Ein Dutzend Männer stehen im Hinterhof in der Altstädter Twiete, in der Hamburger Innenstadt. Einen Pott Kaffee in der Hand, es wird viel geraucht. Hier holen die Männer, die meisten obdachlos, ihre Packen der "Hinz und Kuntz" ab, der Hamburger Obdachlosen-Zeitung. Für 2,20 Euro wird die Zeitung, mit Einblicken in den Alltag, die Nöte, die Freuden von Obdachlosen, verkauft. 90 Cent davon gehen an die Verkäufer. Viele von ihnen leben schon seit Jahren auf der Straße oder in den städtischen Massenunterkünften. Und viele von ihnen regen sich darüber auf, dass Hamburg ein so großes Herz für die ankommenden Flüchtlinge hat: "Wir als Hamburger, als gebürtige Hamburger sogar, wir brauchen die Hilfe noch dringender als die Flüchtlinge. Die Flüchtlinge kommen hierher, bekommen dann das ganze Geld in den Arsch gestopft. Und wir? Wo landen wir? Wir bekommen noch nicht einmal fünf Euro!"
Natürlich sehen das längst nicht alle Obdachlosen so. Aber, erzählt der Sozialarbeiter Stefan Karrenbauer in seinem Büro hinter dem Kaffeetresen, der Unmut der bedürftigen Hamburger über die vielen Tausend Flüchtlinge in der Stadt, besser: über die große Hilfe für sie, dieser Unmut ist spürbar: "Ich bin auch ein Stück neidisch. Ich glaube, das darf man auch sein. Das muss man auch so sagen, denn wer 20 Jahre lang seine Energie in diese Arbeit reingesteckt hat und auch viele gute Ideen aus der Wohnungslosenhilfe an den Senat herangetragen hat, und es wurde immer verneint. Und jetzt scheint alles zu funktionieren - funktionieren? Nein - aber alles ist möglich - da ist man natürlich ein Stück weit neidisch."
Rassistische Pöbeleien häufen sich
Ein Beispiel für das, was seit Beginn der Flüchtlingskrise möglich ist, so Stefan Karrenbauer, ist der kreative Umgang des Hamburger Senats mit der Wohnungsnot. Um Platz zu schaffen für die geflohenen Menschen, wurde vor wenigen Wochen - ähnlich wie in Berlin - in Windeseile ein Gesetz durch die Bürgerschaft gebracht, das die Beschlagnahme von leerstehenden Bürogebäuden möglich macht. Oder die Planung von festen Unterkünften über das Polizeirecht, um die Mitsprache und Einspruchsmöglichkeiten von Anwohnern zu umgehen. In der Kaffeestube, erzählt der Sozialarbeiter, häuften sich die rassistischen Pöbeleien. "Wir haben hier auch eine ganze Menge Wanderarbeiter, die hier Zeitungen verkaufen. Aus Rumänien und Bulgarien. Und die haben den Ärger abbekommen. Die wurden dann auch als Flüchtlinge bezeichnet. Und wenn die hier reingekommen sind: 'Haut ab ihr Gesocks!' und solche Sprüche. Und dass jetzt erst mal Stille ist wieder, und dass solche Sprüche nicht auftauchen, das ist schon eine gute Arbeit gewesen."
Geschafft haben Stefan Karrenbauer und sein Team das mit einer ganz einfachen Idee: "Wir haben eben halt auch mit Obdachlosen Unterkünfte besucht. Gerade die, die hier am lautesten geschrien haben. Um denen zu zeigen: "Wollt Ihr so untergebracht werden?" In den Messehallen, 1.200 Menschen in einem Raum? Wenn man da reingegangen ist, da hatte kaum einer es gewagt, seinen Mund aufzumachen. Und es hat zumindest dazu geführt, dass hier, innerhalb der Räumlichkeiten, wieder Ruhe eingekehrt ist, ohne rassistischen Geschichten jeden Tag entgegenzutreten."
Es gibt einen Konkurrenzkampf der beiden Gruppen
Tatsächlich, so der Sozialarbeiter, gibt es in Hamburg in diesem Jahr das größte Winternotprogramm aller Zeiten. 890 Schlafplätze stehen zur Verfügung. Die sollen reichen. Für rund 2.000 Obdachlose. Natürlich weigern sich viele von ihnen, dort einzuziehen. Weil sie ihren Hund nicht mitnehmen können, weil sie Angst haben, beklaut zu werden, weil sie die Enge in den Mehrbettzimmern nicht aushalten. Und weil sie - anders als die Flüchtlinge - tagsüber sowieso wieder raus müssen.
Andrea Hniopek kennt diese Probleme von ihren Patienten. Sie arbeitet bei der Caritas, in der Krankenstube für Obdachlose auf St. Pauli: "Es gibt natürlich ein Stück weit den Konkurrenzkampf dieser beiden Gruppen. Das wollen wir zwar eigentlich nicht. Aber de facto wird es auch so empfunden. Die Obdachlosen werden einfach so ein bisschen aus dem Blick verloren. Die Flüchtlingsproblematik ist natürlich im Moment eine sehr brisante, und die beschäftigt uns auch sehr. Und mit dieser massiven Not beschäftigen wir uns, und dann ist es natürlich klar, dass der Fokus sich auch ein Stück weit verschiebt."
Rechtlich scheint jetzt mehr möglich
Schon seit einigen Jahren wächst auch die Zahl der Obdachlosen aus Osteuropa, erzählt Andrea Hniopek. Und das Zahnmobil, ein Kleinbus mit eingebauter, mobiler Arztpraxis, kann gar nicht mehr alle behandlungsbedürftigen Menschen versorgen. Zwei Mal die Woche steuert das Team der ehrenamtlichen Zahnmediziner nun auch die Erstaufnahmeeinrichtungen der Stadt an. Der Bedarf sei riesig.
Auch Stephan Dreher, wohnungslos und gerade stationär in der Krankenstube untergebracht, kennt die Ressentiments gegen Flüchtlinge. Aber, erzählt der ältere Herr, eigentlich bestehe dafür kein Grund: "Die Obdachlosen in Hamburg sind nichtsdestotrotz, verglichen mit dem Los der Flüchtlinge, noch auf der einigermaßen sicheren Seite. Das muss ich schon sagen. Obwohl die Befürchtung besteht: 'Oh Gott! Hoffentlich vergessen die uns nicht über die Vielzahl der Flüchtlinge!' Die besteht wirklich. Das ist eine ganz, ganz reale Befürchtung. Die haben Angst."
Aber diese Angst könne den Obdachlosen genommen werden, erklärt der Sozialarbeiter Stefan Karrenbauer. Zum Beispiel dadurch, dass in Zukunft auch für Obdachlose ungenutzter Wohnraum beschlagnahmt wird. Die Ausrede, dass so etwas rechtlich nicht möglich ist, die gilt - zumindest in Hamburg oder Berlin - jetzt nicht mehr. Und das, so Karrenbauer, ist doch eine gute Nachricht.