Frederik Rother: Die Erderwärmung soll deutlich unter zwei Grad begrenzt werden. Das ist eines der zentralen Ergebnisse des Pariser Weltklimagipfels. Der Kompromiss wurde von vielen Politikern geradezu euphorisch begrüßt. Aber jetzt nach den Glücksgefühlen vom Wochenende folgt die harte Arbeit, auch in Deutschland. Bundesumweltministerin Barbara Hendricks will etwa bis Mitte nächsten Jahres einen Klimaschutzplan 2050 vorlegen, der unter anderem vorsieht, die Nutzung fossiler Energieträger, also auch der Kohle zu beenden. Dabei müssen die erneuerbaren Energien helfen, deren Ausbau im Zuge der Energiewende voranschreitet. - Am Telefon begrüße ich dazu jetzt Patrick Graichen. Er ist Direktor der Denkfabrik Agora Energiewende in Berlin. Herr Graichen, um die EEG-Umlage nicht zu sehr in die Höhe schießen zu lassen, hat die Bundesregierung den Ausbau von Wind- und Sonnenenergie gedeckelt. Muss dieser Deckel jetzt gelüftet werden?
Patrick Graichen: 2016 steht eine neue Novelle beim Erneuerbare-Energien-Gesetz an und in der Tat ist es so, dass wir im Gesetz noch einen Deckel haben bei der Fotovoltaik-Förderung bei 52 Gigawatt, und der gehört auf jeden Fall weg. Ob man auch höhere Erneuerbaren-Ziele dort vereinbaren sollte, muss man dann diskutieren. Es ist auf jeden Fall so, dass mit Paris die Anstrengungen bei uns eher verstärkt werden müssen, als dass wir nachlassen können.
Rother: Jetzt ist es ja so, dass die Sonne nicht immer scheint und der wind auch nicht immer weht, wenn viel Strom gebraucht wird, und das ist bisher ein Problem. Wie weit sind wir denn, um diesen Strom auf Vorrat speichern zu können?
Graichen: Wir sind beim Thema Speicherung noch nicht so weit. Das ist auf jeden Fall noch eine Baustelle. Aber, muss man dazu sagen: Das ist auch jetzt noch nicht wirklich nötig. Wir werden dieses Jahr die 30-Prozent-Schwelle bei den Erneuerbaren überspringen und wir peilen im Moment 50 Prozent Erneuerbare bis zum Jahr 2030 an. Das heißt, dass da ja auch immer noch Gaskraftwerke und auch Kohlekraftwerke im System sind, die dann in genau diesen Zeiten die Stromversorgung übernehmen können. Ich muss mir jetzt nicht so viele Sorgen um die Speicherung machen. Das brauchen wir erst am langen Ende der Energiewende.
"Werden sehen, dass ein Großteil der Kabel unter die Erde gelegt werden"
Rother: Und wenn wir über dieses lange Ende reden, wären dann Offshore-Anlagen vor der Küste oder Windkraft-Anlagen verteilt über das Land besser? Was wäre da besser?
Graichen: Windkraft-Anlagen verteilt über das Land sind die kostengünstigere Alternative. Natürlich aber hat das auch einen Landschaftseingriff, der im Moment ja auch sehr kontrovers diskutiert wird, gerade in Bayern und Baden-Württemberg oder in Hessen. Insofern bleiben die Wind-Offshore-Anlagen in gewisser Weise unsere Versicherung darüber, dass wir mehr Windzubau an Land zu irgendeinem Zeitpunkt vielleicht nicht mehr wollen.
Rother: Trotz der Debatte um die Stromtrassen?
Graichen: Trotz der Debatte um die Stromtrassen. Wir werden sehen - das ist ja jetzt im letzten Jahr beschlossen worden mit dem Kompromiss vom Juli diesen Jahres, meine ich -, dass ein Großteil der Kabel unter die Erde gelegt werden, und damit ist es meines Erachtens auch verträglich geworden für diejenigen, die in der Nähe von diesen Leitungen leben.
Rother: Jetzt werden ja in den nächsten Jahren die verbleibenden Atomkraftwerke abgeschaltet. Eine Prognose von Ihnen: Wo stehen wir denn bei der Stromerzeugung 2020?
Graichen: 2020 denke ich, dass wir nur noch ganz wenige Atomkraftwerke haben. Das letzte geht ja 2022 vom Netz. Wir werden gut 40 Prozent Erneuerbare haben und ungefähr der Rest ist nach wie vor stark kohlelastig. Da werden immer noch 40 Prozent Kohle im System sein.
Rother: ... sagt Patrick Graichen, Geschäftsführer des Think Tanks Agora, zur Rolle der erneuerbaren Energien beim Klimawandel. Vielen Dank Ihnen für das Gespräch.
Graichen: Ja gerne!
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