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Energiewende in den Niederlanden (2/5)
Ohne Erdgas, mit Ambitionen

Die Niederlande sind der größte Erdgasproduzent der EU. Doch damit soll bald Schluss sein: 2030 soll die Förderung enden. Bis 2050 will sich das Land komplett von fossilen Energieträgern verabschieden. Kritiker halten das für zu ambitioniert und warnen vor Engpässen und Abhängigkeiten von Russland.

Von Andrea Lueg | 11.12.2018
    Bunte Protestaktion gegen die Erdgas-Förderung und die Niederländische Erdölgesellschaft NAM in Groningen
    Protestaktion gegen die Niederländische Erdölgesellschaft NAM - ein Joint-Venture von Shell und ExxonMobil - in Groningen: Seit Erdbeben die Region erschüttern, ist der Druck auf die Regierung gestiegen, aus der Gasförderung auszusteigen (picture alliance / NurPhoto/ Romy Arroyo Fernandez)
    "Kom van dat Gas af" - in etwa: Wir müssen vom Gas weg -, singen die Besucher des Nachhaltigkeitscafés in Nimwegen. Hier trifft sich ein Publikum überwiegend aus dem grün-linken Spektrum, und da ist man sich einig: Der Beschluss der Regierung - an der die Grünen übrigens nicht beteiligt sind -, von Gas auf nachhaltige Energie umzusteigen, ist richtig.
    Aber: Kann der Umstieg überhaupt gelingen? Und vor allem: so schnell? Die öffentliche Debatte darüber nimmt gerade richtig Fahrt auf. Bart-Jan Hoevers vom Staatsunternehmen Gasunie, das das Fernleitungsnetz für Erdgas betreibt, warnt vor einem überstürzten Ausstieg aus der Gasförderung in Groningen:
    "Eine direkte Folge wäre, dass ein Teil unserer Kunden dann kein Gas bekäme und im Kalten sitzen würde. Denn seit den 60er-Jahren ist eine Abhängigkeit von Groninger Gas entstanden in den Niederlanden und auch in den Nachbarländern und diese Abhängigkeit werden wir nicht so 1-2-3 los."
    Gas aus Russland und Norwegen
    Die Gasgewinnung in Groningen ist in den letzten Jahren zurückgeschraubt worden. Derzeit darf nur noch etwa die Hälfte der bisherigen Menge pro Jahr gefördert werden. Doch weil weniger Gas aus Groningen kommt, müssen die Niederlande Gas aus anderen Staaten importieren. Zum Beispiel aus Russland und Norwegen.
    "Das Problem bei russischem und norwegischem Gas ist, dass es eine andere Zusammensetzung hat als das Groninger Gas. Das heißt, dass wir es erst konvertieren müssen, damit es die Qualität des Groninger Gases bekommt. Stickstoff muss hinzugefügt werden und das muss in einer entsprechenden Anlage geschehen. Die Kapazitäten solcher Anlagen sind begrenzt", erklärt René Peters von der Niederländischen Organisation für Angewandte Naturwissenschaftliche Forschung.
    Zudem wollen die Niederlande keine Abhängigkeit bei der Energieversorgung von Staaten wie Russland oder aus dem Nahen Osten. Viele Groninger ärgern sich aber auch, dass Groninger Gas nicht nur für die eigene Versorgung genutzt, sondern auch noch ins Ausland exportiert wird. Trotz der Erdbebengefahr.
    Tempo und Kosten der Umstellung stoßen auf Kritik
    Bis 2030 soll zwar auch damit Schluss sein. Doch Rene Peters meint, das könne schneller gehen:
    "Die beste Lösung wäre wahrscheinlich eine Kombination aus allen Möglichkeiten, die es gibt, um vom Groninger Gas unabhängiger zu werden. Also: So gut es geht die Möglichkeit nutzen, ausländisches Gas umzuwandeln, den eigenen Verbrauch weitestgehend reduzieren und die Exportverträge so schnell wie möglich zu beenden."
    Das umfangreiche Gasnetz solle man auf jeden Fall erhalten und auch unterhalten, sagen Experten, denn womöglich gebe es bald die technischen Möglichkeiten, auf sauberen Wasserstoff umzustellen. Vor allem Tempo und Kosten der Umstellung stoßen auf Kritik. Zum Beispiel von Taco de Hoek, Direktor des unabhängigen Ökonomischen Instituts für den Bau:
    "Ein Beispiel: Nach Schätzungen wird die Umstellung etwa 20.000 Euro pro Wohnung kosten, das sind dann Investitionen von 150 Milliarden Euro insgesamt, nur um die Wohnungen von Gas auf andere Energie umzustellen. Und wenn wir dann noch über eine klimaneutrale Umgebung sprechen, dazu haben wir Berechnungen angestellt, die belaufen sich auf weitere 230 Milliarden Euro."
    Musterschüler in Sachen Klimaschutz?
    Sicher, sagt van Hoek, sei es richtig, auf klimaneutrale Energie umzustellen. Aber müsse man denn gleich den Musterschüler geben?
    "Denn wir müssen uns auch klarmachen: Wir machen ein halbes Prozent des weltweiten Energieverbrauchs aus und wir können zwar suggerieren, dass wir den Planeten retten, aber ich denke: Warum liefern wir nicht einfach unseren Beitrag dazu, so wie wir das in Paris versprochen haben? Das würde eine Reduzierung des Energieverbrauchs um etwa 80 Prozent bedeuten. Das ist ein großer Unterschied zu völliger Klimaneutralität."
    Die Niederlande seien das genaue Gegenteil eines Musterschülers, hält Tom van der Lee dagegen, der für GrünLinks im Parlament sitzt:
    "Die Niederlande sind der Schmutzfink von Europa. Unser Anteil erneuerbarer Energie liegt bei 6,7 Prozent, 93,3 Prozent sind fossile Energie. Das ist richtig schlecht. Und was das Tempo angeht: Pro Jahr werden derzeit vielleicht 2.000 bis 3.000 Wohnungen energieneutral gemacht. Und wir haben 7,6 Millionen Wohnungen hier im Land."
    "Viel zu lange viel zu billige Energie"
    Zudem fehle bei Berechnungen wie denen von van Hoek ein entscheidender Faktor:
    "Wir müssen auch an den Schaden denken, der entsteht, wenn wir nichts tun. Das sind jedes Jahr 31 Milliarden Euro an Kosten, die durch den Ausstoß von Treibhausgasen entstehen, die unsere Gesundheit schädigen. Also das sind bis 2050 schon ohne Inflationsrate 1000 Milliarden."
    Jahrzehntelang habe man sich auf dem großen Gasvorkommen ausgeruht, keinerlei Rücklagen für die Zeit danach gebildet, sagen die Kritiker.
    "Das ist unser Problem: Wir hatten viel zu lange viel zu billige Energie, deshalb haben wir die Kosten nie mitgerechnet."
    Eins habe die Entscheidung zu einem raschen Ausstieg auf jeden Fall bewirkt, da sind sich Kritiker und Befürworter ziemlich einig: Überall im Land, in Wirtschaft, Industrie und Politik, werde nun fieberhaft nach guten Lösungen gesucht.