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Energiewende ja, neue Strommasten nein

Die erste Aufbruchsstimmung bei der Energiewende scheint dahin zu sein. Jetzt beherrscht die Debatte um steigende Stromkosten die Medien, auch gegen einen Netzausbau formiert sich mancherorts Widerstand. Es ist noch viel Überzeugungsarbeit zu leisten.

Von Grete Harnitz |
    Etwa 200 Interessierte hat der Infotag nach Hannover gelockt. Beim Blick ins Publikum fällt allerdings auf: Die Bezeichnung "Bürgerdialog" für diese Veranstaltung trifft es nicht wirklich: Denn den Großteil der Gäste im Festsaal des Alten Rathauses stellen die "Anzugträger": Nur knapp jeder zehnte der Besucher kommt tatsächlich als Vertreter einer Bürgerinitiative. Einer von ihnen ist Peter Gosslar:

    "Und wenn sie dann 90 Prozent von Funktionären, von der Wissenschaft und von Behörden sehen, dann ist es umso wichtiger, dass man hier Flagge zeigt, dass man auch als Bürger da ist und das die nicht alles machen können, was sie wollen!"

    Der energische Herr stammt aus dem Harzvorland und ist Mitglied im Verein Bürger Pro Erdkabel. Er und seine Mitstreiter sind zwar für den Netzausbau. Aber gegen große Megamasten und oberirdische Leitungen. Letztere wiederum favorisiert der Bauernverband in Göttingen, weil man durch Erdverkabelung negative Folgen für die Landwirtschaft fürchtet. Viele unterschiedliche Interessen also - aber ein Fakt: Es muss ein neues Stromnetz her:

    "Wir haben uns mit der Energiewende eine völlig neue Struktur der Energieerzeugung vorgenommen - das führt dazu, dass sich der Erzeugungsschwerpunkt tendenziell nach Norden verlagern wird - die Abnahmeschwerpunkte aber im Süden und Westen bleiben. Und hieraus folgt eben, dass das Transportnetz, das den Strom von Norden nach Süden transportiert, ausgebaut werden muss!"

    So Peter Franke, der Vizepräsident der Bundesnetzagentur. 3800 Kilometer neue Trassen sind seinen Angaben nach nötig, um das alte Netz für die neuen Energien fit zu machen. Kostenpunkt: rund 20 Milliarden Euro. Das sind keine wirklich neuen Informationen - aber: Antworten auf die spannenden Fragen, etwa danach, wie die Trassen nun endgültig verlaufen sollen, kann die Bundesnetzagentur noch immer nicht geben. Denn: Das ist schlicht noch nicht entschieden. Derzeit prüft Frankes Behörde noch den Netzentwicklungsplan, also die Vorschläge der Netzbetreiber für den Ausbau:

    "Wir hoffen, wenn wir sehr umfassend, sehr frühzeitig über die Grundlagen der Netzentwicklungsplanung aufklären, dass dann auch in den weiteren Planungsschritten das Verständnis größer ist, dass wir dann diesen Planungsprozess zügig weiter konkretisieren können!"

    Eine Lehre aus den Stuttgart-21-Protesten? In Hannover ist das schwäbische Mammutprojekt kein Thema. Die Bürger haben beim Stromnetzausbau ein Mitspracherecht, wird der Vertreter der Bundesnetzagentur aber nicht müde zu betonen. Konkret heißt das: Wer Sorgen und Einwände zu dem im Internet veröffentlichten Netzentwicklungsplan hat, kann sich schriftlich melden. Viele Bürger haben das bereits getan, viele treibt die Frage um, ob elektrische und magnetische Felder den Menschen vielleicht schaden. Frank Gollnick arbeitet am Forschungszentrum für Elektro-Magnetische Umweltverträglichkeit am Uniklinikum Aachen. Er ist in Hannover als Sachverständiger zum Thema geladen - und verweist auf die bisherige Auswertung wissenschaftlicher Fachliteratur:

    "Und da ist man eben bislang zu dem Schluss gekommen, dass da eben keine Gefahr von solchen Feldern ausgeht. Aber - das muss man der Fairheit halber auch sagen: Es gibt ernst zu nehmende Hinweise aus statistischen Bevölkerungsuntersuchungen auf ein leicht erhöhtes Leukämie-Risiko bei Kindern, wenn die Kinder dauerhaft, vor allem an ihrem Schlafplatz, magnetischen in einer Stärke von größer als 0,3 bis 0,4 Mikrotesla ausgesetzt sind!"

    Noch sei das aber lediglich ein erster Hinweis. Weitere wissenschaftliche Tests sind geplant.

    "Wenn man mir ne Trasse vors Haus bauen würde, wäre ich sicher wegen der Optik nicht sehr begeistert. Aber wenn ich an die elektrischen beziehungsweise an die magnetischen Felder denke, wäre es für mich kein Grund wegzuziehen - weil ich kenne zum Teil sogar die Leute, die in diesen wissenschaftlichen Kommissionen sitzen, die sagen mir: Die Grenzwerte, so wie sie heute festgelegt sind, sind sicher, und da vertrau ich drauf!"

    Sechs Infotage mit Vorträgen und Diskussionen finden bundesweit statt. Mit dem Ziel, die Bürger vom Netzausbau zu überzeugen und Widerstand zu brechen. Ob der Plan der Bundesnetzagentur aufgeht, wird sich zeigen - spätestens 2014 soll es um konkrete Trassen gehen. Fest steht: Es ist noch viel Überzeugungsarbeit nötig:

    "Ich finde, dass die Bundesnetzagentur das sehr professionell macht. Die Stimmung ist eigentlich gut ".

    "Die Bürgerinitiativen tragen immer wieder die gleichen Argumente vor, wir tragen die gleichen Argumente vor - und die Verwaltung in der Mitte - die Bundesnetzagentur in diesem Fall muss das dann in irgendeiner Form abarbeiten. Das ist ein schwieriges und zähes Brot, und neue Erkenntnisse habe ich bisher noch keine gesehen."

    "Genauere Informationen zum Entstehungsprozess des jetzigen Entwurfes - das ist schon für mich dabei herausgekommen."

    "Also grundsätzlich finde ich die Veranstaltung gut, aber man sollte die Termine schon in die Abendstunden legen, damit auch mehr Bürger mitmachen können!"

    Wie etwa Peter Gosslar vom Verein Bürger Pro Erdkabel. Den Dialog mit der Bevölkerung begrüßt er.

    "Die Bundesnetzagentur macht das nicht freiwillig - es gibt ein Gesetz, dass diese ganzen Vorhaben konsultiert werden müssen und der Öffentlichkeit vorgestellt werden müssen - und da sind wir in diesem Prozess. Naja gut, Beteiligung ist doch nicht schlecht. Also, ich hab schon schlimmere Veranstaltungen erlebt!"