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Energiewende in den Niederlanden (5/5)
Wärme aus dem Hafen oder aus dem AKW?

Wie sollen die Niederländer ohne Erdgas Gebäude heizen, wie Essen kochen und Strom erzeugen? Die Suche nach Alternativen ist in vollem Gange. In Rottderdam versucht man es mit Abwärme aus dem Hafen. Überlegt wird aber auch, ob die Kernenergie wieder eine größere Rolle spielen soll.

Von Andrea Lueg |
    Riesige Rohre des Wärmenetzes im Hafen von Rotterdam
    Abwärme aus dem Rotterdamer Hafen wird als Fernwärme für das Stadtviertel Prinsenland genutzt (Deutschlandradio/ Andrea Lueg)
    "Wir sind hier gerade dabei, in diesem Gebäude die Wohnungen von Erdgas auf Stadtwärme umzustellen. Die Bewohner kochen jetzt elektrisch und heizen mit Stadtwärme", erklärt Felix Hunting vom Energiekonzern Eneco. Stadtwärme, das ist in Rotterdam-Prinsenland Restwärme aus dem Hafen. 1.600 Wohnungen werden in den Wohnblöcken insgesamt umgestellt, bei 625 ist das schon passiert. Hunting schließt einen Raum auf, etwa so groß wie eine Garage, aber ein bisschen höher, durch den weiße Rohre verlaufen:
    "Mit dieser Anlage wird der ganze Wohnblock beheizt. Das kommt alles aus der Industrie."
    Restwärme aus Betrieben besser nutzbar machen
    Eneco, das Unternehmen, das dieses Projekt betreibt, hat sich auf nachhaltige Energie spezialisiert und will neben Wind und Sonne auch die Restwärme aus Betrieben besser nutzbar machen, erklärt Jinny Moe Soe Let, die sich als Managerin mit dem Energieumstieg beschäftigt:
    "Im Hafen von Rotterdam gibt es natürlich ganz unterschiedliche Betriebe, Raffinerien etc. Die produzieren Wärme, die derzeit einfach verloren geht, was natürlich sehr schade ist, denn die Wärme entsteht ja so oder so. Die könnte man besser nutzen, um damit Häuser zu beheizen."
    Genau das passiert jetzt in Prinsenland. Die Bewohner müssen sich umstellen. Das fällt vielen Niederländern vor allem schwer, wenn es darum geht, nicht mehr mit Gas zu kochen, wie es die meisten in den letzten 50 Jahren getan haben. Willy Muller hat jetzt keinen Gasherd mehr, sondern ein Induktionskochfeld: "Es geht. Aber braten kann man damit nicht so gut", lautet ihr Urteil.
    Abgesehen vom Kochfeld hat sich in ihrer Wohnung nicht viel verändert. Die Heizkörper sind neu, aber die sehen genauso aus wie die alten, erzählt sie. Das Energieunternehmen entscheidet bei jedem Vorhaben zum Energieumstieg nach den Gegebenheiten.
    "Welche Wohnungen stehen da, welche anderen Gebäude, welche Betriebe? Die Lösungen sind ganz unterschiedlich. Grob gesagt, unterscheidet man zwei Möglichkeiten: entweder elektrische Wärme oder kollektive Wärme, also ein Wärmenetz. Aber zwischen diesen beiden Optionen gibt es natürlich noch eine ganze Reihe Varianten."
    Wärmenetz oder Wärmepumpe?
    Während Wärmenetze, bei denen erwärmtes Wasser durch ein Netz von unterirdischen Rohren fließt, in der Stadt oft eine gute Lösung sind, greift man auf dem Land, wo man es mit viel mehr Einfamilienhäusern zu tun hat, eher zu elektrischen Wärmepumpen. Dann braucht man Fußbodenheizung und Anpassungen im Elektrizitätsnetz. Und natürlich müsse man grünen Strom in das Stromnetz einspeisen, erklärt Jinny Moe Soe Let, sonst sei es nicht nachhaltig.
    Sonne und Windenergie wären solche grünen Stromquellen, doch Sonnenpaneele sind zum Beispiel auf den alten denkmalgeschützten Häusern in Amsterdam oder Rotterdam nicht erlaubt. Gegen große Ansammlungen von Windrädern gibt es Widerstand von Bewohnern der Regionen, wo sie stehen. Und die Restwärme aus dem Rotterdamer Hafen ist bisher nicht wirklich sauber, räumt Jinny Moe Soe Let ein:
    "Wir sehen das als Zwischenschritt. Der Rotterdamer Hafen hat große Pläne, um komplett nachhaltig zu werden, und es gibt auch konkrete Pläne, die Industrie im Hafen nachhaltiger zu gestalten. Also indem wir jetzt diese Infrastruktur anlegen, können wir die schon jetzt vorhandene Energie nutzen und in Zukunft ein ziemlich großes Gebiet mit nachhaltiger Energie versorgen."
    Kernenergie wird aus der Tabu-Ecke geholt
    Irgendwo muss die alternative Energie ja herkommen. Da tauchen auch alte Bekannte wieder auf. Man müsse reden über Kernenergie, erklärte Arjen Lubach, eine Art Jan Böhmermann des niederländischen Fernsehens seinem Publikum vor ein paar Wochen. Und trotz der lustigen Verpackung war das durchaus ernstgemeint:
    "Und jetzt ruft ihr alle: Kernenergie??? Nein Arjen – Strahlung! Tschernobyl! Aber ich lass mich von Euch nicht in die Tabu-Ecke stellen."
    Aus der Tabu-Ecke wird die Kernenergie tatsächlich gerade wieder herausgeholt. Schließlich sei sie eine klimaneutrale und kostengünstige Alternative. Warum sollte man also nicht die saubere Atomkraft nutzen, fragen die Befürworter, statt auf die schmutzige Kohle zu setzen? Allein der Atommüll bereitet noch Kopfzerbrechen. Aber es soll ja auch nur für den Übergang sein. Bis die nachhaltigen Energieformen, Wind, Sonne, Restwärme und vielleicht auch Wasserstoff für die komplette Versorgung des Landes so weit seien.
    Wettbewerb um Energie-Fachkräfte
    Ganz gleich, welche Energie das Erdgas in den Niederlanden ersetzt, sagt Jinny Moe Soe Let: "Es muss Menschen geben, die das alles umsetzen. Wir brauchen Monteure und Techniker, davon haben wir zu wenige, wir brauchen dringend Fachkräfte." Um die entsprechenden Fachleute werde es in Zukunft einen großen Wettbewerb geben, meint sie.
    Willy Muller, bei der der Ausstieg vom Gas schon stattgefunden hat ist im Gegensatz zum Induktionsfeld mit ihrer neuen Heizung sehr zufrieden. "Ich muss sagen, das Heizen ist günstiger als je zuvor. Also scheint das doch ein Vorteil zu sein."