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Energie aus Uran

Seit einem Jahr baut das französisch-deutsche Unternehmen Areva NP den Europäischen Druckwasserreaktor. Ein neues Atomkraftwerk in Europa - noch vor zehn Jahren war das undenkbar. Doch die Industrienationen sind nervös geworden. Die Preise für Gas und Öl explodieren. Die Vorräte in der Nordsee und in Texas gehen zur Neige, die Abhängigkeit von Russland und dem Nahen Osten wächst. Zudem lässt sich der Klimawandel nicht mehr leugnen.

Von Sönke Gäthke | 30.07.2006
    Finnland. Die Halbinsel Olkiluoto, eine Stunde Autofahrt von der Stadt Pori entfernt. Links und rechts Kiefernwälder, weiter vorn die Ostsee. Im Rücken zwei große Quader, rot mit weißen Kanten - wie die Holzhäuser.

    Das sind die Kernkraftwerke Olkiluoto eins und zwei, gebaut in den achtziger Jahren. Sie erhalten jetzt Zuwachs: Olkiluoto drei. Größer, leistungsfähiger und moderner: ein EPR, ein Europäischer Druckwasserreaktor, der erste Reaktor einer neuen Generation.

    Zu Füssen eine tiefe Grube, hineingesprengt in den felsigen Boden. Zum Teil gefüllt mit mächtigen Beton-Fundamenten. Darüber ein weißes, provisorisches Haus. Christian Wilson von Areva NP:

    "Ja, also wir stehen hier direkt vor dem späteren Reaktorgebäude, das Reaktorgebäude ist hier noch abgeschirmt durch ein so genanntes Winter- oder Weathershelter, einfach aus dem Grund auch weil die Arbeiten, die hier stattfinden, die müssen natürlich vor extremen Umwelteinflüssen, Wettereinflüssen, wie sie hier in Finnland stattfinden können, ja auch geschützt werden. "

    Seit einem Jahr baut das französisch-deutsche Unternehmen den Europäischen Druckwasserreaktor. Der Framatome-Nachfolger setzt große Hoffnungen in diesen Reaktor: Er soll das Geschäft mit den Kernreaktoren in Europa, später vielleicht auch in den USA wiederbeleben und so das Überleben der Branche sichern.

    Am Rand eine Holztreppe. Sie führt nach unten. In das künstliche Tal. Zwischen steilen Wänden verteilt eine Raupe Sand auf dem felsigen Boden.

    Ein neues Atomkraftwerk in Europa - noch vor zehn Jahren war das undenkbar. Temelin in Tschechien oder Cernavoda in Rumänien, gut, das sind Atomkraftwerke, die lange vor 1990 geplant wurden, aber erst jetzt fertig werden. Aber ein ganz neues Projekt? Noch um die Jahrtausendwende schien die Zukunft ganz und gar Kohle, Gas und den Regenerativen Energien zu gehören.

    Schweden, Belgien und Deutschland hatten den Ausstieg aus der Atomenergie beschlossen. Österreich ein bereits fertig gebautes Kraftwerk nie in Betrieb genommen, Italien alle seine Atommeiler abgeschaltet. Und auch England begann auszusteigen, wenn auch nicht politisch motiviert: In den kommenden Jahrzehnten sollen die britischen Atomkraftwerke abgeschaltet werden, weil sie alt sind.

    Doch jetzt hat sich der Wind gedreht.

    G8 Staaten setzen auf Atomenergie.

    CDU will Atomkraftwerk an deutsch-polnischer Grenze.

    Polnische Wissenschaftler wollen Atomkraftwerke an Polnisch-Deutscher Grenze.

    Was hat sich in den letzen Jahren geändert?

    Die Industrienationen sind nervös geworden. Die Preise für Gas und Öl explodieren. Die Vorräte in der Nordsee und in Texas gehen zur Neige, die Abhängigkeit von Russland und dem Nahen Osten wächst. Zudem lässt sich der Klimawandel nicht mehr leugnen.

    Politiker und Energieexperten sehen daher in der Kernenergie wieder eine Option. CO2-frei und unabhängig vom Öl soll sie zum idealen Energiemix der Zukunft beitragen. Von neuen Reaktortypen versprechen sich Befürworter mehr Sicherheit und eine bessere Ausbeute des Brennstoffs Uran.

    Die Frage ist jedoch: Kommen diese Entwicklungen schnell genug? Und welchen Beitrag kann die Kernenergie tatsächlich zum Klimaschutz leisten.

    Am Grund der Grube. Eingekreist von Granitwänden. Höhe ca. 10 Meter. Bagger fahren vorbei. Vorn das Fundament. Weißer Beton. Holztreppen führen hoch. Zum Eingang. Christian Wilson:

    " Hier müssen wir die ersten Stufen überwinden, über die Betonfundamente, man sieht schon, wenn man auf diese Fundamente drauf steigt, welche Mächtigkeit sie haben werden, und das zeugt auch von der Sicherheitsphilosophie, die dahinter steckt hinter dem ganzen Bauwerk EPR auch, also nicht nur die Fundamentplatten, die aus mehreren, meterdicken Betonplatten insgesamt zusammengesetzt sind, sondern das setzt sich ja auch nach oben hin fort, in eine zweifache Beton-Bewehrung, die also einerseits vor Unfällen von innen nach außen schützt und andererseits den inneren Bereich auch vor Auswirkungen von außen schützt. "
    Der Eingang. Zum Wetterschutz. Schmal. Halbdunkel drinnen. Eine Stahlwand, Eisenstangen. Viele Eisenstangen. Arbeiter bleiben unsichtbar.

    Beton und Stahl - darauf gründet die Sicherheit des EPR. Und Sicherheit ist der wichtigste Faktor bei Kernkraftwerken.

    Ein Atomkraftwerk ist im Prinzip eine Batterie von Tauchsiedern - den Brennstäben. Aufgeheizt durch zerfallendes Uran werden sie in Wasser getaucht und bringen es zum Kochen. Der Dampf schließlich treibt eine Turbine an.

    Wenn alles glatt läuft. Wenn aber die Kühlung ausfällt, dann droht eine Katastrophe.

    Die Tauchsieder, die Brennstäbe, werden immer heißer, bis sie schließlich schmelzen. Eine glühende Masse strahlenden Materials bahnt sich dann ihren Weg durch das Kraftwerk. Trifft Wasser auf diese Schmelze, verdampft es explosionsartig und sprengt den Reaktor auseinander. Feiner, radioaktiver Staub verteilt sich in der Umwelt.

    Als der Meiler von Tschernobyl explodierte, zog eine radioaktive Wolke über ganz Europa.

    Drei Faktoren sollen so einen Unfall in Zukunft verhindern: aktive Sicherheitssysteme, passive Sicherheitssysteme und eine Auslegung des Reaktors, die einen Unfall unwahrscheinlich macht. Rüdiger Leverenz von Areva NP in Erlangen:

    " Also beim EPR handelt es sich in der Regel um aktive Sicherheitssysteme. "

    Wenn es um die Sicherheit von Reaktoren geht, unterscheiden Fachleute gern zwischen aktiven und passiven Systemen. Aktiv ist alles, was von Menschen geschaltet werden muss oder Strom benötigt wie etwa Pumpen oder Schalter.

    Der Vorteil: Diese Systeme sind erprobt. Der Nachteil: Fällt der Mensch oder der Strom aus, fallen auch die Sicherheitssysteme aus.

    Passiv ist alles, was von alleine läuft, nur den Regeln der Physik folgt.

    Der Nachteil: Sie sind relativ neu und nicht erprobt. Der Vorteil: Fällt der Mensch oder der Strom aus, sorgen die passiven Systeme weiterhin für Sicherheit. Leverenz:

    " Es gibt auch beim EPR, wie auch bei den Konvoi-Anlagen einige passive Sicherheitsauslegungsmerkmale wie zum Beispiel die passiv einfallenden Steuerelemente für die Reaktor-Schnellabschaltung, das Containment, oder das Sicherheitsbehältnis selbst ist eine passive Sicherheitseinrichtung, und auch die Vorkehrungen für die Beherrschung dieser hypothetischen Kernschmelzunfälle funktionieren weitestgehend passiv. "

    Das ist das Neue an diesem Reaktor: Zum ersten Mal kalkulieren die Ingenieure den Totalausfall aller Sicherheitssysteme mit ein. Auch damit soll das Kernkraftwerk fertig werden.

    " Also, wir haben jetzt bei dem EPR eine Ausbreitungsfläche unterhalb des Reaktordruckbehälters angeordnet und im Falle einer Kernschmelze wird diese Schmelze innerhalb dieser Ausbreitungsfläche aufgefangen und stabilisiert, so dass sie nicht den Sicherheitsbehälter verlassen kann, einerseits, andererseits werden frei gesetzte Gase innerhalb des Sicherheitsbehälters zurückgehalten, der Sicherheitsbehälter ist auf einen entsprechenden Störfalldruck ausgelegt, so dass die Leckdichtheit dieses Sicherheitsbehälters sichergestellt wird, so dass keine radioaktive Freisetzung erfolgt."

    Die Tauchsieder, die Brennstäbe, werden immer heißer, bis sie schließlich schmelzen. Eine glühende Masse strahlenden Materials bahnt sich dann ihren Weg durch das Kraftwerk -- wird aufgefangen in einem Becken, breitet sich wie ein Pfannkuchen auf einer kalten Herdplatte aus, dampft aus und kann dann irgendwann gekühlt werden.

    Dafür die ungeheuren Mengen Beton und Stahl beim EPR in Olkiluoto.

    Im Reaktorgebäude. Links eine gebogene Stahlwand, meterhoch. Rechts vier Reihen dicke Stahlstangen, im Kreis. Mehr Holztreppen. Niedrige Durchgänge.

    Der Weg führt um den künftigen Reaktor herum. Der wird hinter der Stahlwand gebaut. Eine Etage tiefer entsteht das Auffangbecken. Wir dürfen keinen Blick auf die Arbeiten werfen - aus Sicherheitsgründen. Man kann nur durch schmale Öffnungen hineinkriechen. Und es dürfen nie mehr Menschen als Öffnungen innerhalb des Stahlkranzes sein - damit sie bei Gefahr alle schnell fliehen können. Wilson:

    " Also wir umrunden hier gerade das Reaktorgebäude auf dem Weg zum späteren Brennstoff-Gebäude, und man sieht, man muss immer wieder die Köpfe einziehen, hier, es ist schon auch eine Baustelle wie jede andere, auf der einen Seite, auf der anderen Seite muss auf dieser Baustelle jedoch auch jeder Arbeitsschritt vorher abgeklärt werden, zum Beispiel auch die Qualität des vergossenen Betons wird also ständig nachgeprüft, auch von unabhängigen Laboratorien, dadurch wollen wir auch sicherstellen, dass selbst wenn Abweichungen festgestellt werden, dass man die also nachher beurteilen kann oder gegebenenfalls korrigieren. "

    Hier entsteht also das System des EPR, das den Reaktor sicherer machen soll als seine Vorläufer.

    Ein passives Sicherheitssystem. Daneben wird die Sicherheit des Reaktors noch von seinen aktiven Systeme bestimmt und von seiner Auslegung.

    Nicht alle sind allerdings davon überzeugt, dass das Prinzip funktionieren kann. Das Problem ist die Kühlung, sagt Henrik Paulitz von der Deutschen Sektion der Internationalen Ärzte für die Verhütung des Atomkriegs IPPNW:

    "Wenn diese Schmelze gekühlt wird mit Hilfe von Wasser, dann kann es zu Dampfexplosionen kommen, zu eruptiven Prozessen. Man hat im Kernforschungszentrum Karlsruhe verschiedene Untersuchungen, Experimente durchgeführt, mit dem Ergebnis, dass bei verschiedensten Kombinationen dieser metallischen Schmelze mit dem Kühlwasser, egal, wie man es anstellt, sozusagen, kommt es zu hocheruptiven, explosiven Prozessen, in Karlsruhe ist wiederholt die Experimentieranlage regelrecht hoch gegangen, es sind tonnenschwere Metalldeckel abgehoben und hochgeschleudert worden. "

    Die Frage ist also, ob die Druckhülle des EPR stabil genug konstruiert wurde. Doch auch mit den aktiven Schutzsystemen ist Henrik Paulitz unzufrieden.

    " Der EPR ist angewiesen auf eine elektrische Energieversorgung, um Tausende von Motoren steuern und verstellen zu können, und dieses Kraftwerk zu steuern, dies ist eine zentrale Schwachstelle dieser Anlage."

    Am 10. Mai 2000 fiel im Deutschen Kernkraftwerk Neckarwestheim 1 für 14 Minuten während einer Simulation ein zentrale Sicherheitseinrichtung aus: Die Steuerstäbe ließen sich nicht mehr bewegen. In der Untersuchung kam die Reaktorsicherheitskommission zur Überzeugung, dass die neu installierte digitale Leittechnik den Ausfall verursacht hat. Der Fehler wurde behoben. Doch die Reaktorsicherheitskommission beschloss, digitale Leittechniken weiter im Blick zu behalten.

    Auch der EPR in Finnland soll eine digitale Leittechnik erhalten. Paulitz hält diese prinzipiell für unsicher.

    Und auch der dritte Sicherheitsfaktor, die Auslegung des Reaktors, könnte Grund zur Sorge sein. Paulitz:

    " Das betrifft allein die Leistungsgröße, die schrittweise heraufgesetzt wurde auf 1600 Megawatt, obwohl sich die Reaktorsicherheitsexperten vor 10, 20 Jahren einig waren, dass man die Leistung auf maximal 600 Megawatt begrenzen müsste. Um eben von dieser Kernschmelzgeschichte weg zu kommen. "

    Dabei gibt es Reaktor-Konzepte, die sicherer sind. Den SWR 1000 beispielsweise, mit mehr passiven Sicherheitssysteme, die es erlauben, den Reaktor nach einem Unfall sich selbst zu überlassen, ohne dass es zu einer Katastrophe kommt. Oder den Hochtemperatur-Kugelhaufen-Reaktor.

    Das Konzept wurde seit den sechziger Jahren in Deutschland vom Forschungszentrum Jülich entwickelt: Das Uran wird dabei in Kugeln aus Graphit in den Reaktor geschüttet. Gekühlt wird der Meiler mit Gas: mit Helium, Stickstoff oder Kohlendioxyd.

    Fällt in diesem Reaktortyp einmal die Kühlung aus, bleibt die große Katastrophe aus. Wolfgang Kröger, von der ETH in Zürich:

    " Es hat einfach damit zu tun, dass im Normalbetrieb die Wärme, die man also - pro Volumeneinheit, also pro Kubikmeter erzeugt, im Vergleich zu einem LWR kleiner ist. "

    Kröger hat lange Jahre ebenfalls in Jülich gearbeitet. LWR ist übrigens die Abkürzung für Leicht Wasser Reaktor. Der EPR ist ein Leichtwasserreaktor.

    " Dementsprechend ist bei gleicher Leistung der Reaktor selbst viel größer als der Leichtwasserreaktor zum Beispiel.

    Das hat eben zur Folge, dass diese Einheiten größer bauen, hat den Vorteil dann auch mit dem Bauelement Graphit zusammen, dass man eine so genannte Wärmekapazität, eine große Wärmekapazität erzeugt, und in diese Wärmekapazität, in die Stoffe, die diese Eigenschaft haben, leitet man dann die Nachzerfallswärme ein, und die Temperaturen steigen dann langsam moderat an bis hin zu einem Maximum, und wenn dieses Maximum in den Brennelementen einen bestimmten Wert, konkret etwa 1600 Grad nicht überschreitet, dann verlieren die Hüllen um die kleinen Brennstoffpartikel herum nicht ihre Rückhalteeigenschaften, und damit bleiben die Spaltprodukte, die sich dort befinden, an Ort und Stelle."


    Mehr als 165 Megawatt Strom darf der Reaktor allerdings nicht produzieren. Sonst verliert auch dieser Reaktor seine Sicherheitseigenschaften.

    Hier trifft das Sicherheitsbedürfnis auf die Wirtschaftlichkeit.

    Kernkraftwerke sind teuer. Der Bau des EPR in Olkiluoto ist mit 3 Milliarden Euro veranschlagt. Zu diesem Preis muss der Reaktor Leistung bringen, damit der Strompreis konkurrenzfähig ist.

    Die 165 Megawatt, die ein Kugelhaufenreaktor produzieren darf, wären da viel zu wenig. Wolfgang Kröger:

    " Nun hat man es fertig gebracht, dass man diese Preise wohl deutlich reduziert hat bei den modernen Anlagen, auch dadurch, dass man auf Sicherheitssysteme, die Leichtwasserreaktoren haben, hier verzichten kann, beziehungsweise hofft, verzichten zu können; hoffen heißt, dass auch die Genehmigungsbehörde das akzeptiert. So dass also wirklich diese kleinen Brennelemente das eigentliche sicherheitstechnische Herzstück sind, sie verlieren ihre Rückhalteeigenschaften für Spaltprodukte nicht, und dann braucht man viele andere Sicherheitseinrichtungen, die ein großer Leichtwasserreaktor hat, nicht, dann kriegt man also sozusagen da einen Bonus. "
    Das Südafrikanische Unternehmen ESKOM, das den Kugelhaufenreaktor in Serie bauen möchte, hofft daher, den Preis so weit drücken zu können, dass der Reaktor mit Kohle- oder Gaskraftwerken konkurrieren kann.

    Das liest sich auf dem Papier ganz gut. Nur: gebaut wurde so ein Reaktor für kommerzielle Zwecke noch nirgends. Also liegen auch keine Erfahrungen vor. Erfahrung mit dem Betrieb und den Kosten standen für Finnland jedoch im Vordergrund.

    Am Grunde der Baugrube. Auf dem Weg zur Brennstoff-Halle. Über eine Rampe fährt ein Radlader.

    Hier treffen wir auf Martin Landtmann. Landtmann ist der Projektmanager von TVO, der Betreibergesellschaft der Kernkraftwerke in Olkiluoto. Sein Unternehmen ist zufrieden mit den Sicherheitsstandards, die der EPR erreicht.

    " Die Schlüsselrolle bei der Auswahl des Kraftwerks spielten Sicherheit, Zuverlässigkeit und Erfahrung. Wir haben den EPR ausgewählt, weil er auf vorhandener Technik aufbaut. Wir wollten keine Schritte ins Unbekannte. Vorbild für den EPR sind die N4 Anlagen in Frankreich, die seit langem zuverlässig arbeiten. "

    Auch die Atomkraftwerke in Finnland laufen seit langem ohne Probleme. Landtmann:

    " Finnland hat seit 25 Jahren vier Kernkraftwerke. Kernkraft hat sich als eine zuverlässige Technik zur Produktion von Strom erwiesen. Daher verlassen sich die Anwohner auf diese Technik, sie haben keine Angst vor ihnen."

    " Der andere Grund ist, dass Finnland nicht zu sehr abhängig sein möchte von Stromimporten. Wir führen bereits 20 Prozent ein, und möchten nicht noch mehr importieren - ganz besonders nicht - von unserem östlichen Nachbarn."

    Schon heute decken Finnlands Atomkraftwerke 25 Prozent des Strombedarfs. Mit Olkiluoto 3 werden es noch einmal 10 Prozent mehr sein. Auf dem Freien Markt wird der Strom allerdings nicht verkauft. Der Kunde ist der Bauherr selbst

    " Wir haben kein Marktrisiko, weil unsere Anteilseigner verpflichtet sind, unser Produkt zu kaufen. Und das ist ein zentraler Grund für diese riesige Investition. Wir haben einen Umsatz von rund 200 Millionen Euro im Jahr, und müssen drei Milliarden für den Bau aufbringen. Das war aber kein Problem: 75 Prozent der Kosten konnten wir auf dem freien Markt aufbringen - weil wir kein Marktrisiko haben und Erfahrung im Betrieb mit Kernkraftwerken."

    Die Baukosten werden auf 60 Jahre sicheren Stromabsatz verteilt. So lassen sich die versprochenen niedrigen Festpreise realisieren.

    In Deutschland hält die Große Koalition am Atomausstieg wie er von der letzten Regierung beschlossen wurde, fest. Andere europäische Länder dagegen setzen künftig doch wieder auf Kernenergie: Zum Beispiel Großbritannien.

    " Die Regierung kommt zu dem Schluss, dass Kernenergie einen signifikanten Beitrag zu unserer Energiepolitik leisten könnte."

    So der britische Wirtschaftsminister Alistair Darling, am 11. Juli vor dem Unterhaus in London.

    " Die Regierung ist überzeugt, dass ein Mix von Energieträgern wesentlich ist. Wir sollten nicht zu sehr von einer Quelle abhängig sein, besonders wenn wir Versorgungssicherheit haben wollen."

    In Großbritannien tragen Kernkraftwerke derzeit rund 24 Prozent zur Stromversorgung bei. In den kommenden zwei Jahrzehnten werden die meisten davon abgeschaltet. Gleichzeitig müssen viele Kohlekraftwerke stillgelegt werden. Die britische Regierung fürchtet, dass diese Kraftwerke durch Gas-Kraftwerke ersetzt werden; fürchtet, weil die eigenen Gas-Vorräte zur Neige gehen und das Land den Brennstoff künftig importieren müsste - aller Wahrscheinlichkeit nach von Russland.

    Die Milliarden, die für den Bau eines Kernreaktors aufzubringen wären, will die Regierung allerdings nicht tragen. Das Geld für den Bau, den Betrieb den Abriss und die Endlagerung, verkündet der Wirtschaftsminister, solle von Privatunternehmen aufgebracht werden:

    " Die Vorsicht der Briten ist verständlich: Im Jahr 2002 war das Unternehmen British Energy in eine schwere finanzielle Krise geraten."

    British Energy betreibt die britischen Kernkraftwerke. Auf dem weitgehend liberalisierten Markt ließ sich deren Atomstrom aber immer schwerer absetzen: Er war zu teuer.

    Auf wie viele Kernkraftwerke die britische Regierung setzt, ist unklar. Die Rede ist von sechs oder gar 12. Fest steht: Die Reaktoren dürften 60 Jahre lang laufen - wie das Atomkraftwerk in Finnland. Die Frage ist nur: Wird das Uran so lange reichen?

    Wenn ein nüchterner Rechner sagt: Das Uran reicht noch für 25 Jahre, dann meint der nicht: dann gibt es kein Uran mehr. Er sagt dann nur, dass es sich dann nicht mehr lohnt, das noch vorhandene Uran abzubauen, falls es in 25 Jahren noch genauso viel kostet wie heute. Die Preise für Uran sind aber in den letzten Jahren gestiegen. 2003 kostete ein Kilo Uran noch 10 Dollar. 2006 kostet es bereits 60 Dollar. Zu diesem Preis lohnt sich der Abbau des strahlenden Erzes noch weit länger. Johannes Peter Gerling von der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe in Hannover:

    " Damit kommen wir auf eine Reichweite von etwa 67 Jahren, darüber hinaus gibt es so genannte Ressourcen, die zu höheren Preisen gewonnen werden können, und die dazu gerechnet führen dann dazu, dass man unter augenblicklichen Verbrauchszahlen, die liegen so in der Höhe von 70 tausend Tonnen weltweit pro Jahr, dass wir zu einer Reichweite von mehr als zweihundert Jahren kommen."

    Uran für mehr als zweihundert Jahre. Keine Ewigkeit, aber immerhin bessere Aussichten als für Öl.

    Unter der Voraussetzung, dass alles zusammengezählt wird was Wissenschaftler derzeit an Uranlagern ins Auge fassen: Minen, unbekannte Adern und Lagerstätten an Orten, an denen ein Uranvorkommen wahrscheinlich ist - aber nicht bewiesen. Und wenn Unternehmen bereit sind, bis zu 130 Dollar pro Kilo zu zahlen. Peter Gerling:

    " Warum erlauben wir uns jetzt diese relativ teuren Spezies auch noch mit rein zu nehmen, das hat im wesentlichen damit zu tun, dass bei der Stromerzeugung aus Kernbrennstoffen der Rohstoffpreis maximal zwei Prozent für die gesamte Stromerzeugung ausmacht, dass heißt, im Grunde spielt es gar keine Rolle, ob sie vierzig oder 140 Dollar für ihr Kilogramm Uran ausgeben müssen, weil eben das für die Endpreisgestaltung des Stroms sozusagen ziemlich irrelevant ist angesichts des kleinen Anteils an den Gesamtkosten."

    Dazu kommt, dass die größten Uran-Vorkommen in Ländern mit politisch stabilen Systemen liegen: Australien, Kasachstan und Kanada.

    Finnland will sein Uran aus Kanada beziehen.

    Eine Plattform, die wie eine Loge in einer Felsenoper über der Bühne hängt. Wilson:

    " Hier unter uns ist zu sehen die Bodenplatte des späteren Brennstoffgebäudes, in diesem Brennstoffgebäude wird sich also nicht nur der neue Brennstoff befinden, der dann angeliefert wird, und dann später im Reaktor eingesetzt wird, ... "

    Bleibt die Endlagerfrage.

    "... sondern später auch der Brennstoff, der abgebrannt ist, die so genannten abgebrannten Brennelemente, also die verbrauchten, die klingen hier weiterhin ab, in einem so genannten Abklingbecken, das gibt's also heute bei jedem anderen Kernkraftwerk auch schon, und hier werden auch zum Beispiel die Pumpen installiert, die dann später auch dafür sorgen, dass das Wasser hier in diesem Bereich entsprechend für die Kühlung sorgen kann.

    Wichtig ist vielleicht auch an dieser Stelle zu erwähnen, dass der Brennstoff, der Verbrauchte, später dann hier auch in der Nähe gleich zu einem Endlager zugeführt werden kann, er muss natürlich entsprechend vorbereitet werden dann später, aber die Endlagervoraussetzungen sind hier in Finnland dann auch gegeben."

    Das Endlager wird keine 500 Meter von hier entfernt liegen. Inmitten von Kiefern wird ein Schacht entstehen, über 500 Meter tief. In Stollen werden dann die strahlenden Reste der Kettenreaktion endgelagert.

    Für Finnland ist damit die Endlagerfrage gelöst. Andere Länder sind noch längst nicht so weit. In Deutschland zum Beispiel ist die Frage, ob Gorleben nun zum Endlager für mittel- und hochradioaktiven Abfall werden kann, immer noch offen.
    Trotzdem sehen inzwischen selbst Umweltschützer in der Kernenergie das kleinere Übel.

    So äußerte sich Patrick Moore, Mitbegründer und langjähriger Präsident von Greenpeace, gegenüber der Schweizer Weltwoche:

    Inzwischen ist die Frage des Klimawandels so drängend geworden, dass wir etwas gegen den Konsum fossiler Brennstoffe tun müssen. Er wird weiter steigen, wenn wir kein aggressives globales Programm verfolgen, das erneuerbare Energien mit Atomstrom kombiniert.

    Patrick Moore spricht heute für sich selbst und nicht mehr für Greenpeace. Doch eine Tatsache lässt sich nicht leugnen: Bei der Kettenreaktion entsteht kein Kohlendioxyd. Manfred Fischedick, Leiter des Bereichs Zukünftige Energie- und Mobilitätsstrukturen am Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie::

    " Nun zunächst einmal muss man berücksichtigen, dass das Kernkraftwerk nicht isoliert, als Anlage gesehen werden kann, sondern es gibt eine vor- und eine nachgelagerte Prozesskette, und dabei wird CO2, Kohlendioxyd, freigesetzt. Wenn Sie es vergleichen mit herkömmlichen Kohle- oder Gaskraftwerken ist es natürlich schon so, dass Kernkraftwerke Kohlendioxydemissionen in der Größenordung von 90 bis zu 95 Prozent einsparen."

    Das klingt gut. Also braucht die Welt doch mehr Atomkraftwerke?

    " Wenn Sie sich das Klimaschutzproblem insgesamt ansehen, dann zählt nicht so sehr das einzelne Kraftwerk, sondern es zählt die Rolle von Technologien im gesamten Kontext. Und in diesem gesamten Kontext, insbesondere auf globaler Ebene betrachtet, ist die, ist der Klimaschutzbeitrag der Kernenergie insgesamt nur ein begrenzter. "

    Zwar laufen weltweit derzeit 442 Kernkraftwerke. Aber der Anteil der Kernenergie an der Gesamt-Energieversorgung liegt trotzdem gerade einmal bei 7 Prozent. Der Grund: Kernenergie kann nur zur Stromerzeugung eingesetzt werden. Verkehr und Heizung benötigen jedoch auch Energie.

    Und was Strom angeht: Der Bedarf steigt und er steigt sehr viel schneller, als Atomkraftwerke gebaut werden können.

    Manfred Fischedick:
    " Wenn man sich heute mal sehr engagierte, auch sehr offensiv ausgerichtete Szenarien ansieht, beispielsweise der Internationalen Atomenergie-Organisation, dann gehen diese Szenarien schon davon aus, dass mehr Kernkraftwerke gebaut werden, sie gehen aber davon aus, dass der relative Anteil der Kernenergie im Energiemix nicht steigen wird. Und selbst ein sehr engagiertes Szenario zeigt, dass insgesamt der Beitrag, und damit auch der Klimaschutzbeitrag der Kernkraftwerke sicherlich begrenzt ist. "

    Für Deutschland hat der Wissenschaftler einmal durchgerechnet, wie viele Kernkraftwerke notwendig wären, wenn Kernkraftwerke die wichtigste Rolle bei der Kohlendioxydreduktion spielen sollten.

    " Und hier habe ich eine Zahl im Kopf, das heißt, wenn Sie das mit Kernenergie machen wollten, als maßgeblichen Baustein, müssen Sie in Deutschland etwa 50 Kernkraftwerke neu bauen. Das heißt, nicht nur die bestehenden weiter nutzen, sondern noch 50 zusätzlich bauen, und das zeigt schon, dass das eine flächendeckende Verteilung von Kernkraftwerken wäre, mit zu erwartenden Risiken und Widerständen in der Bevölkerung."

    Eine Reihe von Politikern - nicht nur in Deutschland, sondern auch im europäischen Ausland - fordern, wenigstens die Laufzeiten der bestehenden Kraftwerke zu verlängern. Dadurch könne der Anstieg des CO2 Ausstoßes verhindert werden, so die Argumentation.

    Dieses Argument wird jedoch von Kritikern nicht nur in Deutschland bezweifelt.
    Edward Davey, Wirtschaftspolitischer Sprecher der Liberal-Demokraten im Britischen Unterhaus, während der Debatte um den Energiebericht des Britischen Wirtschaftsministers am 11. Juli.

    " Besteht nicht die Gefahr, Mr. Speaker, dass wenn die Regierung sich die nukleare Option offen halten will, die Investitionen für Energiesparen und Erneuerbare Energien zerstört werden? Der vorherige Wirtschaftminister sagte diesem Haus: Es wäre dumm eine neue Generation von Kernkraftwerken zu bauen, weil es sicher wäre, dass wir dann die notwenigen Investitionen sowohl für Energiesparen wie für Regenerative Energien unterlassen würden."

    Manfred Fischedick:

    " Aus Klimaschutzgründen ist es sicherlich so, dass die Kernkraftwerke CO2-Emissionen vermeiden und damit einen Klimaschutzbeitrag leisten, auf der anderen Seite ... denke ich, wären wir in Deutschland falsch beraten, das, was wir in den letzten Jahren aufgebaut haben, auch an Vorreiterrolle in diesen technologischen Bereichen, aufs Spiel zu setzen, indem wir die Kernkraftwerkslaufzeit verlängern, ich denke, wir sind besser beraten, auch mit Blick auf spätere Exportmärkte, wenn wir uns hier konzentrieren auf eine dynamische Weiterentwicklung der erneuerbaren Energien und der Energieeinsparung."

    Diese Entwicklung hat inzwischen eine große Dynamik gewonnen. Seit 2005 produzieren - so jedenfalls die Internationale Energie Agentur IEA - kleine Wind-, Solar- und CO2 reduzierte Gaskraftwerke weltweit erstmals mehr Strom als die Kernkraftwerke.

    Die kleinen Kraftwerke im Schatten der großen Kühltürme liegen im Wettlauf mit den Kernkraft-Giganten derzeit also vorn. Diese werden zwar das Rennen nicht verloren geben, vor allem nicht in Ländern wie Indien oder China, aber eine deutliche Steigerung ihres Anteils an der Welt-Energieproduktion ist nicht mehr zu erwarten.

    Auch Finnland mag beim Wettlauf um die Energie der Zukunft offenbar nicht abseits stehen. Auf dem Kraftwerksgelände in Olkiluoto dreht sich auch ein Windrad.