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Englisch-französische Artrock-Band LizZard
Hartes aus dem Hexagon

Zwei Engländer, die in Frankreich aufwuchsen und ein frustrierter Franzose, der ins Rockmutterland Großbritannien auswandern wollte: Die Mitglieder der Band LiZzard trafen sich per Zufall. Ihr markanter Sound ist kalkuliert hart und eigenständig.

Von Fabian Elsäßer |
    Zwei Männer sitzen, zwischen ihnen steht eine Frau: die Drei blicken durch die runden Scheiben eines Leuchtturms.
    LizZard im Leuchtturm (v.l.n.r.): Mathieu Ricou, Katy Elwell und William Knox (Pelagic Records)
    Mathieu Ricou: "Wenn ich Musik mache, dann ist das wie Malen für mich. Ich sehe die ganze Zeit Farben und Formen."
    Doch was sieht er da? Beschauliche Landschaftsgemälde oder Stillleben mit buntem Obst können es nicht sein. Es klingt auch nicht nach zarten Pastelltönen, pointilistisch hingetupft. Es sind mächtige Striche, Kleckse, Flächen, kraftvoll auf die musikalische Leinwand gebracht.
    Katy Elwell: "Die Art, wie ich spiele, finde ich ehrlich gesagt ziemlich grob und brutal!"
    Vielleicht muss das so sein. Wenn man nur zu dritt ist.
    Mathieu: "Die Trio-Besetzung gibt einem viel künstlerische Freiheit. Man kann jede Idee umsetzen, weil der Raum dafür da ist."

    Sein, wer man sein will

    Ein bisschen Metal, ein bisschen Progressive Rock, hier und da sogar leicht jazzige Einschläge, ein bisschen Nu Rock vielleicht, auch Funk-Anleihen sind erlaubt – natürlich sind LizZard musikalisch auf dem Hard und Heavy – Kontinent zuhause, aber sie unternehmen regelmäßig Ausflüge in andere Stilgefilde. Auf ihrer Homepage bieten sie gar eine Einordnung ein, die fast etwas gewagt erscheint: Art Rock. Nun, auch das könnte passen. Eigensinn ist der Band jedenfalls wichtig, beziehungsweise: dass sie was eigenes macht. Gitarrist Mathieu Ricou beschreibt sich und seine Band wie folgt:
    "Wir sind Rock n Roll – Menschen. Das heißt für mich: wir nehmen keine Drogen, wir trinken keinen Alkohol, wir bauen keinen Mist. Aber: was immer das Leben bietet, wollen wir festhalten und soviel davon mitnehmen, wie wir können. Das ist unsere Botschaft: genieße den Augenblick, denn der ist besonders. Unsere Zeit auf der Erde ist einfach zu kurz. Sei, wer Du willst, und nicht irgendwer anders."
    Artrocker from France, beispielsweise.

    Böse knarzende Gitarren

    Der Song "Blowdown" erschien Ende 2020 als Vorbote des vierten Albums "Eroded" der in Frankreich ansässigen Band LizZard. Wer sie bis dahin noch nicht kannte, und das konnte durchaus der Fall sein, war überrascht über dieses Wechselspiel der Elemente: da prasselten Snare-Schläge gegen einen an sich geradlinigen Vier-Viertel-Takt, walzten böse knarzende Gitarren über akustische Tiefebenen, bis ein freundlich harmonisierender Refrain alle Dunkelheit durchbrach wie Sonnenstrahlen nach dem Gewitter.
    Und beim Nachforschen und sich Umhören war man umso überraschter: gutinformierten Hard – und Heavy- Hörerinnen und Hörern waren LiZzard längst geläufig. Es gibt sie ja auch schon eine ganze Weile. Der erste Tonträger erschien 2008 – eine EP namens "Venus", die bereits bemerkenswert viele der beschriebenen Stil-Elemente aufweist. Besonders deutlich wird das auf dem gar nicht mal so hart, sondern eher getragen-atmosphärisch klingenden Titel "Lune".

    Engländer in Frankreich

    Die drei Musiker von LizZard sind inzwischen Ende 30 und spielen schon seit gut 15 Jahren zusammen. Die Keimzelle besteht aus Schlagzeugerin Katy Elwell und Bassist William Knox, die schon als Teenager zusammen Musik machten. Beide sind in Großbritannien geboren, zogen aber als Kleinkinder mit ihren Eltern in den mittleren Westen Frankreichs. Sie sind deshalb zweisprachig aufgewachsen. Oder: "bikulturell und deshalb schizophren", wie Katy Ellwell es augenzwinkernd formuliert:
    "Bicultural – therefore schizophrenic!"
    Dass es zwei Engländer ins französische Herzland verschlagen hat, sei gar nicht so ungewöhnlich, erklärt Gitarrist Mathieu Ricou:
    "In Frankreich gab es in den 90ern eine regelrechte Einwanderungswelle von Engländern, und zwar in die Gegend zwischen der Dordogne und der Haute Vienne. Das waren die Folgen der Politik von Margaret Thatcher."

    Glücklicher Zufall

    Dass diese beiden Exil-Engländer allerdings den französischen Musiker Mathieu trafen, war reiner Zufall.
    Katy Elwell: "Wir hatten unterschiedliche Bands in verschiedenen Besetzungen, und irgendwann haben wir nach einem neuen Sänger gesucht. Und dann tauchte auf einmal Mathieu auf. Der wollte Frankreich eigentlich gerade verlassen, in Richtung England. Und dann ist er bei uns geblieben. Unser damaliger Gitarrist ist dann sofort verschwunden, weil er Mathieu nicht mochte. Deshalb hat Mathieu auch gleich noch die Gitarre übernommen. Und seitdem spielen wir zusammen."
    "Out of reach" ist das Titelstück des Debüt-Albums der französischen Hard-Artrock-Band LizZard, das 2012 erschienen ist. Im Vergleich zur vorausgegangenen EP vier Jahre zuvor entwickelt sich die Band darauf in zwei entgegengesetzte Richtungen weiter.

    Hymnisch und schneidend

    Einerseits werden die Riffs schärfer, der gesamte Sound mächtiger, andererseits wirken die Refrains hymnischer, und die Gesangsmelodien in den Refrains wesentlich einschmeichelnder als zuvor. Das Spannungsfeld, das die Band zwischen diesen beiden Polen erschafft, ist zu ihrem Markenzeichen geworden, und auch wenn man sich immer mal wieder an die US-Alternative-Metaller von Tool erinnert fühlt, wirkt das sehr eigenständig.
    Es ist aber auch ein aktuelles Beispiel für die Globalisierung von Musikgeschmäckern und Musikstilen, die einhergeht mit dem digitalen Lagerfeuer, das Streaming-Dienste und Videoplattformen entfacht haben. Denn Frankreich selbst hat keine besonders große Rock – oder gar Hardrock-Tradition. Denkt man zurück an die 70er und 80er Jahre, blitzen ein paar Namen im Gedächtnis auf: die Polit-Rocker von Trust, deren Song Antisocial immerhin von Anthrax gecovert wurde.
    Die Band Telephone, so etwas wie die französische Antwort auf Blondie und New Wave. Bands wie die bretonischen Folklore-Rocker Matmatah in den 90ern kannte man eigentlich nur in Frankreich, die Post-Grunge-Band Aston Villa schaffte es leider nicht mal da. Bashung, Lavilliers, Daho, Goldmann – Stars, aber keine Rockstars. Johnny Haliday: Megastar, aber Elvis-Epigone, also eher: Rock n Roller.

    Kein richtiges Rock'n'Roll- Land

    Hartes aus dem Hexagon? Wenig. Die einzige französische Metal-Band mit internationaler Geltung, die einem spontan einfällt, ist dann wohl Gojira, die LizZard auch schon als Vorgruppe mit auf Tournee genommen hat.
    Mathieu Ricou: "Frankreich ist kein Rock n Roll- Land, es gibt hier keine richtige Rock-Kultur, eigentlich existiert sie nicht fast gar nicht. Und für einen Gitarristen, der Jimi Hendrix verehrt, war das ganz schön frustrierend. Ich spiele, seit ich 14 bin, und auf professioneller Basis, seit ich 16 bin. Ich hatte es einfach satt, quer durch Frankreich zu tingeln und nicht wirklich tun zu können, was ich wirklich wollte, obwohl ich ganz gut davon leben konnte. Und dann bin ich doch nicht nach England gegangen, weil ich diese beiden getroffen habe: England ist zu mir gekommen!"
    So poetisch schildert LizZard-Gitarrist Mathieu Ricou die Entstehungs-Geschichte seiner Band. Dass er, der eigentlich als Sänger zum Vorspielen kam – wohl eher aus Versehen – auch gleich den ursprünglichen Gitarristen ersetzt hat, hat nicht etwa böses Blut verursacht. Es war der Startschuss für eine Besetzungs-Stabilität, die man selten findet.

    Das Schlagzeug als Melodieinstrument

    Katy Elwell: "Manchmal streiten wir schon. Aber wir geben der Musik wesentlich mehr Gewicht als unseren Egos. Es ist nicht so wichtig, was wir als Einzelne denken, was in unseren kleinen unbedeutenden Leben passiert, Es ist viel wichtiger, was wir zusammen musikalisch erreichen können. Die Musik kommt immer zuerst. Und irgendwie haben wir ja auch immer dieselbe Vorstellung davon, wie wir klingen wollen. Das ist schon sehr ungewöhnlich."
    "The Roots Within von den französischen Art-Metallern LizZard erschien auf dem zweiten Studioalbum "Majestic" aus dem Jahr 2014. Eine Besonderheit der Band kann man hier wieder einmal deutlich hören: wie sehr Schlagzeugerin Katy Elwell die Strukturen, aber auch die Melodieführung der Songs mitprägt. Damit steht sie unbewusst in der von Ginger Baker gegründeten Tradition, Gitarre oder Bass-Riffs parallel zum Grund-Rhythmus zu begleiten.
    Katy Elwell: "Das Schlagzeug ist für mich ein Melodieinstrument. Deshalb brauche ich jede Menge Toms und Becken. Und jede Menge Arme und Beine. Ich habe immer schon mindestens drei Toms gehabt, später vier."

    Der Bass als Klebstoff

    Ist das virtuos?
    Katy Elwell: "Gar nicht! Die Art, wie ich spiele, finde ich ehrlich gesagt, ziemlich grob, brutal und nicht sehr raffiniert. Ich kann nicht leise spielen und auch nicht dynamisch."
    Dass die polyrhythmische Verzahnung von Gitarre, Schlagzeug und Bass bei LiZzard so gut funktioniert, schreibt Gitarrist und Sänger Mathieu Ricou großzügig seiner Rhythmus-Gruppe zu.
    "Katy und William haben zusammen Musikmachen gelernt. Die haben da dieses Bass- und Schlagzeug-Ding laufen. Wenn man Katy und William alleine spielen lässt, dann wirken sie ziemlich schnell verloren. Aber wenn sie zusammen spielen, passiert irgendetwas. Sie ergänzen sich. William steht total auf Melodien, auch wenn er das selbst gar nicht so sieht. Für ihn funktioniert der Bass als Klebstoff zwischen den verrückten Gitarren und dem bodenständigen Schlagzeug. Katy wiederum geht es mehr um das Gefühl als um Technik. Sie ist wie ein Vulkan. Und ich widerspreche Katy hier: sie hat schon Finesse, nur eben auf eine andere Art als andere Schlagzeuger."

    Den Takt zum Singen bringen

    Noch etwas fällt auf, was heute im Hard & Heavy- Bereich nicht mehr so häufig ist. Bei aller Wucht, bei allem Krach, bei aller Notenfülle bleibt – akustischer Freiraum. Platz für den Gesang oder ein Gitarrensolo. Platz für Leertakte.
    Mathieu Ricou: "Das ist für mich ganz natürlich, weil ich ja gleichzeitig auch singe. Wenn ich Musik mache, dann ist das wie Malen für mich: ich sehe die ganze Zeit Farben und Formen. Wenn ich die ganze Zeit Akkorde auf dem Beat spiele, dann wäre die Leinwand ja schon voll! Alles nur schwarz-weiß. Und wenn mir Gesangs-Melodien durch den Kopf gehen, dann singe ich, während ich nicht spiele und fülle damit die leeren Stellen auf.
    So entsteht der Akkord! Indem verschiedene Texturen zusammenkommen, Gesang und Gitarre ineinander greifen und man nicht einfach nur eine verdammte Tonleiter draufspielt. Beim Schlagzeug und dem Bass ist das ähnlich. Das ist nie einfach nur ein Vier-Viertel-Takt. Wenn wir einen spielen müssen, dann werden wir versuchen, ihn zum Singen zu bringen. Aber das ist kein Kalkül, das ist die Art, wie wir Musik hören."

    Weniger Musiker, weniger Streit

    "Singularity," ein Song von "Shift, dem 2018 erschienenen, dritten Album der französischen Art-Metal-Band LiZzard. Die Zahl Drei spielt eine große Rolle in der musikalischen und zwischenmenschlichen Logik von Mathieu Ricou, William Knox und Katy Elwell.
    Katy Elwell: "William und ich wollten immer in einem Trio spielen, und das hier ist unser erstes. Es ist wie eine geometrische Form und zwar die perfekte Form. Außerdem hat man umso weniger Streit, je weniger Leute in einer Band sind."
    Mathieu Ricou: "Die Trio-Besetzung gibt einem viel künstlerische Freiheit. Man kann jede Idee umsetzen, weil der Raum dafür da ist. Und es ist ein komfortabler Raum: einfach nur EIN Bass, EINE Gitarre, EIN Schlagzeug."
    Damit einher geht ein ganz spezifisches, LizZard-typisches Klangbild. Mathieu spielt seine Gitarre in der Standard-Stimmung, dreht aber die dicke Saite um einen Ganzton auf D herunter. Melodie in Drop-D!
    Mathieu Ricou: "Das hat auch mit meinem Stimmumfang zu tun. Wenn ich die Gitarre in Drop-D stimme, kann ich den Klang mit meiner Stimme ganz gut ergänzen. In normaler Stimmung würde das nicht gehen. Ich bin auch gar nicht so der Fan von fetten Metal-Sounds. Ich mag Gitarrensaiten."

    Bitte ein Verstärker mehr

    Und dann ist da noch dieser massive, knarzende Bass-Sound.
    Mathieu Ricou: "Will spielt mit den Fingern, kein Plektrum. Darüber hinaus spielt er aber auch noch mit zwei Verstärkern. Er hat einen für den unverzerrten Sound, was auch sein Basis-Sound ist. Aber daneben hat er noch einen zweiten Verstärker, und der ist komplett verzerrt. Alles, was fies oder seltsam klingt, geht auf das Konto von diesem Verstärker. Ich mache das übrigens genauso. Damit fügen wir zusätzliche Töne zu denen hinzu, die wir sowieso schon spielen. Wir steuern das über Pedale: DER Sound kommt hierhin, DER kommt dahin."
    Regelmäßig schafft Gitarrist Mathieu Ricou auch die erwähnten Freiräume, indem er Gitarrenakkorde nicht voll anschlägt, sondern sie in Einzeltöne zerlegt. Im eben gehörten Song "Blue Moon" vom vierten Album "Eroded" allerdings reibt man sich die Ohren: woher kommt dieses Keyboard?
    Mathieu Ricou: "Das ist eine Gitarre. Aber ich benutze dafür ein Oktaven-Pedal, mit dem man die Tonhöhe verändern kann. Damit können Gitarren richtig mystisch klingen. Dann nimmt man noch ein paar schräge Akkorde, und das ist es dann auch schon."

    Beeinflusst vom perfekten Tintenfisch

    Im Gegensatz zu studierten Virtuosen wie Dream Theater haben LizZard all dieses technische und stilistische Wissen nicht akademisch angesammelt, oder jedenfalls kaum.
    Mathieu Ricou: "Ich habe ein Jahr lang eine Jazz-Schule besucht, eine richtig teure Schule. Da war ich 18. Aber man lernt eigentlich durchs Spielen. Je mehr Du spielst, umso mehr weißt Du."
    Schlagzeughelden?
    Katy Elwell: "Mein größter Einfluss ist Dany Carey, der Schlagzeuger von TOOL. Der ist der perfekte Tintenfisch. Er spielt so melodisch. Der hat mich wirklich inspiriert. Ich höre auch viele andere Rock- und Metal-Bands wie Meshugga und Deftones, aber auch sanftere oder ausgetüfelte Sachen wie Radiohead und Massive Attack. Ich mag technische Musik, aber es muss auch von Herzen kommen. Musik, bei der Menschen schwitzen, wenn sie sie spielen."

    Freundschaft statt Wirtschaft

    Gitarrenhelden?
    Mathieu Ricou: "Ich bin mit Jimi Hendrix aufgewachsen, ich habe den eigentlich schon gehört, als ich noch im Bauch meiner Mutter war. Wer konnte besser durch seine Gitarre sprechen als Jimi Hendrix? Der Typ war ein Außerirdischer! Alle reden über Eddie Van Halen. Sein Tod ist ein großer Verlust, aber: kein Hendrix – kein Van Halen!
    Mit dem Album "Eroded" fügten LizZard ihrer Diskographie im Februar 2021 das nächste Kapitel hinzu. Aufgenommen wurde es in einem für die Band ungewöhnlich langen Prozess. Fast einen Monat quartierten sich die Musiker in einem Studio – und Atelierkomplex im tiefsten Sachsen ein. So ausgefeilt Eroded auch klingt, so freundlich die Reaktionen im Netz auch sind – LizZard scheint es gar nicht wichtig zu sein, welcher weltlicher Lohn dafür am Ende wartet.
    Mathieu Ricou: "Wir wollen mit Menschen arbeiten, die wir lieben. Und wir wollen, dass sie uns genauso lieben. Wir wollen auch nicht, dass die geschäftliche Seite wichtiger wird als unsere Freundschaft. Das bringt doch nichts. Geld ist bloß Geld, aber es ist gar nichts, solange Du nicht tust, was Dir Spaß macht. Wir sind ja nicht hier, um vor der Kamera gut auszusehen."
    Oder anders ausgedrückt.
    Mathieu Ricou: "Music is our food and we are hungry!"