Jule Reimer: Herr Wüstenhagen, ist der neue Ressortzuschnitt ein Fortschritt für die Energiewende oder eine Gefahr?
Rolf Wüstenhagen: Ich denke, es ist auf der einen Seite sicher ein Fortschritt, dass man jetzt versucht, die Kompetenzen zu bündeln. Das war ja fast schon legendär in der letzten Legislaturperiode: Rösler gegen Röttgen. Oder später Altmaier, diese vielen Streitereien, die es dort gab. Das hat nicht unbedingt dazu beigetragen, dass es mit der Energiewende schneller voranging. Von daher könnte diese Bündelung unter Sigmar Gabriel jetzt durchaus ein Schritt voran sein. Ich denke, wo man allerdings auch noch durchaus hinschauen muss ist: Es gab im Bundeswirtschaftsministerium bisher nicht nur Fans der Energiewende und ein Stück weit kann der neue Minister da sicher etwas verändern, aber ein Stück weit sind vielleicht die alten Gedanken auch noch dort.
Reimer: Sie haben als führender Autor bei Berichten des Weltklimarates zum Thema erneuerbare Energien mitgearbeitet. Jürgen Trittin, ebenfalls mehrere Jahre lang Bundesumweltminister, hat hier im Deutschlandfunk die Befürchtung geäußert, dass diese Ressorttrennung, Energie beim Bundeswirtschaftsministerium, Klimaschutz jetzt im Umweltministerium, weiterhin den letzteren schwächen wird, zumal der Koalitionsvertrag ja auch nicht gerade ambitioniert klingt in Sachen Klimaschutz. Halten Sie das für berechtigt?
Wüstenhagen: Ich denke, es gab ja auch bisher schon die Trennung: die konventionellen Energien im Wirtschaftsministerium, die erneuerbaren Energien im BMU. Das hat auf der einen Seite dazu geführt, dass es vielleicht doch eine gewisse Dynamik gab, ausgehend vom Bundesumweltministerium, im Bereich der erneuerbaren Energien. Wenn man nach der Logik fortschreitet, müsste man eigentlich sagen, warum soll es jetzt nicht eine ähnliche Dynamik im Klimabereich geben, was ja analog zu den erneuerbaren Energien bisher unabhängig im BMU angesiedelt ist. Auf der anderen Seite denke ich aber auch, gerade der Klimagipfel in Warschau hat gezeigt, der klassische Weg der globalen Klimapolitik, der steckt aus meiner Sicht ein Stück weit in einer Sackgasse. Diese Hoffnung, dass es einen großen Durchbruch gibt auf globaler Ebene, der dann wirklich zu einer Lösung des Klimaproblems führt, die ist heute weiter entfernt denn je. Umgekehrt, denke ich, gibt es eine Hoffnung, nämlich dass gerade die Energiewende, der Schritt hin zu den erneuerbaren Energien und der Energieeffizienz, wie sie von Deutschland praktiziert werden, dass das eigentlich die Lösung des Klimaproblems bieten könnte. Und wenn Herr Gabriel das nun in seinem Ministerium tatsächlich umgesetzt bekommt, glaube ich, dann schreibt er auch ein Stück weit Klimageschichte.
"Rainer Baake hat Sigmar Gabriel Kompetenz ins Haus geholt"
Reimer: Gabriel Staatssekretär wird der Grüne Rainer Baake, unter Trittin schon einmal Staatssekretär und derzeit der Kopf der Energiewende-Denkfabrik Agora. Wie bewerten Sie diese Personalie?
Wüstenhagen: Ich denke, mit Rainer Baake hat Sigmar Gabriel tatsächlich Kompetenz ins Haus geholt und die Agora-Energiewende hat sich erfolgreich positioniert als der unabhängige Think Tank, der versucht, ein Stück weit vorauszudenken. Vielleicht ist das auch ein Signal von Gabriel, dass er nun gerade einen Grünen als Staatssekretär da mit hineinnimmt, um vielleicht die Bedenken zu zerstreuen, die man hatte nach den Koalitionsverhandlungen, wie ernst es denn noch wirklich gemeint ist mit der Energiewende. Ich denke, auch einige der Thesen, die die Agora-Energiewende in letzter Zeit formuliert hat im Hinblick auf das Strommarkt-Design und die Frage, wie kann man ein Stromsystem funktionsfähig bekommen, das einen sehr hohen Anteil Solar- und Windenergie hat, das ist genau die Art von Expertise, die es jetzt braucht, um die Energiewende zum Erfolg zu führen. Von daher denke ich, Sigmar Gabriel hat da einen guten Griff getan. Nun bleibt zu hoffen, dass quasi das ganze Ministerium auch an einem Strang zieht.
Reimer: Wie würden Sie vorgehen in dieser Diskussion um Kapazitätsmärkte? Wie bekommen wir im Übergang zu mehr erneuerbaren Energien die Grundlast gesichert? Wie lassen wir im Augenblick unrentable Gas- und Kohlekraftwerke laufen?
Wüstenhagen: Bei der Diskussion um die Kapazitätsmärkte braucht es sicher Augenmaß. Auf der einen Seite ist klar: Wenn die Sonne nicht scheint und der Wind nicht weht, dann braucht es komplementäre Technologien, die da zum Einsatz kommen können. Das können zum Teil bestehende Kohle- oder Gaskraftwerke sein, das können Speicher sein, das können auch Wasserkraftwerke in der Schweiz beispielsweise sein, oder neue Batterie-Technologien. Insofern ist es schon sinnvoll, diese Technologien zu unterstützen. Man muss wie gesagt ein Augenmaß bewahren, damit man nicht Kohlekraftwerke über die nächsten Jahrzehnte festschreibt, die sonst vielleicht nicht mehr wirtschaftlich wären.
Reimer: Danke für diese Bewertung an Professor Rolf Wüstenhagen von der Universität St. Gallen.
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