Fahrt im Boot des kambodschanischen Bauern Houth Seng – quer über den träge dahinfließenden Mekong; vorbei an Inseln, wo Seevögel dösen; an Zementbojen, die die Grenze nach Laos markieren. Und dann taucht sie auf: eine gewaltige, grün verhüllte Wand, überragt von Kränen: der Don Sahong-Damm.
"Eines Tages im Januar 2016 hörten wir zwei gewaltige Explosionen. Der Boden in unserem Dorf und unsere Häuser zitterten. Jetzt ist der Mekong bei uns oft völlig verschmutzt. Und die Tiefwasserzonen, wo früher jede Menge Fische und etliche Irawadi-Delphine lebten, sind zugeschüttet mit Bauschutt", sagt Houth Seng.
Rund 150 weitere Talsperren geplant
Seit der Jahrtausendwende versuchen die sechs Anrainer-Staaten des Mekong, ihren wachsenden Energiebedarf mit der Wasserkraft des Flusses zu decken, der über 4.300 Kilometer 5.000 Meter tief abfällt. China, Laos, Kambodscha und Vietnam haben drei Dutzend Talsperren am Mekong und seinen Zuflüssen errichtet; weitere 150 sind geplant, auch weil sie in den Augen der Regierungen als klimaschonende Energiequelle gelten. Problematische Auswirkungen wurden lange ignoriert. Aus dem Himalaya und den Bergen Chinas trage der Mekong gewaltige Mengen nährstoffreiches Sediment flussabwärts, erklärt der australische Umweltexperte Jeremy Carew-Reid am Beispiel Vietnams, wo der Mekong in das Südchinesische Meer mündet. Aber:
"Schon heute werden 58 Prozent des Sediments von Staudämmen in China blockiert. Und mit jedem neuen Damm im Mekong und seinen Nebenflüssen bleibt mehr Sediment hinter Staumauern stecken. Okay, neue Technologien könnten helfen, einen Teil des Sediments durchzulassen. Das Problem ist nur: Die Fließgeschwindigkeit von Flüssen sinkt am Anfang eine Stausees; dort setzt sich folglich das meiste Sediment ab. Es tendiert dazu, Inseln zu formen in den oberen 30 Prozent eines Stausees."
Bis zu 17 Millionen Menschen könnten Heimat verlieren
Werden alle geplanten Wasserkraftwerke gebaut, dürften 2040 nur noch drei Prozent des Mekong-Sediments im Delta ankommen. Hinzu kommt der Klimawandel: Immer stärkere Taifune spülen Salzwasser ins Landesinnere Vietnams und fruchtbare Krume ins Meer. Und der Meeresspiegel steigt. Für das Jahr 2100 prophezeien Studien, dass das Mekong-Delta zu 40 Prozent geflutet sein wird. Bis zu 17 Millionen Menschen werden so ihre Heimat verlieren; Reis für 250 Millionen Menschen muss woanders angebaut werden. Ein weiteres Krisenzentrum am Mekong ist der nicht weit von den berühmten Tempeln Angkor Wats gelegene Tonle Sap. Der mit dem Mekong verbundene See schwillt zur Regenzeit auf das Siebenfache seiner normalen Größe von 3.000 Quadratkilometern. Er ist das Zentrum der Fischerei Kambodschas, in der fast die Hälfte der Bevölkerung arbeitet. Fisch deckt drei Viertel des Proteinbedarfs der Kambodschaner.
Fahrt hinaus auf dem See, der im Nachmittagsdunst endlos erscheint. Der Fischer Oeur Navy hat gerade sein Netz zusammengepackt. Jetzt genießt er, in seinem Boot sitzend, die Ruhe auf dem spiegelglatten See.
"Es war windstill heute; deshalb habe ich immerhin 20 Kilo gefangen. Dafür gibt mir der Händler zwölf US-Dollar. Alles recht kleine Fische; große gibt es während der Trockenzeit nicht mehr im Tonle Sap-See. Vor zehn Jahren war das noch ganz anders. Da hatte ich zur Trockenzeit 50 bis 60 Kilo im Netz; und während der Regenzeit oft hundert Kilo."
Schon jetzt sinkende Fischbestände
Sicher bedrohe auch Überfischung die Bestände im Mekong-Flussgebiet, sagt Minh Bun Ly, ein lokaler Umweltaktivist. Aber die weit größere Bedrohung hänge mit dem Wandertrieb zusammen. Ähnlich wie der europäische Lachs muss fast die Hälfte der Fischarten wandern, um sich fortzupflanzen. Zu Beginn der Trockenzeit im Oktober schwimmen die Fische den Mekong und seine Zuflüsse hinauf, um in den Oberläufen zu laichen. In der Regenzeit ab Juni lassen sich die Fische und ihre Jungen wieder flussabwärts treiben.
"Die bisherigen Staudämme am Mekong und die Baustellen in Laos haben die Laichgründe vieler unserer Fischarten unzugänglich gemacht oder sogar zerstört. Die Riesenbarbe, zum Beispiel, und der Riesenwels sind inzwischen vom Aussterben bedroht. Und den Fischern bleibt nichts übrig, als jetzt kleinere Fische zu fangen – was die Bestände natürlich weiter unter Druck setzt."
Und die armen Fischer Kambodschas werden also noch ärmer – so wie die Kleinbauern des untergehenden Mekong-Deltas. Warum bauen die Regierungen trotzdem weitere Staudämme? Weil davon vor allem einflussreiche Konzerne profitierten, sagt Minh Bun Ly achselzuckend. Energieriesen, Banken, Bau-, Industrie- und Agrarkonzerne.