Eigentlich, ja eigentlich, war alles startklar:
"Wir haben in diesem Kraftwerk schon über 40.000 Tonnen Kohle verbrannt in der Betriebssetzung. Wir waren mit allen Inbetriebssetzungsaktivitäten fertig."
Thomas Preußler steht im Maschinenhaus des Kraftwerks Datteln 4, das er seit vier Jahren leitet. Der 51-Jährige zeigt in die riesige Halle in der fleißig geschweißt wird - und bleibt in der Vergangenheit:
"Die Turbine war mit 3000 Umdrehungen in Betrieb, das heißt, diese 50 Hertz, die ja eine Turbine drehen muss, um eine Frequenz zu stützen, war allerdings noch nicht am Netz. Wir haben alle Funktionsprüfungen abgeschlossen an der Turbine. Also, Spannungsfahrten, Stromfahrten, die gemacht werden müssen, Schutzfahrten, um dann auch synchronisieren zu können. Wir waren quasi einen Tag vor Synchronisierung und haben dann, während des Betriebes, der Kessel war ja warm, es wurde ja Kohle verbrannt, festgestellt, dass wir Leckagen haben und haben dann entschieden, nochmal abzustellen, um nach den Leckagen zu schauen."
Sprich: Erhebliche Mängel an den Schweißnähten des Kessels. Das war im Jahr 2017, Datteln ging nicht ans Netz - und wird, nach den Beschlüssen der Kohlekommission, vielleicht auch nie gehen?
Empfehlungen der Kohlekommission
"Für bereits gebaute, aber noch nicht im Betrieb befindliche Kraftwerke eine Verhandlungslösung zu suchen", so heißt es in den Empfehlungen der sogenannten Kohlekommission, die Ende Januar vorgelegt wurden. Und zwar, um diese Meiler - Zitat - "nicht in Betrieb zu nehmen." Ein Punkt, der im Kraftwerk Datteln für Kopfschütteln sorgt:
"Es ist schon sehr starke Verwirrung bei meinen Mitarbeitern, um es mal vorsichtig auszudrücken, weil wir natürlich das modernste Kraftwerk sind. Wir haben die höchste Regelgeschwindigkeit. Also, wir können sehr schnell den Block hoch- und runterfahren, um die Regenerativen auszugleichen, wie, wenn zum Beispiel Eberhard kommt. Das Sturmtief Eberhard und die Windräder plötzlich abschalten müssen, weil der Wind zu stark ist, dann ist genauso ein Kraftwerk dafür zuständig, das auszuregeln."
Zumal, so Leiter Preußler, der Emissionsausstoß auch noch zwei bis drei Mal geringer sei.
"Und insofern sind meine Mitarbeiter und ich natürlich auch schon verwundert, dass, vor allen Dingen auch unter dem Passus Klimaschutz, dieser Absatz stand: Es wird empfohlen Datteln 4, oder es geht ja nicht um Datteln 4, sondern ein Kraftwerk, was sich im Bau befindet, stillzulegen. Also, mit Klimaschutz hat das in unseren Augen wenig zu tun."
Investitionen in Höhe von 1,5 Milliarden Euro
Nun wird der Kessel wieder aufgebaut. Die Dimensionen, so Preußler, sind gigantisch: Dreimal so viel Stahl wie beim Eiffelturm ist hier verbaut, in die Halle, in der der Kessel hängen wird, würde auch die Freiheitsstatue passen. Mehr als 1,5 Milliarden Euro hat das Kraftwerk bisher gekostet, im Sommer 2020 sollte es nun starten.
Preußler ist zum Aufzug gegangen. Die Maschine rattert in 120 Meter Höhe, die Besuchergruppe um Preußler, Kraftwerkschef Aris Blankenspoor und die Pressesprecherin tritt ins Freie:
"Willkommen im Ruhrgebiet."
"Da fangen wir mal links an. Links ist Kraftwerk Lünen, das ist Trianel, also Stadtwerkeverbund…"
Preußler zeigt auf das Kraftwerks-Panorama des Ruhrgebiets in der Ferne. Unmittelbar unter ihm ist die Bandanlage, auf der die Steinkohle auflaufen soll.
"Wir hatten Kohle noch liegen, 60.000 Tonnen, die haben wir verkauft, letztes Jahr, weil wir jetzt erstmal keine brauchen und werden dann jetzt anfangen, neue Kohle einzuladen."
Die Planung läuft. Preußler geht zum anderen Ende des Daches, zeigt nach unten:
"Hier unten die Anlage, das ist die Bahnumstromrichtanlage. Also, wir speisen quasi hier in das Bahnstromnetz ein."
Per Fernwärme werden bereits Haushalte in Datteln versorgt, eigentlich sollte von hier schon ein Viertel des Deutschen Bahn-Stroms kommen. Das Staatsunternehmen hatte sich zu Baubeginn verpflichtet, für den Fahrbetrieb Leistung abzunehmen. Aus dieser Vereinbarung will die Bahn schon länger aussteigen, weshalb auch die Rolle von Bahn-Vorstand Ronald Pofalla, der einer der Vorsitzenden der Kohlekommission war, für viele fragwürdig war und ist. Auch das könnte ein Grund sein, weshalb Datteln nie ans Netz gehen könnte:
"Diese Großgeräte müssen regelmäßig gewartet werden. Ob ich ein Auto fahre oder nicht: In zwei Jahren muss ich zum TÜV. Und so ist das hier auch bei uns."
Datteln und die Kohle
Im Hintergrund ist die Stadt Datteln zu sehen. In jener einst stolzen Bergbaustadt, ist die Stimmung gespalten. Anwohner, die in der etwa 500 Meter entfernten Siedlung wohnen, sind gegen das Kraftwerk, sagten beispielsweise im ZDF:
"Das Kraftwerk erschlägt uns. Und jetzt: Sie schauen auf ein Kraftwerk, was nicht in Betrieb ist, wenn der Qualm, der Dampf noch daraus kommt, ja dann können Sie sich vorstellen, warum wir dagegen sind."
34.000 Einwohner hat die Stadt. Die Kommune ist hoch verschuldet, weshalb Bürgermeister Andre Dora um das Kraftwerk kämpft. Ginge das Kraftwerk ans Netz, flössen ordentlich Gewerbesteuern. Einige hundert Menschen würden dort arbeiten:
"Aber man darf ja nicht nur sehen, die Leute, die auf dem Kraftwerk arbeiten, es sind ja auch ganz viele, die im Hintergrund arbeiten, wenn Reparaturen zu machen sind, dann kommen viele Bauarbeiter nach Datteln, um dort zu arbeiten, die essen hier, die schlafen hier, die kaufen hier ein."
Eine Prognose will er nicht abgeben. Die letzte Zeche in Datteln schloss bereits vor Jahrzehnten, doch die Verbindung ist immer noch spürbar:
"Früher hat uns der Bergbau vieles gegeben: Arbeit ohne Ende. Aber, ob es heute noch zeitgemäß ist..."
Denn: Nun würde die Kohle aus China kommen. Dennoch, dass das modernste Kraftwerk Deutschlands nie richtig ans Netz gehen soll, führt auch in Datteln zu Kopfschütteln:
"Bevor wir die alten Drecksschleudern weiter in Betrieb nehmen."
Betreiber pocht auf Laufzeit bis 2038
Genau das ist auch die Haltung von Kraftwerks-Chef Aris Blankenspoor. Der Niederländer, 59 Jahre alt, ist zugleich Chef eines baugleichen Kraftwerks in Rotterdam.
"Wir reden hier über State-of-the-Art, deutsche Technologie. So, auch alle Deutschen können darauf sehr stolz sein."
Zu den Gesprächen mit der Bundesregierung, dem Wirtschaftsministerium, aber auch zur Zukunft des Kraftwerks, will Uniper sich aktuell nicht äußern. Für den Fall, dass Datteln nicht angeschaltet werden darf, würde das Unternehmen Schadensersatz verlangen. Schließlich war eine Laufzeit von 40 Jahren kalkuliert. Für Aris Blankenspoor ist das jedoch ein Szenario, was nur schwer vorstellbar ist:
"Wir konzentrieren uns sicher auf unsere Aufgabe und wir gehen davon aus, dass, wenn Fakten und Wissenschaft und nicht Symbol-Politik wirklich nach vorne kommt. Und ja, auf Basis von Fakten ist Datteln 4 das letzte Kraftwerk, was man abschaltet in 2038."
Dem Zieldatum der Kohlekommission-Empfehlungen. Doch für dieses Abschalten, müsste Datteln 4 erst einmal ans Netz gehen, Strom liefern - und nicht als stillgelegtes, milliardenschweres Symbol der Energiewende dienen.