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Energiewende
"Beim Kohleausstieg langsamen Ausstiegspfad wählen"

Ähnlich wie bei der Kernenergie befürwortet Patrick Graichen von der Denkfabrik Agora Energiewende ein langsames Ende der Kohlekraftwerke in Deutschland. Im Hinblick auf ökonomischen und sozialen Auswirkungen sei das sinnvoll, sagte Graichen im DLF.

Patrick Graichen im Gespräch mit Georg Ehring |
    Ein Braunkohlebagger im Tagebau Garzweiler
    Ein Braunkohlebagger im Tagebau Garzweiler (Jan-Martin Altgeld)
    Georg Ehring: Erneuerbare Energien übernehmen immer größere Anteile unserer Stromversorgung. Doch wenn nachts auch der Wind einschläft, dann muss der Strom nach wie vor aus Kohle- und auch aus Atomkraftwerken kommen. Trotzdem fordern nicht nur Umweltschützer an diesem Wochenende den Einstieg in den Kohleausstieg. Das langsame Ende der Kohle ist auch Regierungspolitik, und die Industriestaaten der G7-Gruppe haben sich der Dekarbonisierung der Weltwirtschaft verschrieben. Ist das nicht ein bisschen voreilig? Wie lange braucht Deutschland noch die Kohle? Die Denkfabrik Agora Energiewende hat viele Vorlagen für die deutsche Energiepolitik geschrieben und ihren Direktor, Patrick Graichen, begrüße ich jetzt am Telefon. Guten Tag, Herr Graichen.
    Patrick Graichen: Guten Tag!
    Ehring: Herr Graichen, wann kann denn das letzte Kohlekraftwerk in Deutschland vom Netz gehen?
    Graichen: Nun, ich denke, wir sollten uns da ungefähr noch 25 Jahre geben. Aber im Jahr 2040 ist es realistisch, dass das letzte Kohlekraftwerk seinen Betrieb aufhört.
    Ehring: Warum werden die so lange noch gebraucht?
    Graichen: Na ja, wir haben natürlich den Aufbau von Wind- und Solaranlagen und werden immer mehr Strom aus Wind- und Solaranlagen haben. Aber die Frage ist, wie produzieren wir den Strom in wind- und sonnenschwachen Zeiten, und da gibt es natürlich auch die Möglichkeit, auf Gaskraftwerke zurückzugreifen. Insofern haben wir da verschiedene klassische Kraftwerke als Option. Insofern kann man technisch gesehen wahrscheinlich auch schon früher aus der Kohle aussteigen. Wenn man aber jetzt auf die ökonomischen und die sozialen Auswirkungen guckt, ist es sicherlich sinnvoll, da einen langsameren Ausstiegspfad zu wählen, ähnlich wie damals beim Ausstiegsbeschluss aus der Kernenergie im Jahr 2000.
    Ehring: Die Gaskraftwerke sind flexibler, passen von daher gesehen auch besser zu den sehr stark schwankungsanfälligen erneuerbaren Energien. Muss man da nicht eine schnelle Strategie zur Umstellung auch auf Gas und flexiblere Energieformen wählen?
    Graichen: In der Tat, man kann das Ganze auch schneller machen. Die Diskussion rund um das Thema Braunkohle, die wir hatten, als es jetzt um die Klimaabgabe im Juni ging, hat aber auch gezeigt, dass die Frage, wie organisiert man diesen Strukturwandel so, dass er sozial abgefedert ist in den Regionen, natürlich auf der anderen Seite in der Waagschale liegt. Und da gilt es, einen angemessenen Kompromiss zu finden, und diese Zahl 2040 - die kommt ja von der Bundesumweltministerin Hendricks - halte ich in dem Kontext für einen ausgewogenen Kompromiss.
    Neue Netze brauchen wir definitiv
    Ehring: Der Strom aus der Braunkohle wird immer stärker exportiert. Lässt sich da die Bundesregierung möglicherweise auch für die Interessen der Energieunternehmen einspannen?
    Graichen: Wir haben tatsächlich die Situation, dass die Braunkohlekraftwerke im Kontext der zunehmenden Erneuerbaren dann ihr Heil im Ausland suchen. Sie verkaufen ihren Strom dann an den holländischen, an den österreichischen, an den französischen Märkten. Deswegen brauchen wir ja auch ein extra Instrument in dem Bereich. Das war die ganze Diskussion um das Thema Klimaabgabe.
    Jetzt hat ja die Bundesregierung beschlossen, dass wir eine Braunkohlereserve machen. Aber es ist eindeutig: Wenn man die Energiewende zu Ende denkt, und das heißt auch Dekarbonisierung und CO2 raus aus der Stromversorgung, dann muss man das Thema Braunkohle mit einem eigenen Instrument angehen. Sonst wird sie den Strom aus Gaskraftwerken in unseren Nachbarländern verdrängen.
    Ehring: Bürgerproteste gibt es nicht nur gegen die Braunkohle, sondern auch gegen den Netzausbau. Ist der denn in dem Umfang erforderlich, in dem er derzeit geplant wird?
    Graichen: Wir brauchen definitiv neue Netze, denn wir werden viele Windanlagen in Norddeutschland bauen und wir haben große Verbrauchszentren im Süden, in Bayern und Baden-Württemberg. Die gesamte Automobilindustrie und andere Teile der Industrie sind nun mal in Bayern und Baden-Württemberg und die können ihren Strom letzten Endes dann nur über Leitungen aus dem Norden beziehen.
    Ob jede einzelne Trasse, die so geplant wurde, auch tatsächlich gebaut werden muss, denke ich, muss man noch mal überprüfen. Aber zu glauben, dass wir ohne den Neubau von Trassen auskommen, halte ich für eine Illusion.
    Ehring: Patrick Graichen von der Denkfabrik "Agora Energiewende" - herzlichen Dank.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.