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Energiepolitik der EU
"Abhängigkeit von Russland verringern"

Die EU muss nach Ansicht von Claudia Kemfert ihre Energie-Abhängigkeit von Russland verringern. Hier liefere das Grundsatzpapier der EU-Kommission zu wenig Ansätze, sagte die Ökonomin vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung im DLF. "Gerade den osteuropäischen EU-Staaten muss man helfen, die schwierige Gasverträge mit Russland haben."

Claudia Kemfert im Gespräch mit Peter Kapern | 25.02.2015
    Porträtbild von Claudia Kemfert, Expertin für Energiefragen beim Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung
    Claudia Kemfert ist Expertin für Energiefragen beim Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (picture alliance / dpa/ Fredrik von Erichsen)
    Die EU-Kommission stellt das Grundsatzpapier zur Energie- und Klimapolitik der nächsten Jahrzehnte heute in Brüssel vor. Darin geht es auch um die Energiesicherheit und eine geringere Abhängigkeit von Russland - und genau hier wird die Kommission nicht deutlich genug, findet die DIW-Ökonomin Claudia Kemfert. Schließlich sei die aktuelle russische Drohung, der Ukraine das Gas abzustellen, nicht der erste Streit dieser Art, der auch die europäische Energiesicherheit bedrohen könne.
    Kemfert vermisst Lösungsvorschläge und Zielsetzungen, um unabhängiger zu werden: "Stärker auf Flüssiggas setzen, das Pipelinesystem verbessern, den Aufbau einer strategischen Gasreserve diskutieren, mehr Effizienz, mehr erneuerbare Energien, hier ist ein gemeinsamer EU-Rahmen nötig." Die DIW-Ökonomin fordert auch eine Diversifikationsstrategie. So müsse es langfristig Lösungen geben, wie die Europäer ihr Gas selbst produzieren könnten. "Ich hätte mir von der EU eine Prioritätenliste gewünscht, hier bleibt das Konzept zu vage." Kemfert sieht auch in Deutschland Defizite. So seien fast allen EU-Ländern Terminals für Flüssiggas gebaut worden - nur nicht bei uns.

    Das Interview in voller Länge:
    Peter Kapern: Kennen Sie diese Fernsehreklame für die Schokoladeneier, die mit Plastiknippes gefüllt sind, die den Kindern verspricht, dass man alles auf einmal bekommt, was Süßes, was Spannendes und auch noch was zum Spielen? So ungefähr ist es auch mit dem Konzept für eine europäische Energieunion, das heute von der EU-Kommission in Brüssel vorgestellt wird. Sie verspricht größere Unabhängigkeit vom Gaslieferanten Russland, weniger CO2-Ausstoß, geringere Preise für die Verbraucher, mehr Wettbewerb und größere Versorgungssicherheit, also auch so ziemlich alles auf einmal. Nur eins nicht: den europaweiten Ausstieg aus der Kernenergie.
    Bei uns am Telefon ist Claudia Kemfert, die Energieexpertin des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung. Guten Morgen.
    Claudia Kemfert: Guten Morgen, Herr Kapern.
    Kapern: Frau Kemfert, wenn man versucht, alles, aber auch wirklich alles, was mit dem Thema Energie zu tun hat, in einem Paket zusammenzuschnüren, ist dann das Scheitern nicht schon vorprogrammiert?
    Kemfert: Ja, es ist natürlich ein sehr komplexes Thema. Sie haben völlig recht: Hier geht es ja um Klimaschutz. Die einzelnen EU-Staaten sind verpflichtet, die Treibhausgase zu senken. Dann geht es darum, die Energiewende voranzubringen, also die erneuerbaren Energien auszubauen, mehr zu tun, um Energie einzusparen. Und das ganze Thema Versorgungssicherheit, was ja hier offensichtlich einen großen Stellenwert hat. Gerade vor dem Hintergrund mit Russland und der Ukraine-Krise ist das auch verständlich. Aber es ist ein sehr, sehr komplexes Unterfangen und da ist es klar, dass man in erster Linie Überschriften sieht, weniger tiefe Inhalte.
    Kapern: Treten wir doch noch mal ein paar Schritte zurück und schauen sozusagen auf die Basics. Die Nationalstaaten beharren bislang auf ihrer nationalen Energiepolitik. Warum brauchen wir überhaupt eine gemeinsame EU-Energiepolitik?
    Kemfert: Wir brauchen einen gemeinsamen EU-Rahmen. Es müssen ja die Ziele festgelegt werden, einerseits wie schaffen wir es, die Treibhausgase zu mindern? Andererseits: Die Versorgungssicherheit muss aufrecht erhalten werden, und wir haben auch das Ziel, die Energieversorgung umzustellen auf erneuerbare Energien und auf mehr Energieeffizienz.
    Kapern: Zumindest die letzten beiden Punkte - entschuldigen Sie, wenn ich da unterbreche -, die könnte doch jeder Nationalstaat auch für sich selbst regeln.
    EU muss Ziele gemeinsam definieren und umsetzen
    Kemfert: Ja. Hier geht es darum, dass man den Rahmen setzt, dass die EU wirklich diese Ziele auch gemeinsam umsetzt. Natürlich kann jeder Staat oder wird dann auch jeder Staat selbst entscheiden, wie diese Ziele umzusetzen sind, aber wenn sie nicht gemeinsam diese Ziele definieren, wird es sehr schwer. Und gerade beim Thema Versorgungssicherheit ist es ja eben so, dass wir Staaten in Südosteuropa haben, die sehr schwierige Lieferbedingungen beim Gas haben. Hier gilt es auch, diesen Ländern zu helfen, eine gemeinsame Pipeline-Strategie zu erarbeiten, eine gemeinsame Gasversorgungssicherheit zu erarbeiten, und da ist es schon richtig, man bewegt sich auf europäischer Ebene.
    Kapern: Bleiben wir mal beim Thema Versorgungssicherheit. Der größte Lieferant dieser kleinen, überwiegend osteuropäischen Länder, die Sie gerade genannt haben, das ist natürlich Russland, und Russland hat damit einen enormen Einfluss auf die europäische Energieversorgung. Aber das Wesentliche, was sich nun in diesem Konzept findet, das ist die Empfehlung an diese kleinen Länder, sich zusammenzutun, um bei Russland mit gemeinsamen Bestellungen bessere Preise zu erzielen. Das klingt so ein bisschen rührend und erinnert an die Zeit nach der ersten Ölkrise in den 1970er-Jahren, als den Hausbesitzern empfohlen wurde, gemeinsam Öl zu bestellen, um das Heizöl beim Lieferanten einen Pfennig billiger zu bekommen. Ist das schon alles, was da beim Thema Versorgungssicherheit zusammenzubekommen ist?
    Lösungsvorschläge: Flüssiggas, besseres Pipelinesystem, Gasreserven
    Russlands Präsident Putin im Jahr 2011 bei der Inbetriebnahme einer Pipeline in Wladiwostock.
    Kemfert fordert mehr Unabhängigkeit von russischen Gaslieferungen. (afp / Dimitry Astakhov)
    Kemfert: Ja, das darf nicht das einzige sein, um Gottes Willen. Dass man jetzt sagt, man bündelt die Interessen, ist auf jeden Fall keine ausreichende Antwort auf das komplexe Thema Versorgungssicherheit. Hier geht es ja darum, dass man verschiedene Lösungen erarbeiten muss. Das eine ist, dass man eine Diversifikation der Gasbezüge erzielen muss, stärker auch auf Flüssiggas setzen muss, liquefied natural Gas, dann auch das Pipeline-System innerhalb Europas verbessert, dass auch die Möglichkeit geschaffen wird, von West nach Ost eben in diese Staaten, die Sie gerade genannt haben, auch Gas zu liefern über bestimmte Pipelines. Eine strategische Gasreserve sollte man noch immer auch, finde ich, diskutieren, und vor allen Dingen mehr auf Effizienz setzen, auf Energieeffizienz und mehr erneuerbare Energien, und das ist ein Mix an Lösungen, den ich in der Tat auch in diesem Dokument so nicht finde.
    Kapern: Warum nicht?
    Kemfert: Gute Frage, denn insgesamt muss es ja darum gehen, dass Europa sich hier wirklich gemeinsam bündelt. Offensichtlich hat man sehr, sehr unterschiedliche Interessen in den einzelnen Ländern, dass man das schwer zusammenbekommt. Aber es nützt ja nichts, wir müssen ja einen Weg finden, wie wir auch in der Zukunft mehr und mehr auf fossile Ressourcen verzichten, wie man die Versorgungssicherheit in allen europäischen Ländern sicherstellt, und das ist letztendlich die Aufgabe, die Europa an dieser Stelle hat, und da muss es sehr viele Antworten geben.
    Kapern: Gestern hat uns die Nachricht erreicht, dass Gazprom Alarm schlägt. Die Ukraine hat noch 48 Stunden, jetzt sind es nur noch weit weniger Stunden Zeit, um die nächste Tranche der Gaslieferungen zu bezahlen. Die müssen ja immer im Voraus bezahlt werden. Sollte das nicht der Fall sein, innerhalb so kurzer Frist, dann wird Gazprom kein Gas mehr an die Ukraine liefern, und das könnte dann auch wiederum Auswirkungen auf die Gasversorgung in Europa haben, so Gazprom gestern. Lehrt uns das, dass das Gebot der Stunde lautet, wir müssen komplett raus aus der Abhängigkeit von Russland?
    "Wir müssen unabhängiger werden von russischen Gaslieferungen"
    Kemfert: Ja. Es ist ja nicht der erste Streit, den wir dieser Art haben. Es zieht sich ja jetzt schon über sehr viele Jahre hin und in der Tat sollte die Antwort sein, wir müssen sehr viel unabhängiger werden von russischen Gaslieferungen, indem wir aus vielen Ländern Gas beziehen, wir wirklich auf eine konsequente Diversifikationsstrategie setzen, und dann auch Lösungen erarbeiten, wie wir in der Zukunft teilweise auch mit der Energiewende unser Gas selbst produzieren. Das ist zwar im Moment noch Zukunftsmusik, sollte aber auch in einem solchen Plan, den man ja hat bis 2030, auf jeden Fall Erwähnung finden. Aber in der Tat ist es so, dass wir die Abhängigkeit Russlands deutlich vermindern müssen, uns auf eigene Beine stellen und damit auch die Verletzlichkeit in allen Staaten vermindern.
    Kapern: Vielleicht darf ich da noch mal nachfragen, Frau Kemfert. Die Lösungen für dieses Problem liegen ja auf der Hand. Entweder kann man Pipelines bauen - ich nenne das Stichwort Northstream -, die an der Ukraine vorbeiführen, die also die Versorgung in Europa nicht einschränken können, wenn es wieder zu Verstimmungen zwischen Moskau und Kiew kommt. Oder aber man baut tatsächlich Flüssiggas-Terminals, die aber bei weitem nicht ausreichend gepusht werden, oder ist da meine Einschätzung falsch?
    Kemfert: In den letzten Jahren wurden schon sehr viele Flüssiggas-Terminals gebaut, insbesondere in vielen europäischen Staaten, und das ist auch die richtige Strategie. Nehmen wir Italien, Spanien, aber auch Litauen und Polen, alle bauen Flüssiggas-Terminals, außer Deutschland. In der Tat hat Deutschland hier eine problematische Strategie in der Vergangenheit gemacht, dass es eine direkte zusätzliche Pipeline noch nach Russland gebaut hat, die im Krisenfall dann auch nicht wirklich die Lösung sein kann. Also muss es darum gehen, dass man in der Zukunft mehr auf Flüssiggas setzt, auch auf Terminals, die dann gebaut werden müssen, um die Möglichkeit zu bekommen, von solchen Schocks, die dann auftreten können, und auch die Abhängigkeit von Russland zu vermindern.
    Kapern: Wir haben eben in dem Beitrag meines Kollegen Jörg Münchenberg eine Stellungnahme der Grünen-Politikerin Rebecca Harms gehört, die ihre Skepsis mit Blick auf dieses EU-Energiekonzept geäußert hat, und vor allem hat sie kritisiert, dass die EU-Kommission auf Atomenergie und auf das Fracking setzt. Wenn das der Fall ist, dann bedeutet das ja schon, dass in diesen Fragen die 28 Mitgliedsstaaten nicht unter einen Hut zu bekommen sind. Teilen Sie die Einschätzung der Grünen?
    "Die Energiepolitik verfolgt nationale Ziele"
    Kemfert: Ja, denn in der Tat ist es so, dass viele Länder jetzt sehr unterschiedliche Strategien fahren. Die Energiepolitik verfolgt nationale Ziele. Manche Länder setzen nach wie vor auf Atomenergie, eine sehr kostspielige Variante. Die Fracking-Potenziale, die Gas-Fracking-Potenziale in Europa sind gering. Da würde ich mir jetzt weniger Sorgen machen. Aber in der Tat müssen die einzelnen Länder auch an diesem Gesamtziel mitwirken.
    Kapern: Aber wie bekommt man das unter einen Hut?
    Für Prioritätenliste: Erneuerbare ausbauen, Energieeffizienz erhöhen
    Kemfert: Man bekommt es unter einen Hut, indem man wirklich dann die Ziele gemeinsam definiert. Ich hätte mir auch gewünscht von diesem Dokument, dass man wirklich eine Prioritätenliste hat, die da heißen muss, in erster Linie muss es darum gehen, auf fossile Energien zu verzichten, mehr erneuerbare Energien, mehr Energieeffizienz. Letztendlich muss jedes Land dann diese Strategie auch sehen, mit welchen Brückentechnologien auch immer. Aber das Gesamtziel muss da klar sein und da bleibt das Dokument leider ein bisschen vage.
    Kapern: Das heißt, Sie hätten eher plädiert für ein Konzept des Klimaschutzes als für eines der gemeinsamen Energiepolitik?
    Kemfert: Ja, beides geht ja zusammen, muss ja zusammen gehen. Man kann es ja nicht voneinander trennen, denn Klimaschutz bedeutet ja auch, dass man die Energiewende umsetzt, und das bedeutet letztendlich auch, dass man die Versorgungssicherheit erhöht, die Abhängigkeit aus solchen Ländern wie Russland vermindert und gleichzeitig dann auch entsprechend eine nachhaltige Energiewende umsetzt, und das muss in allen europäischen Ländern ja passieren. Das passiert im Moment noch nicht in dem Umfang, aber Europa hat hier die Aufgabe, das umzusetzen. Das ist ja auch ein Dokument für Klimaschutz und Energieversorgungssicherheit und die Zeit ist reif, dass man das jetzt auch entsprechend umsetzt.
    Kapern: …, sagt Claudia Kemfert, die Energieexpertin des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung. Frau Kemfert, danke, dass Sie so früh für uns Zeit hatten. Ich wünsche Ihnen einen schönen Tag und sage auf Wiederhören.
    Kemfert: Danke! Auf Wiederhören.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.