Archiv


Englisch statt Französisch

An allen Schulen und Universitäten Ruandas wird ab diesem Jahr ausschließlich auf Englisch unterrichtet. Eine gewaltige Umstellung für die ehemals belgische Kolonie, in der die offizielle Amtssprache bislang Französisch war.

Von Simone Schlindwein |
    In Ruandas Klassenzimmer ist derzeit eine Revolution im Gange. Statt Jungen und Mädchen hocken jetzt die Lehrer auf den Schulbänken: Sie müssen in den Ferien ihr Englisch aufbessern. Auf der schwarzen Schiefertafel sind Tiernamen aufgelistet. Der Englischlehrer fragt nach den Eigenschaften der Tiere.

    "Was ist eine Schildkröte? Schüler antwortet auf Englisch!"

    Fidele Nyangezi ist viel zu groß für die Holzbank. Er hockt zusammengekauert auf einem kleinen Schemel in der hinteren Reihe des Klassenzimmers der Grundschule von Ruhengeri - einer Kleinstadt im Norden Ruandas. Der große hagere Mann streckt seine Beine aus, um unter dem Tisch Platz zu finden. Er linst auf die Schiefertafel. Fleißig notiert er die aufgelisteten Tiernamen in sein Notizbuch. Eigentlich ist der Mann mit den schon leicht ergrauten Haaren selbst Lehrer. Seit 22 Jahren unterrichtet er Grundschüler in Literatur und auch in Englisch. Doch jetzt muss er selbst wieder lernen. Mit dem neuen Schuljahr darf in Ruandas Klassenzimmern nur noch Englisch gesprochen werden - eine gewaltige Umstellung für die rund 50.000 Lehrer im Land, sagt Nyangezi.

    "Viele von uns haben Französisch in der Grundschule und später auf dem Gymnasium gelernt. Englisch zu sprechen, ist für uns schwer. Denn obwohl viele von uns schon die Grammatik und die Satzstellung gelernt haben, fehlt uns jedoch die Praxis, Englisch zu sprechen. Die Betonung ist nicht so einfach. In diesem Training lernen wir nun, Englisch zu sprechen, viele verlieren derzeit die Angst davor."

    Die Sprachumstellung ist ein ehrgeiziges Projekt der ruandischen Regierung. Im Frühjahr 2009 wurde per Gesetz bereits die Amtssprache in den Ministerien und Behörden von Französisch auf Englisch umgestellt. Seitdem müssen alle offiziellen Dokumente auf Französisch und auf Englisch abgefasst werden. In diesem Jahr werden nun das Schulsystem und die Universitäten umgestellt. Alle Fächer, ob Mathematik, Biologie oder Chemie, sollen ab diesem Schuljahr auf Englisch unterrichtet werden. Doch Ruanda fehlt es an englischsprachigen Trainern, um allen ruandischen Lehrern innerhalb der Ferien ein Sprachtraining zu ermöglichen.

    Um hier auszuhelfen, hat Ruanda Lehrer aus dem Nachbarland Uganda angeheuert. Einer davon ist Isaac Gahwerra. Er unterrichtet seine ruandischen Kollegen in der fortgeschrittenen Klasse. An eine schnelle, lückenlose Umstellung glaubt er jedoch nicht.

    "Das lässt sich nicht in einer kurzen Zeit bewältigen. Die Umstellung der Sprache wird wohl schrittweise vorangehen. Ich denke, man muss mit 15 Jahren rechnen, denn Französisch ist in der Bevölkerung Ruandas sehr tief verwurzelt. Selbst wenn ich in ländlichen Gegenden auf dem Markt einkaufen gehe, sprechen alle französisch, aber fast niemand englisch. Die Umstellung wird systematisch vonstattengehen müssen. Aber ich denke, die Regierung hat eine gute Strategie, die Grundschulen zuerst umzustellen. Die Erstklässler lernen nun Englisch. Ich bin wirklich froh, für diese Erfahrung, an dieser Revolution teilhaben zu dürfen."

    Die Sprachumstellung in Ruanda hat verschiedene Gründe - innenpolitische, außenpolitische und wirtschaftliche. Innenpolitisch leidet die derzeitige Regierung unter Präsident Paul Kagame an folgendem Problem: Die Mehrheit der Elite in Ruanda ist - wie Präsident Kagame selbst - im Exil aufgewachsen, meist im englischsprachigen Ausland, in den Nachbarländern Uganda oder Tansania, manche auch in England oder Amerika. Sie gehören zur Generation der Tutsi, die bereits in den 50er- oder 60er-Jahren das Land verlassen hatte, als die damalige Hutu-Regierung die ersten Massaker an der Tutsi-Minderheit verübte.

    Diese Rückkehrer sprechen kaum Französisch, zum Teil beherrschen sie auch die lokale ruandische Sprache Kinyarwanda nicht fließend. Die Umstellung der Verwaltung ist also zum ganz persönlichen Vorteil der Tutsi-Elite. Außenpolitisch betrachtet hängt der Schatten des Völkermordes von 1994 über der Entscheidung: Ruanda will sich dem französischen Einfluss in Afrika entziehen. Denn: Ruandas Regierung gibt Frankreich eine Mitschuld am Genozid 1994. Die französische Regierung habe der damaligen Hutu-Regierung Waffen geliefert, um den Genozid an den Tutsi auszuführen - so lautet die offizielle Lesart in Ruanda.

    Frankreich wiederum beschuldigt den derzeitigen ruandischen Präsidenten Kagame, das von Franzosen gesteuerte Flugzeug des damaligen Hutu-Präsidenten Juvenal Habyarimana abgeschossen zu haben. Der Flugzeugabsturz im April 1994 gilt als der Auslöser des Genozids, in welchem über 800.000 Tutsi systematisch ermordet wurden. Französische Staatsanwälte ermitteln noch immer in diesem Fall.

    Die gegenseitigen Anschuldigungen haben das Verhältnis zwischen Frankreich und Ruanda stark belastet - die beiden Länder hatten über Jahre hinweg keinerlei diplomatischen Kontakt. Erst im November des vergangenen Jahres wurden die Beziehungen wieder aufgenommen. Mittlerweile haben sich die USA und Großbritannien als einflussreiche Partnerländer Ruandas etabliert. Der Großteil der Entwicklungsgelder zum Wiederaufbau des zerstörten Landes kam aus Großbritannien. Ruanda trat im vergangenen Jahr sogar dem Commonwealth bei. Auch in der englischsprachigen Ostafrikanischen Union hat sich Ruanda integriert. Von der Sprachumstellung erhofft sich die Regierung auch eine erleichterte wirtschaftliche Integration, erklärt Charles Gahima, der Direktor des Zentrums zur Ausarbeitung der Lehrpläne.

    "Auf Englisch zu unterrichten, hat sehr viele Vorteile. Wir sind nun Teil der Ostafrikanischen Union. Unsere Studenten können nun in den Nachbarländern studieren und auch für den Arbeitsmarkt hat das viele Vorteile. Man bedenke: Wissenschaft und Forschung, das Internet und die neuen Technologien - all das ist nun auf Englisch. Wir müssen unsere Jugend für diese Bereiche fit machen. Ich gebe zu, das Schulsystem umzustellen, ist ein großer Schritt und es ist auch nicht billig - wir müssen alle Schulbücher nun neu kaufen und die Lehrpläne und Unterrichtsmaterialien übersetzen. Aber in fünf Jahren werden wir das erfolgreich bewältigt haben."

    Bis schließlich die Lehrbücher auf Englisch vorliegen, gilt in den Schulen eine dreijährige Übergangszeit. Die Schüler können sich entscheiden, ob sie ihre Prüfungen lieber auf Französisch oder auf Englisch ablegen wollen. Dennoch, die Sprachumstellung birgt viele Herausforderungen für Ruanda - hinter vorgehaltener Hand wird derzeit gemunkelt, dass die Umstellung zum Vorteil einer kleinen Elite der Tutsi-Minderheit sei. Diese würden bereits Englisch sprechen und somit die lukrativen Jobs in Wirtschaft und Verwaltung erhalten, so die Gerüchte. Doch offen würde das niemand zugeben - denn frei seine Meinung sagen zu können, das ist in Ruanda noch immer nicht möglich - ob nun auf Französisch, der ruandischen Sprache Kinyarwanda oder künftig auf Englisch.