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Energiewende
"Wir werden auf dem aktuellen Strompreis-Niveau verharren"

Ein schneller Ausstieg aus der Kohle sei möglich, sagte Patrick Graichen, Direktor der Agora Energiewende, im Dlf. Bis 2020 könnten so viele Kohlekraftwerke stillgelegt werden, dass man sich dem Klimaschutzziel annähern könnte. Die Strompreise würden dadurch nicht steigen.

Patrick Graichen im Gespräch mit Georg Ehring |
    Windraeder im Rapsfeld, aufgenommen in Schoepstal, Deutschland
    Bis 2030 könnte Deutschland komplett auf erneuerbare Energien umschalten, so Graichen im Dlf (imago/Florian Gärtner)
    Georg Ehring: Wie gelingt der sozialverträgliche Ausstieg aus der Kohle? Darüber spricht zurzeit die Kommission "Wachstum, Strukturwandel und Beschäftigung". Und der Umstand, dass der Name mit der ursprünglich gestellten Aufgabe so gar nichts zu tun hat, lässt aufhorchen.
    Wir wollen uns jetzt mit der Frage beschäftigen, wie schnell wir die Braunkohlekraftwerke abschalten können, ohne Stromausfälle oder deutlich höhere Strompreise zu riskieren. Klimawissenschaftler halten einen Ausstieg bis zum Jahr 2030 für nötig. Sonst passe unser Kurs nicht zum Ziel, die Erderwärmung auf deutlich unter zwei Grad zu begrenzen. Darüber habe ich mit Patrick Graichen gesprochen. Er ist Direktor der Agora Energiewende. Das ist eine Denkfabrik, die in den vergangenen Jahren den Umbau der Energieversorgung mit vorgedacht hat. Und ich habe ihn zunächst gefragt, ob so ein schneller Ausstieg möglich ist, ohne dass bei uns die Lichter ausgehen.
    Patrick Graichen: Ja, das ginge.
    Ehring: Wie?
    Graichen: Na ja. Im Grunde sind es drei Phasen, über die man bei einem Kohleausstieg nachdenken muss. Das erste ist die Einstiegsphase, wie viele Kohlekraftwerke schaltet man kurzfristig still, um noch bis 2020 möglichst viele Emissionen zu reduzieren und dem Klimaschutzziel nahezukommen. Da haben wir noch genug Kraftwerke im System, als dass wir da in Nöte geraten. Wir würden wahrscheinlich ein paar von den alten Steinkohlekraftwerken in der Reserve halten, die dann im Notfall wieder anspringen könnten, falls es wirklich mal knapp wird.
    In der zweiten Phase, die Jahre Anfang der 2020er bis Mitte der 2020er, da muss man dann darüber nachdenken, ob neue Gaskraftwerke gebraucht werden, und zwar kleine Gasmotoren. Die würden an wenigen Stunden im Jahr zum Einsatz kommen, aber dann da sein, wenn weder Wind noch Sonne da ist. - Ab 2030 dann wird die Welt der Speicher die Versorgungssicherheit übernehmen.
    Ehring: Das heißt, wir brauchen für zwischendurch noch neue Gaskraftwerke, obwohl es eine ganze Reihe von Gaskraftwerken gibt, die gar nicht in Betrieb sind?
    Graichen: Ja. Diese Gaskraftwerke, die nicht in Betrieb sind, die würden im Prinzip die Brücke bilden zwischen jetzt und 2025. Deswegen haben wir auch kurzfristig kein Problem. Wenn man aber alle Kohlekraftwerke in Deutschland abschaltet, dann in der Tat braucht man erst mal noch neue Gaskraftwerke, um die Zeiten zu überbrücken. Wie gesagt: Die würden aber an nicht vielen Stunden im Jahr laufen. Das sind dann Kraftwerke, die vielleicht 500 Stunden von 8.000 im Jahr laufen.
    Gaskraftwerke zur Überbrückung
    Ehring: Das wäre dann aber ein ziemlich teures Vergnügen.
    Graichen: Wenn man in alten Kategorien denkt, dann kommt man vielleicht zu diesem Gedanken, wenn man große Kraftwerke sich vorstellt, die dann da in der Gegend stehen, 800 Megawatt Anlagen, die klassische alte Kraftwerkskonzeption. Heutzutage aber denkt man in modularen kleinen Einheiten. Das sind dann kleine 20 MW, 50 MW Gasmotoren, und die gibt es sehr günstig. Da sieht man aus anderen Branchen kleine Motoren, die auch im Schiffsbau eingesetzt werden. Die können dann da rein und die sind nicht teuer.
    Ehring: Der Ausbau der Erneuerbaren geht ja viel schneller, als früher erwartet worden ist. Wie verkraften das denn die Netze? Das sind ja doch die Engpass-Stellen derzeit.
    Graichen: Es ist erstaunlich, wie wir da auch konstant unsere Grenzen verschieben. Wenn man die Ingenieure vor 10, 15 Jahren gefragt hätte, ist es möglich, ein Stromnetz mit über 50 Prozent Wind und Solar zu betreiben, hätten die allermeisten Nein gesagt. Heute ist das genau das, was 50 Hertz, der Stromnetzbetreiber in Ostdeutschland, täglich managt.
    Was wir in der Tat haben ist ein Engpass zwischen Nord und Süd. Es ist nicht so, dass die Versorgungssicherheit gefährdet ist, sondern es ist eher so, dass wir derzeit den Strom nicht in allen Stunden runtertransportiert kriegen. Das stimmt, da muss man die Leitungen bauen. Bis aber die neuen Leitungen stehen, gibt es auch noch viele andere Möglichkeiten. Wir haben da einen Zwölf-Punkte-Plan vorgeschlagen, wie man mehr Strom durch die bestehenden Netze transportieren kann. Das sind dann so Kleinigkeiten wie das Stromnetz mit Temperatur-Monitoring zu versehen, damit in den Zeiten, wo es kalt ist, man auch ausnutzt, dass dann die Stromkapazitäten höher sein können, und all solche Sachen. Man könnte da schnell auch Abhilfe schaffen.
    "Bleiben auf Strompreis-Niveau, auf dem wir aktuell sind"
    Ehring: Was heißt das denn für die Strompreise? Wir haben jetzt die Erneuerbaren, wir haben die alten Kohlekraftwerke. Sie halten auch noch neue Gaskraftwerke für nötig. Steigen die dann nicht immer weiter?
    Graichen: Wir haben verschiedene Szenarien dazu rechnen lassen, auch andere. Die kommen alle zu einem ähnlichen Ergebnis. Und das ist, dass wir im Prinzip auf dem Strompreis-Niveau, auf dem wir aktuell sind, verharren werden. Der Grund ist, dass auf der einen Seite wir jetzt eigentlich sinkende Strompreis-Effekte haben könnten – dadurch, dass die alten Erneuerbaren-Anlagen und die teuren aus den ersten Jahren jetzt langsam aus dem System fallen und keine EEG-Vergütung mehr bekommen. Auf der anderen Seite gibt es leichte Strompreis-Anstiege – dadurch, dass Kohlekraftwerke aus dem Netz genommen werden. Insgesamt gleicht sich das aus. Insofern ist das insgesamt meines Erachtens eine beruhigende Nachricht.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.