Energiesparen nach dem Erdbeben

Die Züge in Großraum Tokio fahren seit gut zwei Wochen wieder regelmäßig. An den großen Bahnhöfen kommen die S- und U-Bahnen pünktlich an, wie gewohnt begleitet von einer kurzen Melodie. Zeitungsberichten zufolge wird Tokio jedoch noch immer mit einem Drittel weniger Strom versorgt als vor dem 11. März.

Von Silke Ballweg |
    Bislang hatten die meisten Japaner so gut wie kein Bewusstsein für die Notwendigkeiten, Energie zu sparen. Doch die, die schon seit Längerem einen ökologischeren Lebensstil propagierten, finden nun endlich Gehör und könnten in Zukunft eine wichtigere Rolle spielen.

    Hier in der Stadt Ishioka, rund anderthalb Autostunden von Tokio entfernt, steht seit einigen Wochen ein Passivhaus nach deutschem Standard. Die japanische Architektin Miwa Mori hat das Energiesparhaus in Zusammenarbeit mit dem örtlichen Bauunternehmer Keiichi Shimada realisiert:

    "Das Prinzip ist, möglichst viel Energie über die Fenster in den Raum zu bringen, und dafür braucht man Wärmedämmung in der Wand, Speichermasse, gute Fenster und im Sommer eine möglichst natürliche Belüftung."

    An der Eingangstür müssen Besucher, wie in Japan üblich, die Schuhe ausziehen. Schon beim Eintreten öffnet sich der Blick auf den gesamten Wohnbereich im Erdgeschoss und bis hinauf in den ersten Stock. Keiichi Shimada will künftig mit dem Bau von Passivhäusern Geld verdienen. Damit seine Kunden überhaupt verstehen, worum es bei einem Passivhaus geht, hat er in Zusammenarbeit mit Miwa Mori dieses Modellhaus bauen lassen.

    Miwa Mori ist 34 Jahre alt, vor zwölf Jahren ist sie nach ihrem Architektur-Studium in Yokohama mit einem DAAD-Stipendium nach Stuttgart gegangen. An ihrer japanischen Uni hatte sie zuvor überhaupt nichts über die Prinzipien von Wärme-Isolierung oder über energiesparendes Bauen gehört, aber in Deutschland merkte sie schnell, dass diese Ideen zum Repertoire der Architekten gehörten:

    "Ich sollte Fassaden gestalten, aber ohne diese Vorkenntnisse im Wärmeschutz konnte ich nicht arbeiten. Und dann habe ich mich dafür interessiert, aber mich auch gefragt, wie man dieses gute Prinzip nach Japan bringen kann."

    Passivhäuser versuchen, die natürlichen Energien in einem Haus optimal zu nutzen, etwa über Solarenergie oder über natürliche Belüftungsmechanismen. Und sie müssen gut isoliert sein:

    Miwa Mori trägt beige Jeans, ein schwarzes Shirt und darüber ein braungoldenes Top mit weiten Fledermausärmeln. Ihr Haar hat sie zu einem Pagenkopf geschnitten. Man merkt ihr an, dass sie zehn Jahre lang im Ausland gelebt hat, sie hat einen neuen und durchaus kritischen Blick auf ihr Heimatland bekommen.

    Vor zwei Jahren kehrte die 34 alte Frau mit ihrem deutschen Mann, ebenfalls einem Architekten, nach Japan zurück. Seither leiten beide ein kleines Architekturbüro in der Kleinstadt Kamakura in der Nähe Tokios. Mori ist Mutter eines fünf Jahre alten Sohnes und sie hat auf Japanisch bereits ein Buch über die Ideen des Passivhauses geschrieben. Ein Prinzip, so erklärt sie, sei zum Beispiel, die Südseite des Hauses mit möglichst großen Fenstern zu gestalten, damit die Sonne das Haus aufheizt. Doch wegen der anderen Baustandards in Japan ist das für die Architektin gar nicht so leicht:
    "Am schwierigsten ist die Erdbebensicherheit, wir haben hohe Erdbebenstandards, was nachvollziehbar ist nach dem 11. März. Erdbebensicherheit verlangt einen bestimmten Wandanteil, das heißt, in Deutschland kann man die komplette Südfassade mit Fenstern machen, um den Anteil der Solarenergie zu maximieren, was in Japan nicht möglich wäre. Also das ist viel, viel schwieriger als ein Passivhaus in Deutschland."

    Mori ist eine Pionierin auf dem Gebiet energiesparenden Bauens in Japan. Das sei aber auch dringend erforderlich, meint sie. Denn noch heute sind die meisten japanischen Häuser so gut wie nicht isoliert. Im Sommer lassen sie die schwüle Hitze von fast 40 Grad ins Haus, im Winter sind sie dann eiskalt.

    Weil es keine richtige Heizung gibt, heizen die meisten Japaner in der kalten Jahreszeit mit der Klimaanlage oder mit einer Art Elektrostrahler. Die fressen Strom und werden deswegen meist nur in einem einzigen Raum genutzt. Das sei jedoch richtig gefährlich, erzählt Miwa Mori:

    "In Japan sterben jedes Jahr über 10.000 Menschen im Haus, durch die Temperaturunterschiede zwischen Wohnraum und Badezimmer. Wir trennen einen einzigen Wohnraum, um dort zu heizen, wo sie essen und Fernsehgucken und da sind 20 oder 24 Grad und von da gehen sie kurz auf die Toilette und dann ist es vielleicht zehn Grad, und da sterben ältere Leute einfach."
    Miwa Mori hat bislang zwei Passivhäuser in Japan realisiert, einige weitere Projekte laufen. Seit dem Erdbeben gibt es spürbar mehr Anfragen von neuen Kunden. Viele Japaner denken in diesen Tagen zum ersten Mal über Energiesparen nach. Die Architektin Mori sieht darin eine Chance. Sie hofft, dass Japaner beginnen, Energie künftig als etwas Wertvolles zu betrachten. Und dass sie sich nicht länger alles gefallen lassen:

    "Das ist schon erstaunlich, wie schnell die Regierung die AKW-Politik durchgesetzt hat. Das ist traurig, wie die Leute falsch informiert sind. Ich denke, viele Leute haben zum ersten Mal mitbekommen, dass Strom in Japan mit AKW erzeugt wurde und dass wir sehr abhängig sind von dem System, aber ich hoffe, dass viele diese Art der Stromerzeugung nicht mehr akzeptieren."

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