Gas- und Dampfturbinen-Kraftwerk auf Kohle-Basis zu bauen ...

    Mohrbach: "Diese Technik ist in den letzten 20 Jahren entwickelt worden, und es gibt einige Prototypanlagen, die auch bis heute zum Teil gut laufen. "

    Doch diese Prozesstechnik hat auch ihre Nachteile, wie VGB-Experte Ludger Mohrbach nicht verhehlt. Die Anlage für die Kohlevergasung ist fast so groß wie das Kraftwerk selbst. Und sie verbraucht so viel Energie, dass der Wirkungsgrad-Gewinn durch die Gas-Turbine zu einem Großteil wieder aufgefressen wird. An 60 Prozent wie bei erdgasbefeuerten GuD-Kraftwerken ist nicht im Entferntesten zu denken. Die Frage ist, ob bei einem Betrieb mit Kohle überhaupt 50 Prozent möglich sind:

    "Es gab eine zeitlang die Frage: Wo geht die Entwicklung im konventionellen Kraftwerksbau hin? Inzwischen scheint es zumindest für unsere Verhältnisse so zu sein, dass die Effizienzsteigerung, also die 700-Grad-Technik, vorne sein wird. "

    Trotzdem will RWE in ein GuD-Kohlekraftwerk investieren. Der Reiz der Technologie liegt wohl vor allem darin, dass es nur ein vergleichsweise kleiner Schritt ist von der Kohlevergasung zur Kohleverflüssigung. Und damit zur Herstellung von Treibstoffen. Bei weiter steigenden Öl- und Benzinpreisen dürfte sich so etwas bald finanziell lohnen. Allerdings fiele dann noch mehr Kohlendioxid an …

    "Wenn man insgesamt das Bild betrachtet, wird enorm viel von der CO2 -Frage abhängen. "

    Schon jetzt ist absehbar, dass sich das Klimaproblem rascher zuspitzt als noch vor Jahren gedacht. Selbst die Energieerzeuger sehen inzwischen ein, dass es nicht genügen wird, Strom effizienter zu erzeugen. Jedes Prozent mehr beim Wirkungsgrad reduziert zwar den CO2 -Ausstoß pro verbrannter Tonne Kohle. Doch insgesamt könnten die Treibhausgas-Emissionen der fossil befeuerten Kraftwerke sogar weiter steigen. Erst recht in Schwellenländern wie China und Indien, wo der Strombedarf regelrecht explodiert.

    Deswegen strebt die aktuelle Kraftwerksforschung nach der "sauberen Kohle-Technologie". In Zukunft soll das Klimagas Kohlendioxid gar nicht mehr in die Atmosphäre entweichen; in Zukunft will man "CO2 -freie Kraftwerke" haben: Anlagen, bei denen das Kohlendioxid aus dem Rauchgas abgeschieden und an anderer Stelle sicher deponiert wird - in leeren Erdgas-Lagerstätten zum Beispiel oder in porösen Gesteinsformationen tief in der Erde.

    Auch auf diesem Gebiet wird in Deutschland intensiv geforscht

    "So, jetzt haben wir eine etwas längere Fahrstuhlfahrt vor uns.

    Ja.

    Jetzt geht’s auf?

    151,3 Meter."

    Der Kessel im Scholvener Kraftwerksblock F ist schon ein Ungetüm. Was soll man da erst zu diesem hier sagen, im Großkraftwerk Schwarze Pumpe in der Lausitz, zwischen Cottbus und Hoyerswerda?

    Kosel: "Wir sind jetzt auf der höchsten Ebene, die der Fahrstuhl befahren kann. Und müssen jetzt noch den Rest bis zum Kesseldach laufen."

    Der Höhentrip führt Armin Weimert und Daniel Kosel schließlich auf 160 Meter. Die beiden Ingenieure arbeiten für den Energieversorger Vattenfall, der das Kraftwerk Schwarze Pumpe betreibt. Seine Kesselhäuser überragen sogar den Kölner Dom ...

    "Hier sollte man dann schon schwindelfrei sein, weil man hier über Laufgitter in knapp 160 Meter Höhe läuft. Man kann durch die Gitterroste, durch die Laufgitter, den Kraftwerksboden sehen. "

    Am Ende geht es sogar noch höher hinaus - bis auf die Aussichtsplattform über dem Kraftwerksblock A. Es ist eine geräumige, rundherum mit Scheiben versehene Glas-Kanzel ...

    "So! Frisch klimatisiert in luftiger Höhe."

    Aus exakt 161,5 Metern Höhe fällt Daniel Kosels Blick auf eine angrenzende, knapp zwei Hektar große Geländefläche. Vor kurzem war sogar Bundeskanzlerin Angela Merkel dort unten. Zum Spatenstich ...

    "Die Fläche ist die alte Kühlturmfläche West des Alt-Kraftwerkes Schwarze Pumpe, was hier früher mal stand. Also, das alte ist weg. Und wir bauen was Hochmodernes wieder drauf. "

    Bei E.ON im Ruhrgebiet läuft die weltweit erste Testanlage für noch heißere und damit effizientere Dampfkraftwerke. Hier, im Lausitzer Braunkohle-Revier, entsteht parallel dazu das erste CO2 -freie Demonstrationskraftwerk der Welt. Vattenfall will es Mitte 2008 in Betrieb nehmen.

    Hubertus Altmann, Leitender Ingenieur in der Kraftwerkssparte von Vattenfall in Cottbus:

    "Also, wir sehen unsere Pilotanlage in Schwarze Pumpe als einen Baustein in der gesamten Technologieentwicklung. Wir werden dort Versuchsbetrieb über mehrere Jahre durchführen. Wenn das alles gelingt, dann wird man dahinkommen, dass man, ja, 2015 so ein Kraftwerk in Auftrag geben kann. Dann heißt das: Es kann 2020 in Betrieb gehen."

    Es gibt zwei unterschiedliche Ansätze, um das Kohlendioxid abzuscheiden. Als nahe liegend mag zunächst erscheinen, dass man die Kohle wie gehabt mit Luft verbrennt und hinterher eine Rauchgas-Wäsche durchführt. Der Aachener Kraftwerksexperte Malte Förster hält das jedoch für die falsche Strategie:

    " Wenn Sie jetzt Luft nehmen, dann haben Sie 80 Prozent Stickstoff, den Sie bei der Kohleverbrennung mit erhitzen. Und am Ende haben Sie dann 80 Prozent Stickstoff, und die restlichen 20 Prozent CO2 . Und jetzt müssen Sie aus diesem Gemisch die 20 Prozent CO2 wieder abtrennen."

    Dieser Prozess frisst sehr viel Energie und schmälert den Wirkungsgrad einer Stromerzeugungsanlage um rund zehn Prozent ...

    Förster: "Man umgeht dieses Problem, indem man von vorneherein den Stickstoff vermeidet. Und statt Stickstoff CO2 nimmt. Was sich anbietet, ist dann natürlich das CO2 , was bei der Verbrennung sowieso entsteht. Dass man das wieder nimmt, mit dem Sauerstoff mischt und wieder der Verbrennung zuführt. "

    Nur mit Sauerstoff zu arbeiten verbietet sich:

    "Eine reine Sauerstoffverbrennung erzeugt extreme Temperaturen. Die will man ja gar nicht. Man fährt also einen Teilstrom im Kreis. Und dann haben Sie 100 Prozent CO2. Und dann brauchen Sie nicht mehr viel zu machen. "

    Genau dieses Verfahren wird Vattenfall in seinem Pilotkraftwerk Schwarze Pumpe anwenden. In Anspielung auf den Sauerstoff nennt es sich Oxyfuel oder Oxycoal ...

    "Das bedeutet, dass Sie im ersten Schritt aber dann die Luft so zerlegen müssen, dass Sie den Sauerstoff von dem Stickstoff trennen. Es ist lange bekannt, wie man das machen kann. Seit Lindes Zeiten gibt’s die Luftzerlegung, die kryogene Luftzerlegung, indem man die Luft extrem tief kühlt und dann die beiden Komponenten trennen kann."

    Vorbehandlung des Brenngases statt Nachbehandlung des Abgases - das ist das Motto. Weil die Wirkungsgradverluste dann kleiner ausfallen. Aber auch das Tiefkühl-Verfahren kostet Energie. Weniger als die CO2 -Wäsche zwar, aber immer noch sehr viel.

    Vattenfall-Ingenieur Altmann rechnet jedoch auch auf diesem Gebiet mit technischen Fortschritten:

    "Man muss zum Beispiel dieses kryogene Verfahren vielleicht für die Zukunft nicht zwingend anwenden. Es gibt also konkrete Projekte, wo über Membrantechnologien nachgedacht wird. Wo man versucht, über die Anwendung von Membranen diese hohen Energieaufwendungen zu vermeiden. Und wenn das gelingt, dann hätte man also die Chance, diesen hohen Wirkungsgradverlust nicht unbedingt zulassen zu müssen. "


    Förster: "Das ist eine Messwertüberschreitung an einer bestimmten Stelle. Wir müssen nicht aus der Anlage raus. Es hat ja auch schon wieder aufgehört."

    Zurück im alten Heizkraftwerk der RWTH Aachen. In ihrem Oxycoal-Teststand arbeiten Malte Förster und seine Kollegen eifrig an der optimierten Verbrennungstechnik für künftige Kohlemeiler. Und sie tüfteln auch schon an den geforderten Trennmembranen.

    Ihr Versuchskessel ist so dick wie eine Litfasssäule. Ein Winzling im Vergleich zu den Brennkammern im Kraftwerk also. Doch im Prinzip bietet er das gleiche Bild: Auch um den Aachener Mini-Reaktor windet sich ein Gewirr von Leitungen und Ventilen.

    Die Aachener Brennkammer hat sogar Bullaugen. Davor sind Videokameras postiert. Peter Horstmann wirft einen Blick durch die Linse. Der Ingenieur ist verantwortlich für die Maschinentechnik der Anlage:

    " Die Kamera fängt zur Zeit eine Kohleflamme ein. Es wird im Moment ein Versuch gefahren mit rheinischer Braunkohle. Sie reißt teilweise ein bisschen ab. Wir versuchen jetzt noch Einstellungen zu finden, wo wir eine konstante Flamme haben."

    Diesem Kohlefeuer werden auch die Testmembranen ausgesetzt. Laut Projektleiter Förster kennt man bereits geeignete keramische Materialien dafür. Es sind Perowskite - Kristalle, die in natürlichen Gesteinen vorkommen, zum Beispiel in Basalt. Im Prinzip funktionieren sie wie ein molekulares Sieb. Heizt man die Perowskite bei Überdruck auf, gescheiterweise mit dem Rauchgas des Kraftwerkes, dann wandert der Sauerstoff durch das Kristallgitter. Der Stickstoff aber bleibt zurück:

    Förster: "Diese Membran funktioniert bei 800 Grad. Und hat den Vorteil, dass Sie vom Wirkungsgrad her deutlich günstiger liegen als bei einer kryogenen Luftzerlegung. "

    Noch müssen sich die Kraftwerksplaner allerdings in Geduld üben:

    "Die Technologie, die in Aachen entwickelt wird, ist sicher nicht die Kraftwerkstechnologie der nächsten Generation, sondern die der darauf folgenden Generation. An der Stelle ist eben noch Forschungsarbeit nötig, weil diese Membran bisher weltweit so noch nicht betrieben wurde. "

    Mit neuen Kraftwerken ist es wie mit neuen Flugzeugen: Planung, Entwicklung und Erprobung dauern Jahrzehnte. Die Zeiträume, in denen ein Energieversorger wie E.ON die Anlagen später betreibt, sind sogar noch länger:

    Folke: " Wir sind dann wieder mit der neuen Kraftwerksgeneration für die nächsten 30, 40 Jahre an eine Technik gebunden. "

    Wenn in den nächsten anderthalb Jahrzehnten ein Drittel der alten Kohlekraftwerke in Europa ersetzt wird, dann kommt also fürs erste noch konventionelle Technik zum Zug. 700-Grad-Kreislauf und Kohlendioxid-Abtrennung stehen so schnell nicht zur Verfügung - großtechnisch frühestens im Jahr 2020, wie viele Experten meinen. Vielleicht sogar erst 2025. Kohle-Kraftwerke, die bis dahin entstehen, werden ihren Wirkungsgrad daher nur geringfügig verbessern. Und sie werden das Klima weiter mit ihren Treibhausgas-Emissionen belasten. Vielleicht sogar für Jahrzehnte.

    Es gilt zwar als technisch möglich, bestehende Anlagen mit einer CO2 -Rauchgaswäsche nachzurüsten. Doch die wenigsten halten das für realistisch. Brennstoffbedarf, Kosten und Strompreise schössen in die Höhe, die Anlagen wären nicht mehr wirtschaftlich zu betreiben.

    Das Stigma des großen Klimasünders kann die Energiebranche wohl erst loswerden, wenn das CO2 -freie Kraftwerk wirklich praxisreif ist. Dann, sollte man meinen, wird niemand mehr die Kohleverstromung in Frage stellen. Zumal die Ressourcen ja noch für mindestens zwei Jahrhunderte reichen. Anders als bei Öl und Erdgas.

    Doch so sicher ist es gar nicht, dass Kohlekraftwerke in Zukunft ihr CO2 abzweigen und in Kavernen oder alten Lagerstätten tief in der Erde deponieren. VGB-Forschungsleiter Ludger Mohrbach ist nicht der Einzige, der sich fragt, wo der ganze Speicherraum herkommen soll:

    "Vom Verständnis her muss man sich klarmachen, dass pro Tonne Kohlenstoff, den wir verbrennen, drei Tonnen CO2 entstehen. Das heißt, alles das, was wir aus Bergwerken rausgeholt haben, müssen wir in dreifacher Menge wieder runterbringen."

    Auch die Möglichkeiten, das Klimagas industriell zu nutzen, seien begrenzt, sagt RWTH-Forscher Malte Förster:

    " Es sind riesige Mengen, die anfallen. Ein Kraftwerk in Deutschland würde ein Mehrfaches des Jahresverbrauches an CO2 , was technisch gebraucht wird, erbringen."

    Schließlich ist auch noch gar nicht geklärt, ob die Deponierung im Untergrund auch wirklich funktioniert. Ob das Klimagas nicht eines Tages doch wieder ans Tageslicht kommt. Forscher aus Texas berichten soeben, dass sich Minerale im Kontakt mit dem injizierten, kohlensauren CO2 unter Umständen lösen. Dadurch, warnen sie, könnten Klüfte im Gestein entstehen, durch die das Gas entweicht.

    Mit der Kohlendioxid-Entsorgung steht und fällt jedenfalls auch das Konzept vom klimaneutralen Kohlekraftwerk. Vattenfall-Ingenieur Hubertus Altmann sieht das ganz nüchtern:

    "Das muss parallel jetzt erforscht werden und letztlich auch einer gesellschaftlichen Akzeptanz zugeführt werden. Ohne diese Speicherung wäre eine - ich sag jetzt mal - gesetzlich verordnete CO2 - Vermeidung aus Kohlekraftwerken nicht möglich. Muss man ganz klar sagen. "

    Das Schicksal der Kohlenutzung ist insofern noch offen. Erdöl und Erdgas werden binnen Jahrzehnten zur Neige gehen und ihren letzten Weg auf den Saurierfriedhof antreten. Kohle dagegen könnte sogar noch eine gewisse Zukunft als Energieträger haben - sofern man tatsächlich zu Kraftwerken kommt, die kein Klimagas mehr in die Luft blasen.

    Wenn das gelingt, ist sogar noch eine weitere Kraftwerks-Evolution denkbar. Man könnte sich die Vergasungsanlagen in Kombination mit Brennstoffzellen vorstellen. In einem solchen Hybrid-Kraftwerk wird die Kohle vergast, es entsteht Wasserstoff, und den speist man zur Stromerzeugung in die Brennstoffzellen. Mit viel höheren Wirkungsgraden als heute.

    Man muss auch sehen: Eine aufstrebende Großmacht wie China sitzt auf riesigen eigenen Lagerstätten und wird ihren rapide steigenden Energiebedarf nicht ohne Kohle decken wollen und können ...

    Mohrbach: "Wenn wir 30 Millionen Tonnen Steinkohle im Jahr verbrennen, dann ist das das, was in China der Zuwachs in einem Jahr ist. Dort ist die Förderung allein über eine Milliarde Tonnen inzwischen."

    Auch wenn die Erneuerbaren Energien weiterhin kräftig ausgebaut werden, ...

    ... auch wenn die Kernenergie mit ihrer heute schon CO2 -freien Elektrizitätserzeugung eine Renaissance erleben sollte ...

    "Wir werden nicht umhinkommen, große Kohlekraftwerke auch in Zukunft bereitzustellen für die Grundlastversorgung.

    Ich würde sie auch nicht Dinosaurier nennen.

    Das wird die Option auch für die nächsten Jahrzehnte sein.

    Aber es muss dann einen großen Schritt geben in die Anwendung der CO2 -freien Kraftwerkstechnologie, wenn man das Thema Klimaveränderung ernst meint und diesem Thema ernsthaft begegnen will.

    Aufgrund der Vorgaben der Klimaforscher müssen wir den Ausstoß von Treibhausgasen weltweit bis zur Mitte des Jahrhunderts halbieren. Das ist die oberste Zielsetzung."