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Energiewende in Deutschland
"Wir brauchen einen Umbau des gesamten Energiesystems"

Die Kosten der erneuerbaren Energien seien massiv gesunken, sagte die Energieexpertin des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung, Claudia Kemfert, im Deutschlandfunk. Dennoch steige der Strompreis, weil an Kohle- und Atomkraft festgehalten werde. Das müsse sich ändern.

Claudia Kemfert im Gespräch mit Mario Dobovisek |
    Die Leiterin der Abteilung Energie im Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung, Claudia Kemfert.
    In der Zukunft werde der Strompreis tendenziell billiger, sagte die Leiterin der Abteilung Energie im Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung, Claudia Kemfert. (imago/Jeske)
    "Wir zahlen auch die Erhaltung des alten Systems", kritisierte Kemfert. Als Beispiel nannte sie die "Kohleabwrackprämie". Zudem gebe es viel zu hohe Netzentgelte. Wenn die Energiepolitik stattdessen konsequent auf erneuerbare Energien ausgerichtet werden würde, dann würde der Strompreis sinken. Sie forderte eine Abkehr von Kohle und Atomkraft. "Wir brauchen einen Umbau des gesamten Energiesystems".
    Mit Blick auf den sinkenden Ölpreis sagte Kemfert, es gebe ein Überangebot auf den internationalen Märkten. Die Nachfrage sei nicht so stark gestiegen, wie es die ölproduzierenden Länder erwartet hätten. Kemfert zufolge geht es auch um die Ausweitung von Marktanteilen, weshalb viele Staaten weiter bis zum Anschlag Öl produzierten. Das könne einige Länder ohne ausreichende finanzielle Reserven wie Venezuela in Schwierigkeiten bringen. Sie müssten unabhängiger von Ölverkäufen werden.

    Das Interview in voller Länge:
    Mario Dobovisek: Wir bleiben bei der Energie, vielmehr bei ihren Kosten. Sie steigen nämlich, darüber können die niedrigen Spritpreise an den Tankstellen dieser Tage nur vorübergehend hinwegtäuschen. Der Ölpreis liegt am Boden, mitten in der Ferienzeit. Was bedeutet das für die Wirtschaft, für die Politik? Wann wird das Benzin wieder teurer? Gleichzeitig lesen wir Meldungen von steigenden Strompreisen, denn ab Januar gilt das veränderte Erneuerbare-Energien-Gesetz. Die Befürchtung die sogenannte EEG-Umlage könnte die Kosten der Haushalte weiter in die Höhe treiben. Ein paar Zahlen des Statistischen Bundesamtes zum Vergleich: Vor 20 Jahren gab eine durchschnittliche Familie umgerechnet 155 Euro im Monat aus für Energie, für Strom, Gas, Wärme, Benzin, es waren sechs Prozent aller Konsumausgaben des Haushalts. Inzwischen liegen wir bei über sieben Prozent und durchschnittlich 250 Euro im Monat. Der Anteil der Energiekosten in den Haushalten steigt also allmählich. Noch kurz zur Entwicklung der Strompreise, auch eine wichtige Zahl: Der lag vor 20 Jahren nämlich bei 30 Pfennigen und heute bei knapp 30 Cent, hat sich also seitdem verdoppelt. Am Telefon begrüße ich Claudia Kemfert, sie ist Energieökonomin am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung, guten Morgen, Frau Kemfert!
    Claudia Kemfert: Guten Morgen, Herr Dobovisek!
    Dobovisek: Viele Zahlen waren das. Billiges Öl, können wir mal zusammenfassen, und Benzin, zumindest im Moment, teurer Strom. Gleicht sich das am Ende des Jahres in der Haushaltsbilanz dann irgendwie wieder aus?
    Kemfert: Ja, die Energiekosten insgesamt sind ja schon auch in den letzten Jahren gesunken, was daran liegt, dass der Ölpreis sehr niedrig ist. Denn Öl und damit eben auch ein niedriger Gaspreis bedeuten für die Haushalte viel, viel geringere Kosten, weil die Kosten für Heizen, Mobilität, aber auch eben für diese Komponenten sehr viel höher sind als beim Strom. Da wird sehr viel weniger ausgegeben, sodass insgesamt die Bilanz dann eher rückläufige Kosten sind.
    "Wir haben ein Überangebot an Öl auf den internationalen Märkten"
    Dobovisek: Das ist schon mal eine gute Nachricht! Bleiben wir zunächst mal beim Ölpreis. Warum ist der derzeit – wieder, muss man sagen – so niedrig?
    Kemfert: Ja, wir haben ein Überangebot an Öl auf den internationalen Märkten, das zeigen alle Marktdaten, was daran liegt, dass wir viele Öl produzierende Länder haben, die immer mehr Öl auch produzieren, auf den Markt werfen. Da sind die USA, da ist Russland, alle OPEC-Staaten, der Irak produziert immer weiter, mittlerweile auch der Iran. Und die Nachfrage ist nicht so stark angestiegen, wie man eigentlich dachte. Und das bedeutet eben, dass es ein Überangebot gibt an Öl auf den internationalen Märkten, und das drückt eben auch den Preis.
    Dobovisek: Und es soll dabei auch darum gehen, Wettbewerber zu verdrängen, zum Beispiel das Fracking in den USA. Wird das gelingen?
    Kemfert: Also, bisher ist es noch nicht so richtig gelungen, weil die USA noch immer sehr viel Öl produzieren, selbst bei diesem niedrigen Ölpreis. Aber es geht in der Tat um die Ausweitung von Marktanteilen, kein produzierendes Land will hier zurückstecken und produziert nahezu am Anschlag. Die OPEC selber ist sich auch überhaupt nicht einig, schafft es eben auch nicht, die Produktion zu drosseln, und das führt eben zu diesem Überangebot. Und deswegen auch die sinkenden Preise.
    Dobovisek: Seit gestern wissen wir: Kuweit meldet zum ersten Mal seit 16 Jahren einen Haushaltsdefizit wegen des niedrigen Ölpreises. Wie lange halten das die Scheichs und Emire noch aus?
    Kemfert: Ja, das ist schwer zu sagen, weil es immer darauf ankommt, welche finanziellen Deckelungen die noch haben, also, wie es im Staatshaushalt da tatsächlich aussieht. Aber insgesamt ist es sehr schlecht für die Öl produzierenden Länder, die Einnahmen gehen immer weiter zurück, die Staatskasse ist stark belastet, das sieht man in allen Öl produzierenden Ländern, auch in Venezuela oder auch in Russland. Und da muss in der Tat etwas passieren, dass diese Staaten nicht mehr so abhängig sind von den Ölverkäufen.
    Dobovisek: Wie viel Zeit bleibt noch nach Ihrer Schätzung?
    Kemfert: Ja, es ist immer schwer zu sagen, weil es immer davon abhängt, welche finanziellen Puffer diese Länder noch haben, ob sie auch finanzielle Reserven haben. In Russland sieht das noch ganz gut aus, auch in Saudi-Arabien, aber Länder wie Venezuela sind schon sehr stark in Mitleidenschaft gezogen worden und deshalb ist es sehr schwer zu prognostizieren, wie lange es noch geht. Aber diese Länder müssen etwas tun, sie müssen sich umstellen, sie können nicht nur ihre Staatseinnahmen ausrichten auf die Verkäufe von Öl.
    Dobovisek: Viel Angebot an Öl, wenig Nachfrage auch durch die Wirtschaft. Was sagt uns das über die Weltwirtschaft?
    Kemfert: Ja, im Moment ist es so, dass es finanziell da nicht so eine starke Ölnachfrage gibt. Das ist vor allen Dingen ein Spiegelbild der asiatischen Wirtschaft, dort hat man weniger wirtschaftliches Wachstum als ursprünglich geplant. Und das sieht man eben auch in der Ölnachfrage, sodass hier man deutlich sieht: Im Moment gibt es einen Abschwung, aber das kann sich auch wieder verändern. Wenn Öl billiger ist, ist es ja ein finanzieller Vorteil zumindest für die Öl importierenden Staaten. Und das kann eben auch bedeuten, dass die Wirtschaft sich daraus wieder entwickelt und damit auch wieder besser gehen kann.
    "Die Strompreise werden eher ansteigen"
    Dobovisek: Wenn ich zusammenfassen darf, also den ersten Teil unseres Gesprächs über das Öl: Öl ist günstig, bleibt auch zunächst mal günstig und sorgt dafür, dass die Energiebilanz in unseren Haushalten tatsächlich momentan relativ gut ausfällt für uns. Blicken wir aber auf den Strom, zum 01.01.2017 tritt das neue EEG in Kraft, dann gilt Wettbewerb bei der Förderung erneuerbarer Energien. Wer die geringsten Subventionen braucht, bekommt etwa den Zuschlag für einen neuen Windpark. Wie wird sich das auf die Strompreise auswirken?
    Kemfert: Ja, leider aller Voraussicht nach nicht senkend. Denn die Strompreise werden eher ansteigen, was an unterschiedlichen Gründen liegt. Diese von Ihnen eben beschriebenen Ausschreibungen sind auch keine Garantie für sinkende Preise, denn es gibt ja höhere Transaktionskosten, es gibt auch Finanzrisiken. Das kann das Ganze wieder teurer machen. Zudem haben wir eine Kohlabwrackprämie beschlossen, die auch noch mal den Strompreis erhöht. Der niedrige Strombörsenpreis wird leider nicht an die Verbraucher weitergegeben. Und wir haben einen überdimensionierten Netzausbau und viel zu hohe Netzentgelte, all das treibt den Strompreis eher nach oben.
    Dobovisek: Allerdings ist es natürlich so, dass, wenn es eine Art Kontrolle über den Ausbau erneuerbarer Energien gibt, dann haben wir auch eine, sagen wir mal, Planbarkeit der Umlage, die ja sonst unkontrolliert auch steigen würde?
    Kemfert: Da muss ich Ihnen leider widersprechen, so schwer mir das an dieser Stelle fällt. Das ist genau umgekehrt, denn die Umlage ist ein Indikator dafür, die kann man kontrollieren und damit eben auch eine Kostenkontrolle ausführen. Aber was Sie ja richtigerweise ansprechen, es geht ja darum, dass man kontrollieren will, wie weit man vorwärts geht mit dem Ausbau der erneuerbaren Energien. Nur, hier ist es so, dass die Kosten der erneuerbaren Energien in den letzten Jahren massiv gesunken sind, die sind also gar nicht zuständig für den Preisanstieg, sondern andere Gründe wie der niedrige Börsenpreis, wie die hohen Industrieausnahmen und eben auch Kohleabwrackprämie und all das, was noch dazukommt. Also, in der Summe steigt dann leider der Strompreis und das bedeutet eben, dass die erneuerbaren Energien für diese Preissteigerung nicht verantwortlich sind.
    Dobovisek: Also niedriger Strompreise im Grunde, aber viel Drumherum. Wie kann man das ändern?
    Kemfert: Ja, man muss es als Ganzes betrachten. Und hier ist die Politik tatsächlich gefragt. Wir brauchen einen Umbau des gesamten Energiesystems, weg eben von inflexiblen Kohle- und Atomkraftwerken hin zu den erneuerbaren Energien, hin zu neuen Marktmodellen, hin eben auch zu Energiemanagement, zu Speicherung und all die technischen Lösungen, die damit verbunden sind. Dann wird es eben auch wieder billiger, weil die Kosten dann im Zeitablauf sinken. Teuer macht das System im Moment vor allen Dingen, dass man zu lange festhält am herkömmlichen System, an Atom- und Kohlekraft, und damit eben zwei Systeme finanzieren muss. Und wenn man da mal loslassen würde, sich wirklich konsequent auf die Zukunft ausrichten würde, dann wäre es auch für alle Seiten besser.
    "Im Moment bezahlen wir den Umbau"
    Dobovisek: Ich habe eingangs die Zahlen erwähnt, in 20 Jahren jetzt hat sich der Strompreis verdoppelt. Werden wir in weiteren 20 Jahren wieder eine Verdoppelung erleben?
    Kemfert: Also, die Kostenkomponenten sinken alle. Die erneuerbaren Energien werden kontinuierlich billiger, auch andere Lösungen, je früher wir anfangen, desto eher wird auch der technische Fortschritt vorwärts gehen, desto billiger wird es dann auch. Im Moment bezahlen wir den Umbau, diese Investitionen kosten Geld, aber wir bezahlen auch die Erhaltung des alten Systems, was das Ganze überdimensional teuer macht. Also, in der Zukunft wird es tendenziell absehbar billiger.
    Dobovisek: Gute Nachrichten! Claudia Kemfert, sie leitet die Abteilung Energie, Verkehr und Umwelt beim Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung. Ich danke Ihnen für das Interview!
    Kemfert: Ich danke Ihnen!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.