Geprägt vom russischen Krieg in der Ukraine hat am 23. Mai im schweizerischen Davos die Jahrestagung des Weltwirtschaftsforums (WEF) begonnen. Bei dem viertägigen Treffen in den Schweizer Alpen diskutieren fast 2.500 Teilnehmer und Teilnehmerinnen aus Politik, Wirtschaft und Gesellschaft über Lösungen für internationale Probleme. Auch Bundeswirschafts- und Klimaminister Robert Habeck (Grüne) ist dabei.
Nach seiner Einschätzung muss die bislang vor allem von Wachstums- und Profitinteressen getriebene Globalisierung fairer und nachhaltiger werden - eine Abschottung ist nach seinen Worten hingegen keine Lösung. Für diese Linie will Habeck in Davos werben. Die Welt stehe an einem Scheitelpunkt der Globalisierung, sagte Habeck im Deutschlandfunk. Es müssten neue Ansätze gefunden werden, um die Weltwirtschaft zu organisieren.
Bei der Frage nach einem Öl-Embargo gegen Russland setzt Bundeswirtschaftsminister Habeck auf eine gemeinsame Lösung innerhalb der EU und nicht auf ein nationales Vorgehen Deutschlands. "Es hilft nicht, wenn jedes Land sein eigenes Ding dreht." Habeck geht davon aus, dass einigen Ländern Sonderrechte zugestanden werden und man so zu einer Zustimmung aller EU-Länder zum Öl-Embargo gegen Russland kommt.
Das Interview im Wortlaut:
Silvia Engels: Sie wollen in Davos dafür werben, dass Globalisierung fairer und nachhaltiger wird, dass beim künftigen weltweiten Austausch Klimaschutz und Sozialstandards stärker berücksichtigt werden. Was schwebt Ihnen konkret vor?
Robert Habeck: Erst einmal ist es tatsächlich so, wie Herr Schwab gesagt hat. Es ist ein Scheitelpunkt der Globalisierung und wir stehen scheinbar vor einer Wahl: Weiter so, die Welt zu organisieren nach dem Profitdenken, nach dem Günstigkeits- und Billigkeitsprinzip, oder einem Auseinanderbrechen der Globalisierung in lauter neue Nationalisten im Sinne von Donald Trump, Brexit, jedes Land kümmert sich nur um sich selbst. Beides kann nicht richtig sein.
Also brauchen wir einen neuen Weg, einen neuen Ansatz, eine neue europäische Initiative, und die muss sich dann tatsächlich konkret darauf beziehen, dass die Gesellschaft, die Menschen und in diesem Fall auch das Klima für die Menschen davon profitieren. Das heißt, die Regeln der Globalisierung müssen sich ändern.
Also brauchen wir einen neuen Weg, einen neuen Ansatz, eine neue europäische Initiative, und die muss sich dann tatsächlich konkret darauf beziehen, dass die Gesellschaft, die Menschen und in diesem Fall auch das Klima für die Menschen davon profitieren. Das heißt, die Regeln der Globalisierung müssen sich ändern.
Wenn ich das ein bisschen konkret machen darf? Es wäre natürlich wünschenswert, man würde das insgesamt über die WTO, also multilateral, nicht in lauter bilateralen Einzelhandelsabkommen umsetzen. Dann sollten die festen Regeln, die es gibt in der Welt, die Arbeitsschutzregeln, die Biodiversitätsregeln und vor allem das Pariser Klimaschutzabkommen immer verankert werden in den Abkommen. Die Nachhaltigkeitsziele müssen berücksichtigt werden.
Die Gesellschaft muss stärker mit eingebunden werden und die Investitionsschutzregeln sollten so reformiert werden, dass am Ende nicht mehr Business-Interessen über demokratische Regeln sich stellen können. Es gibt eine Menge zu tun, aber es gibt auch eine unglaubliche Offenheit. Das habe ich gestern bei den Gesprächen schon gemerkt. Alles sind am überlegen, wie es weitergehen kann, und wir versuchen, unsere Punkte zu setzen, so dass das Ganze einen Zug nach vorne bekommt.
Die Gesellschaft muss stärker mit eingebunden werden und die Investitionsschutzregeln sollten so reformiert werden, dass am Ende nicht mehr Business-Interessen über demokratische Regeln sich stellen können. Es gibt eine Menge zu tun, aber es gibt auch eine unglaubliche Offenheit. Das habe ich gestern bei den Gesprächen schon gemerkt. Alles sind am überlegen, wie es weitergehen kann, und wir versuchen, unsere Punkte zu setzen, so dass das Ganze einen Zug nach vorne bekommt.
Absprache, wie Handel fair organisiert wird, in weiter Ferne
Engels: Sie setzen auf bilaterale Handelsabkommen, wenn die häufig in sich blockierte Welthandelsorganisation es nicht schafft, klimaschonendere und sozialere Standards weltweit zu setzen. Das klingt alles gut, aber ist das nicht naiv, wenn wir die Realität betrachten, gerade jetzt, dass wir sehen, dass aufgrund der starken russischen Abhängigkeit von Energiestoffen weltweit eine Art Wettbewerb mal wieder ausgebrochen ist? Jeder will fossile Energien greifen, wo er sie kriegen kann, Manchester-Kapitalismus pur, Sie ja auch vorneweg auf der Suche nach Alternativen zur russischen Energieversorgung.
Habeck: Naiv würde ich in Bezug zur WTO nicht sagen, aber sicherlich ist es so, dass eine große weltweite Absprache zwischen den Staaten, wie Handel fair organisiert wird, in weiter Ferne ist. Dazu sind vor allem die USA und China zu verkeilt im Handelskrieg miteinander.
Was die bilateralen Abkommen angeht, so sehe ich es genau anders herum. Es ist zwar richtig, dass, ich würde sagen, die großen drückenden Themen, Inflation, Hunger und Energiearmut, im Moment jedes Land und jede nationale Regierung umtreiben. Wir sehen aber auch, dass wir uns helfen müssen und dass von den Energieeinkäufen, wo wir (wir heißt in diesem Fall die nationalen Regierungen) die Preise ja hochtreiben, wenn wir versuchen, uns gegenseitig zu überbieten, wie auch vor allem in Bezug auf die drohende Hungerkatastrophe – man muss es so klar sagen; es ist eine Hungerkatastrophe, auf die wir im nächsten Jahr zulaufen -, wo wir eine gemeinsame Unterstützung brauchen, nicht jetzt auch noch in dieser Situation die Märkte schließen, jeder versucht, seinen Weizen zu horten, aber alle anderen müssen dann hungern.
Das kann die Welt nur in die nächste Katastrophe führen. Die Erkenntnis ist eigentlich da, es braucht jetzt einen politischen Impuls, dass genau das nicht passiert. Und der kann ja mal auf diesem, sagen wir, häufig in der Kritik stehenden Davos-Forum passieren. Deswegen ist es gut, dass jetzt hier die Diskussion wieder live stattfindet und so viele Leute gekommen sind.
Das kann die Welt nur in die nächste Katastrophe führen. Die Erkenntnis ist eigentlich da, es braucht jetzt einen politischen Impuls, dass genau das nicht passiert. Und der kann ja mal auf diesem, sagen wir, häufig in der Kritik stehenden Davos-Forum passieren. Deswegen ist es gut, dass jetzt hier die Diskussion wieder live stattfindet und so viele Leute gekommen sind.
"Hunger wird als Waffe eingesetzt"
Engels: Aber gerade angesichts steigender Energiepreise, steigender Lebensmittelpreise sehen wir ja, dass im Moment der Trend vorzuherrschen scheint, jeder ist sich selbst der Nächste. Sie waren schon in Katar, um dort möglicherweise engere Verbindungen zu Flüssiggas-Lieferungen zu bekommen, und die Menschenrechtsstandards sind da auch zurückgestellt, oder?
Habeck: Ja, richtig! Aber ich war auch in Norwegen, ich rede mit den Kanadiern, fahre da demnächst hin, ich war in den USA. Natürlich ist es so – das kann man ja gar nicht anders leugnen -, wenn man 10, 20 Prozent der weltweit verfügbaren Energie, aus Russland kommend, ersetzen will, dass man erst mal Ersatz braucht. Und gerade was Gas angeht, ist die direkte Verbindung zu dem Hunger auf der Welt unmittelbar, denn Gas wird gerade für die Herstellung von Dünger enorm stark eingesetzt. Wenn es fehlt, produziert man für die nicht so reichen Länder auf der anderen Seite das Welthungerproblem oder man verschärft es.
Katar selbst ist auch nur ein Puzzle-Teil in diesem ganzen Spiel. Da sollte man jetzt nicht zu sehr drauf herumreiten. Entscheidend ist – und das ist die Aufgabe hier von Davos -, dass wir sehen, dass Hunger als Waffe eingesetzt wird im nächsten Jahr. Wir sollten uns auch keine Illusionen machen, dass die Brutalität Putins grenzenlos ist. Das würde ja, sagen wir mal, für Deutschland völlig ausgeschlossen sein, dass wir sagen, dann verhungern halt ein paar hunderttausend Menschen in Nordafrika, Hauptsache ich kriege meine Sanktionen wieder weg, aber bei Russland müssen wir damit rechnen und wir müssen jetzt als Weltgemeinschaft eine Partnerschaftsinitiative für diese Länder auflegen, die dafür sorgt, dass sie genug Kalorien bekommen, dass sie aber auch Marktzugänge bekommen.
Deswegen ist die Handelspolitik nicht nur ein „Was dient dem deutschen oder europäischen Interesse“, sondern tatsächlich ein enorm wichtiger Ansatz, die Welt als globale Solidaritätsgemeinschaft zu denken. Es muss aber dann eine andere Handelspolitik werden.
Deswegen ist die Handelspolitik nicht nur ein „Was dient dem deutschen oder europäischen Interesse“, sondern tatsächlich ein enorm wichtiger Ansatz, die Welt als globale Solidaritätsgemeinschaft zu denken. Es muss aber dann eine andere Handelspolitik werden.
"Die Sanktionen gegen Russland wirken"
Engels: Den Punkt haben wir verstanden, Solidarität auf der einen Seite, um die Krisen, die gerade sehr stark von Russland ausgelöst wurden, etwas zu dämpfen. Auf der anderen Seite – und damit kommen wir eher zu dem Konkreten, was auf dem Tisch liegt – haben Sie auch das Thema, dass Putin in die Grenzen gewiesen werden soll. Stichwort ist hier das Ölembargo gegen Russland. Dort ringt ja die EU schon seit Wochen, um die 27 der Gemeinschaft zusammenzuführen. Auch Deutschland ist nach anfänglichem Zögern dafür, doch besonders Ungarn sperrt sich hier. Zeigt sich hier nicht konkret, dass letztendlich das alles scheitert, hier auch Putin deutliche Stoppschilder zu setzen?
Habeck: Das kann man nicht sagen mit Blick auf die bisher erlassenen Sanktionen. Richtig ist allerdings, die sind scharf. Das dauert ein bisschen, bis sie wirken. Aber wenn man die Ausführungen der Präsidentin der Russischen Zentralbank hört, dann weiß man, dass das Land bankrott ist. Und wenn es weitermachen kann, dann nur auf einem Niveau von 1980, und ich würde sagen, das ist jetzt der Status. Es geht immer weiter zurück und das weiß Putin auch. Sicherlich gibt es die Erinnerung, dass der Zusammenbruch der Sowjetunion vor allem durch die ökonomische Krise in der Sowjetunion ausgelöst wird, auch noch in Russland. Die Sanktionen wirken.
Richtig ist, dass das Ölembargo jetzt blockiert ist oder scheinbar blockiert ist zunächst einmal durch die Widerspenstigkeit von Ungarn, aber auch Zypern und Griechenland wollen die Öltanker nicht sanktionieren. Das ist das übliche Gezeche und Geschacher in Europa. Das ist nicht schön und ist auch nicht schön anzuschauen. So wie Deutschland auch bin ich der Meinung, dass jedes Land seine eigenen Voraussetzungen hat. Die sind sehr unterschiedlich in Europa. Zwischen Ungarn und Portugal, da gibt es eine unterschiedliche Abhängigkeit. Das habe ich ja in Deutschland auch immer klargemacht, dass wir unsere Probleme lösen müssen, und das ist der Kernsatz. Die müssen gelöst werden.
Was ich akzeptiere ist, dass Länder sagen, wir sind noch nicht so weit, wir brauchen mehr Zeit, wir brauchen eine längere Übergangszeit, um unabhängig von Öl zu werden, aber nicht, um einfach weiterzumachen wie bisher und die Nähe zu Russland aufrechtzuhalten. Dazwischen liegt der Korridor einer Einigung.
"Einige Länder werden quasi Sonderrechte bekommen"
Engels: Katarina Barley von der SPD – Sie ist Vizepräsidentin des EU-Parlaments – hat hier im Deutschlandfunk vorgeschlagen, dass die 26 zustimmenden Staaten zu einem Ölembargo diese Embargoschritte einfach national beschließen könnten. Gehen Sie bei diesem Weg mit, die 26 mit nationalen Beschlüssen, und dann kann man auch ein Zeichen setzen?
Habeck: Im gewissen Sinne passiert das ja. Jedenfalls für Deutschland kann ich sagen, dass wir die Unabhängigkeit ja herstellen, indem wir LNG-Terminals bauen, Alternativen schaffen. Die baltischen Staaten, Lettland, Litauen, Estland, haben sich jetzt selber unabhängig von Stromimporten gemacht. Das sind ja quasi lauter kleine einzelne Embargoschritte.
Wenn man es insgesamt als konzertierte Aktion machen will, dann muss das die Europäische Union vorgeben. Es hilft jetzt nicht, wenn alle Länder anfangen, ihr eigenes Ding zu drehen. Europas Stärke war gerade in dieser Phase, dass es zusammengestanden hat, zusammensteht. Das schließt auch die manchmal schwierigen Partnerländer in Europa mit ein, wie in diesem Fall Ungarn. Wenn die Kommissionspräsidentin sagt, wir machen es jetzt als 26 ohne Ungarn, dann ist das ein Weg, den ich immer mitgehen würde, aber das habe ich von der EU noch nicht gehört, und ich bin jetzt in diesem Fall bereit, dass die EU die Verhandlungsführerschaft hat, die Kommission die Verhandlungsführerschaft hat, und die muss auch stark bei ihr bleiben. Ich nehme an, der Weg wird so sein, wie immer es in Europa ist, dass einige Länder quasi Sonderrechte bekommen und man dann zu einer Zustimmung kommt. Das entspricht dann dem Vorschlag von Frau Barley; nur es ist immer noch eine geschlossene europäische Aktion und eine Verhandlungsführung, die von Europa aus gesteuert wird.
Engels: Wagen Sie eine Prognose, wann diese Einigung beim Ölembargo erzielt ist?
Habeck: Ich hätte vor – wie lange ist das her, dass das politisch beschlossen wurde -, vor 14 Tagen ungefähr gesagt, innerhalb von zwei, drei Tagen, so lange dauert es. Ich bin selber enttäuscht, dass es so lange dauert. Aber sicherlich andere noch viel mehr, die das ja täglich dann machen müssen. Ich treffe nachher die Kommissionspräsidentin. Ich frage sie mal und wenn ich was weiß, sage ich Bescheid.
Engels: Das wäre sehr nett! – Aber Sie haben auch immer noch das Problem mit dem Gas. Wann haben Sie hier möglicherweise Fortschritte?
Habeck: Fortschritte sind ja da. Wir haben die Gasabhängigkeit von Russland von 55 Prozent vor Beginn des Krieges jetzt schon auf 35 reduziert. Wir werden, wenn alles gut läuft, zu Weihnachten oder Ende des Jahres zwei LNG-Terminals, in diesem Fall schwimmende am Netz haben. Die Speicher füllen sich langsam, aber sicher. Es gibt wieder Fortschritte. Die Energieunabhängigkeit bei Gas dauert aber – das muss man ehrlicherweise sagen – noch ein bisschen länger auch, und das ist jetzt in Davos auch dauernd Gespräch mit mir, bei mir, weil wir ja auch Transitland für andere Länder sind. Der Blick auf Deutschland darf nicht nur auf Deutschland gerichtet sein; Österreich, die Schweiz, die Tschechische Republik, alle hängen da am Transitland Deutschland. Wir müssen auch die Solidarität zu den Nachbarländern hochhalten.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.