Mit der Energiewende ist es so, wie mit vielen zunächst ungewissen, aber sehr notwendigen Dingen, von denen man hofft, dass sie gut ausgehen - einer Operation, einer Fahrt mit der Achterbahn oder einem dramatischen Film zum Beispiel. Wofür es den prägnanten Zustandsbericht "spannend" gibt.
"Als sozialwissenschaftliche Forscher, als raumwissenschaftliche Forscher finden wir die Energiewende so enorm spannend, weil es so dynamisch ist und so viel Impetus verliehen bekommen hat. So viel hat sich verändert seit 2011, was wahrscheinlich nicht rückgängig zu machen ist - egal, welche politischen Signale jetzt gesendet werden."
Dr. Timothy Moss ist Leiter der Forschungsabteilung am Leibniz-Institut für Regionalentwicklung und Strukturplanung, kurz IRS, in der die Energiewende empirisch erforscht wird, und zwar unter der Überschrift "Materialität, Macht, Menschen". Es geht also um die Mechanismen, wie die zentrale politische Vorgabe "Energiewende jetzt" von oben nach unten weitergereicht und dort realisiert wird. Denn das ist eines ihrer wesentlichen Merkmale: So zentral das Anliegen, das Anschieben der Energiewende ist, so dezentral erfolgt die Realisierung des Mammut-Vorhabens.
"Und das ist etwas, was für uns eine ganz spannende Forschungsfrage ist. Welche räumlichen Unterschiede entwickeln sich und warum? Warum sind manche Kommunen sehr erfolgreich in der Nutzung von diesen Chancen, warum andere nicht? Welche Unterschiede gibt es beispielsweise zwischen der Nutzung in Dörfern und Städten? Die Energiewende ist aus unserer Sicht ein stark ländlich geprägtes Phänomen. Da stellt sich natürlich die Frage: Was ist die Rolle von Städten, von Großstädten eigentlich in der Energiewende? Das wird relativ selten thematisiert. Das finden wir auch eine sehr spannende Frage."
Nicht weniger spannend findet der in Nordwest-England geborene Timothy Moss die Sicht von außen, vom Ausland her auf die deutsche Energiewende, wie oben und unten zusammenwirken.
"Es ist zentrales politisches Projekt, und das ist an sich nicht schlecht. Damit hat es eine enorme Schubkraft. Wenn man das mit Großbritannien etwa vergleicht - da gibt es das nicht in diesen Dimensionen, da verlässt man sich auf kleine Initiativen, und damit bleibt es Stückwerk, natürlich. Allerdings ist das politische System hier sehr ausgerichtet auf Entwicklung von zentralen institutionellen Regelungen mit der Annahme, dass es vor Ort genauso aufgegriffen wird, wie zentral gedacht."
Die Forscher machen das am Begriff des "Gemeinwohls" fest: So sind Sonne und Wind reine öffentliche Güter, die frei zugänglich für alle sind und am besten geeignet scheinen, auch zum Wohle der Gemeinschaft eingesetzt zu werden - zum Klimaschutz, der CO2-Minderung, einer Energieversorgung nach ökologischen Kriterien. So weit, so gut, sagt Ludger Gailing, der stellvertretende Abteilungsleiter.
"Aber sobald wir mit den Menschen auf der lokalen, der regionalen Ebene sprechen, da kommen plötzlich ganz andere Gemeinwohlziele nach vorne, und das sind Gemeinwohlziele, die in erster Linie auf so etwas wie Teilhabe im weitesten Sinne gerichtet sind: Partizipation - man möchte vor Ort beteiligt sein, was man häufig nicht ist bei diesen ganzen Prozessen, die dort stattfinden. Aber man möchte auch ökonomisch beteiligt sein: Wertschöpfung schaffen, Beschäftigungsziele erreichen usw. Insofern kann man fast schon sagen: Das sind zwei unterschiedliche Energiewendediskurse, die da stattfinden. Die zentralen Diskurse gehen da etwas dran vorbei, und auch die Reglungen, die Gesetze, die Institutionen, die damit zu tun haben, sind häufig noch nicht darauf ausgerichtet."
Könnte die "Fachagentur Windenergie an Land" ein Schritt in diese Richtung werden? In ihr arbeiten Vertreter von Bund, Ländern und Verbänden zusammen. Sie nahm Ende vergangenen Jahres ihre Arbeit auf und soll zwischen den unterschiedlichen Akteuren vermitteln. Sollte sie jedoch vor allem dafür eingesetzt werden, um bloße Akzeptanz der Planungsverfahren nach dem Motto "Anders geht’s nicht" zu schaffen, würde sie ihr Ziel verfehlen, sagt Ludger Gailing. Denn was jetzt oft geschieht, ist eine Restflächenplanung: Wo weht genügend Wind, wo wohnen nur wenige Menschen, wo kann ich also Windmühlen hinsetzen und wo nicht?
"Das sind dann die Bereiche, auf die sich die Planung konzentriert, und natürlich ist dann der Zug für eine echte Beteiligung vor Ort schon abgefahren, weil eigentlich so eine gewisse Sachlogik herrscht: Es gibt ja nur noch diese Flächen, und die müssen dann auch genommen werden. Wir müssen diese Logik umdrehen. Wir müssen es ernst nehmen, dass für die Menschen vor Ort die Energiewende ein Teilhabeprojekt sein muss. Und deshalb können wir nicht nur eine rein technokratische Restflächenplanung machen – also, ich übertreibe. Man müsste viel stärker für gewisse Öffnungsklauseln plädieren, dass man auch dort Windparks zulässt, wo das die Menschen vor Ort wollen."
Dafür gibt es bereits viele gelungene Beispiele vor allem in Süd- und Norddeutschland, vereinzelt aber auch in Brandenburg: die Stadt Prenzlau nordöstlich Berlins zum Beispiel, die sich zur "Stadt der erneuerbaren Energien" erklärt hat, oder die "Bioenergieregion Ludwigsfelde" im Süden der Hauptstadt. Andererseits gibt es in Brandenburg allein mehr als 50 Vereinigungen, die gegen Windparks protestieren, gegen die "Verspargelung" der Landschaft. Sie sind auch gegen die Kolonisation durch Investoren, die massenhaft Geld eingesammelt haben und nun - oft im "fernen Osten" - anderen Menschen Anlagen quasi vor die Haustür setzen. Warum das so unterschiedlich ist, hat das IRS u.a. in der Studie "Neue Energielandschaften - neue Akteurslandschaften in Brandenburg" näher erforscht. Daran beteiligt war auch Dr. Matthias Naumann:
"Da geht’s einmal um die Frage von Standorten: Wo kommt das Windrad hin? Wo kommt die Biomasseanlage hin? Es geht um die Beteiligung: Wer profitiert von der Errichtung eines Windrades? Wer liegt nur im ‚Windschatten‘ davon? Es geht um die politische Beteiligung: Wer plant diese Anlagen? Wer ist bei der Aushandlung von Standorten beteiligt und wer nicht? Aber es geht auch um die Identität von Landschaften: Ist unsere Region eine Energieregion oder ist unsere Region eine Tourismusregion?"
Auf jede dieser Fragen habe es keine eindeutigen Antworten gegeben, sondern meist ein Sowohl-als-auch. Die Region um Cottbus war und ist eines der großen Braunkohlenreviere Deutschlands, beherbergt andererseits das Biosphärenreservat Spreewald. Parallel zum Kohleabbau entstehen aus stillgelegten Tagebauen große Seen - was weiter in Richtung Tourismus führt. Und auf den Abraumkippen entstehen weithin sichtbar Wind- und Solarparks. Sören Becker, Mitautor der Studie, spricht von "überlappen":
"Dass die Spuren der fossilen Energieerzeugung in Brandenburg teilweise regional überschrieben werden durch diese erneuerbaren Anlagen, die wiederum anders verteilt sind im Raum. Und diese Dynamik wird derzeit ausgehandelt auf der lokalen Ebene."
Anders die ländliche Region um Berlin: Auch hier wird kräftig in erneuerbare Energien investiert, zumal mit der Millionenmetropole der Stromabnehmer schlechthin vor der Haustür liegt. Doch die Städter, sagt Matthias Naumann, suchten etwas ganz anderes jenseits der City:
"Die Berliner, die aufs Land ziehen, erwarten, dass sie im Park wohnen. Die Realität im ländlichen Raum ist dann doch eine andere: Die ist durch landwirtschaftliche Realitäten geprägt, und in zunehmenden Maße auch durch energiewirtschaftliche Aktivitäten geprägt. Und das führt zu Konflikten, die auf unterschiedliche Raumansprüche zurückgehen."
Schließlich kommt auch noch das Geld ins Spiel. In der Uckermark hatten es Windkraftgegner in den Kreistag geschafft. Als einer von ihnen viel Geld für die Verpachtung seines Grundbesitzes eben für Windräder geboten bekam, "kippte" er sozusagen um und scherte aus der Front der Gegner aus. Kein Einzelfall, sagt Ludger Gailing:
"Wir haben in verschiedenen Gesprächen auch festgestellt, dass zum Teil die gleichen Akteure, die in einer sehr großen Vehemenz auf Landschafts- und Heimatargumenten, sozusagen, ihre gesamte Argumentation stützen, dass deren Argumentation komplett kippt, wenn die Akteure vor Ort von der Energiewende monetär profitieren. Häufig ist es so: Man profitiert vor Ort nicht, und dann haben diejenigen leichtes Spiel, die diese Landschaftsargumente nach vorne stellen können."
"Was dabei interessant ist, dass diese Konflikte eine sehr hohe lokale Dynamik haben; dass Interviewpartner uns gegenüber berichten, dass die Frage, wer profitiert von den Anlagen, wer nicht, Dorfgemeinschaften fast zerreißt. Da kulminieren wahrscheinlich auch Konflikte, die es vorher schon gegeben hat. Mitunter sind die Windkraftanlagen nur der Anlass für Leute, die sich benachteiligt fühlen - auch in anderer Hinsicht ...",
… ergänzt Matthias Naumann. Auf der Suche nach einem "Raumordnungskonzept Energie und Klima" für die Gemeinsame Landesplanung Berlin/Brandenburg wurden zwei sogenannte kulturlandschaftliche Handlungsräume untersucht: im Nordosten Berlins der Barnim, sowie die Prignitz, die sich nördlich der Elbe in Richtung Hamburg erstreckt. Diese kann als "Installationslandschaft" klassifiziert werden, sagt Andreas Röhring. Auch er forscht am IRS.
"Im Prinzip kann man sagen, dass sich die historische Kulturlandschaft der Prignitz in weiten Teilen von einer Agrarlandschaft zu einer durch Windenergie, aber auch große Bioenergie- und Photovoltaikanlagen geprägten Energielandschaft entwickelt hat. Dort wird etwa zweieinhalb Mal so viel Strom produziert, wie man dort selbst verbraucht. Aufgrund von Defiziten regionaler wirtschaftlicher Teilhabe ist die Prignitz bisher aber weitgehend eine Installationslandschaft externer Investoren mit den daraus resultierenden Akzeptanzproblemen und Konflikten."
Der Grundkonflikt lautet: Die Prignitzer verstehen die Region mit ihrem "verhaltenem Charme" und ihrer "einzigartigen Kulisse für Natur-, Kultur- und Gesundheitsurlaub" als für Individualtouristen geeignet. Da stören viele Windräder und Fernleitungen nur, vor allem, wenn der Strom großteils "verschickt" wird. Vor Kurzem feierte die Bürgerinitiative "Hochspannung tief legen" nach jahrelangem Kampf einen Erfolg: In der West- und Ostprignitz wird es keine neuen Freileitungen mehr geben. 60 Kilometer waren geplant, um den überschüssigen Windstrom abzutransportieren. Bestehende Leitungen werden verstärkt, neue kommen unter die Erde. Durch diesen Prozess ist die Prignitz ein kleines Stück weg von genannter Installationslandschaft hin zu einer Gestaltungslandschaft gekommen, wie es die IRS-Forscher nennen. Matthias Naumann:.
"Es geht uns um eine politische Diskussion: Welche Ansprüche haben wir an Energieversorgung - über das natürlich grundlegende Ziel von einer sicheren und zuverlässigen und preiswerten Energieversorgung hinaus. Möchten wir damit etwas zum Klimaschutz beitragen? Möchten wir damit positive Effekte für die regionale Wirtschaftskraft schaffen? Möchten wir das Landschaftsbild damit erhalten bzw. möglichst schonen? Und darüber kommt man dann zu einer Organisationsform am Ende dieses Prozesses."
Als eine Art "Organisationsform" könnte man auch die erneute Gründung von städtischen Betrieben wie den Energieversorgern und Netzbetreibern betrachten; mehr als zwei Dutzend waren es bislang in Brandenburg. Ein Grund für solche Rekommunalisierungen war die Unzufriedenheit, dass mit der Privatisierung soziale Handlungs- und Gestaltungsspielräume eingeengt wurden.
"Zum anderen, und das ist die Besonderheit der Energieversorgung, liegt der Reiz hier drin, dass Kommunen mit einer Versorgung, die auf erneuerbaren Energieträgern beruht, durchaus auch Geld verdienen können; Geld, das dann dem Schwimmbad oder dem öffentlichen Nahverkehr zugutekommen kann, aber darüber hinaus - politischer gedacht - die Energiewende vor Ort ein Stück weit selber gestalten können. Und das spricht auch ein Misstrauen gegenüber den klassischen Playern in der Energieversorgung aus, dass man Vattenfall, Eon, RWE diese Energiewende schlechtweg nicht zutraut."
Allerdings ist auch das Gegenteil der Fall: Wo Kommunen eng und gut mit diesen Großen zusammenarbeiten, sehen sie für ihre sozialen Belange kaum einen Anlass für eine schnelle und komplette Energiewende. Die neue Bundesregierung scheint mittelfristig das eine wie das andere zu fördern, was allerdings erst mit der Neufassung des EEG, des Erneuerbare-Energien-Gesetzes verbindlich wird; es soll zu Ostern vorgelegt werden. In Bezug auf die Windenergie zeichnen sich zwei Tendenzen ab: Die Befürworter werden ihre Projekte forcieren, weil es restriktivere Genehmigungen geben kann, wie vor allem die Vorstöße von Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer deutlich machen: Größere Abstände zu Wohnbauten und ein höherer Wirkungsgrad der Anlagen sollen kommen. Genau das bestärkt aber die bisherigen Ablehner von Windkraftanlagen, Entscheidungen hinauszuzögern.
Zwei Aspekte werden nach Ansicht von Timothy Moss nach wie vor zu gering geschätzt: Energieeffizienz und Energieeinsparung. Ein Geburtsfehler der Energiewende:
"Es war sehr intensiv, aber relativ eindimensional. Es ging darum, erneuerbare Energien auszubauen und dafür notwendige Netze bereitzustellen. Das ist und war sehr angebotsorientiert und nicht nachfrageorientiert. Diese ganzen Fragen über Energieeffizienz, zu fragen, wie kann man den Strom-, den Wärmebedarf enorm dämpfen - das spielte rhetorisch eine Rolle, aber instrumentell so gut wie gar nicht. Und es sind die Instrumente wie das EEG, die letztendlich die große Rolle spielen."
Ineffizient wäre es, wenn neue Stromverteilnetze von Nord nach Süd nach der Bedarfslage ihrer einstigen Planung aufgebaut würden; wie in der Prignitz wehren sich Bürger in Thüringen seit Jahren dagegen. Auch im Süden werde die Energieversorgung mehr und mehr auf erneuerbare Energien umgestellt, sodass diese neuen Leitungen in absehbarer Zukunft nicht mehr gebraucht und nur Last in mehrfacher Hinsicht würden.
"Dann haben wir sogenannte Pfadabhängigkeiten geschaffen, die sehr schwer aus der Welt zu schaffen sind. Gerade beim Netzausbau muss man unheimlich aufpassen, dass man nicht sogenannte weiße Elefanten für die Zukunft schafft. Also dass man nicht zu hohe Investitionen aufbringt und Anlagen schafft, die betrieben werden müssen, die wir vielleicht in Zukunft nicht in diesem Ausmaß brauchen. Wenn sie einmal da sind, sind sie unheimlich schwer aus der Welt zu schaffen. Und sie prägen weitere Strukturen. Das heißt, wenn wir sie haben, wird es sehr, sehr schwierig sein, tatsächlich rein dezentrale Strukturen stärker zu fördern."
Daran führt jedoch ebenso wenig ein Weg vorbei, wie an der Ausweitung der Kommunikation aller beteiligten Akteure, sind sich die Forscher vom Leibniz-Institut für Regionalentwicklung und Strukturplanung sicher - auch wenn Planungen und Energiewende an sich länger dauern werden. Ihren Beitrag dafür sehen die Sozialwissenschaftler und Raumforscher wie Sören Becker und Matthias Naumann in einem Leitfaden, der ihre punktuellen Untersuchungen verallgemeinern und 2016 vorliegen soll.
"Wir haben jetzt keinen Masterplan, wie so eine Organisation aussehen könnte. Aber wir vermuten sehr stark, dass letztendlich diese Beteiligung ein ganz zentraler Faktor ist, wie solche Organisationsformen aussehen können."
Was heißt das, eine Energiegenossenschaft zu betreiben? Was heißt das, ein kommunales Unternehmen zu führen, das wirklich die Energiewende gestalten kann und keine schlechte Kopie von Vattenfall ist. Ich glaube, das sind jetzt die Mühen der Ebene, in der wir uns befinden. Aber wir sind davon überzeugt, dass gerade lokale Beispiele wie Bürgerenergiegenossenschaften gegründet werden können, die auch einkommensschwache Haushalte mit integrieren können, dass das sehr spannende Fragen sind, die über den Erfolg der Energiewende ganz zentral mit entscheiden werden.