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Weltsprachen
The English we speak

Englisch ist die meistgesprochene Sprache der Welt. Die Geschichte der Sprache reicht weit zurück: Das britische Empire hat sie in die Welt getragen und das Internet hat, wenn man so will, den Rest erledigt. Doch Englisch ist nicht gleich Englisch.

Von Burkhard Birke | 26.12.2022
"Stay the fuck ungehorsam steht an einer Hauswand in Berlin
Englisch hat längst einen festen Platz in der deutschen Alltagssprache (imago images / Sabine Gudath / Sabine Gudath via www.imago-images.de)
„Anni hat abgesagt, also die Anni sagt, Englisch ist doch heutzutage keine Fremdsprache mehr, sie selber sagt, also sie spricht zwar nicht mit, aber heutzutage spricht es doch fast jeder.“

Englisch als Zweitsprache? Englisch als Weltsprache? Der Kabarettist Gerhard Polt hat den Nagel auf den Kopf getroffen: Eigentlich sollte hierzulande und in Europa jeder Englisch sprechen. So selbstverständlich ist das mit dem „fließenden Englisch als Weltsprache“ dann doch nicht. Manche Verantwortungsträger klingen eher angestrengt, Beispiel der damalige EU- Kommissar Guenther Oettinger kurz nach Amtsantritt 2010:
„And I am sure there is a chance for a partnership in the next years between these both committees. And mit me my new function …"

Ich würde immer empfehlen, dass jemand in seiner Muttersprache spricht, wenn er oder sie was wirklich Wichtiges zu sagen hat

rät Dolmetscherin Vivi Bentin vom Bund Deutscher Übersetzer und Dolmetscher.
Gerade wenn nicht Muttersprachler Englisch sprechen, sind Missverständnisse unvermeidlich. Im Arbeitsalltag begegnen Vivi Bentin und ihren Kollegen und Kolleginnen viele Beispiele.

„Die Person dachte, sie hört Psychopath, und fragte sich, warum geht’s denn hier um Psychopathen? Das passt überhaupt nicht zum Thema! Und irgendwann fiel dann der Groschen, und es ging um Cycle paths, also um Fahrradwege.“

Weitere Teile der Reihe "Die Politik von Sprachen"

Englisch ist nun einmal nicht Englisch! Es macht einen Riesenunterschied, woher die Person stammt und ob sie Englisch als Mutter- oder als Zweitsprache spricht. Missverständnisse sind unvermeidlich und dennoch ist Englisch die Sprache, in der sich weltweit die meisten Menschen verständigen können. 
Zwar hat das Mandarin mit 929 Millionen und Spanisch mit 475 Millionen mehr Muttersprachler als Englisch mit 373 Millionen – so die Angaben des SIL, Summer Institute of Linguistics. Aber: Gut 1,1 Milliarden Menschen sprechen mittlerweile Englisch als Zweitsprache, neben ihrer Muttersprache, und damit ist Englisch unangefochten die meist gesprochene Sprache der Welt.

Der Weg zur Weltsprache

Wie kam es dazu? Eine Sprache wird global wegen der Macht der Menschen, die sie sprechen. Das ist der einzige Grund, sagt der britische Sprachforscher David Crystal. Und wenn Englisch in 39 Ländern Mutter- und in 57 Staaten Amtssprache ist, so hat das nicht zuletzt mit der Macht und Ausbreitung des britischen Empires zu tun. Dass Englisch Weltsprache geworden ist, führt der Sprachwissenschaftler David Crystal jedoch auf eine Vielzahl von Gründen zurück.
„Zunächst auf die Macht des British Empire, später auf den US- amerikanischen Imperialismus, auf die industrielle Revolution im 17. Jahrhundert, als Englisch die Sprache der Wissenschaft wurde. Im 19. Jahrhundert dominierte das Geld und die beiden produktivsten Staaten waren Großbritannien und die USA, beide englischsprachig, das Pfund und der Dollar wurden die Sprache der Banken – erneut Englisch! Und im 20. Jahrhundert kam die Macht der Kultur, Popmusik, internationale Werbung, Luftfahrtkontrolle, die Entwicklung von Radio und Fernsehen und des Internets!“
Dabei ist Englisch als Sprache an sich gar nicht unbedingt prädestiniert gewesen, um Weltsprache zu werden, glaubt Ted Mentele vom digitalen Sprachlernprogramm Babbel. [*]

Die Aussprache und Orthographie passen selten zusammen. Das kann sehr frustrierend sein. Es ist im Grunde die Macht der Menschen, die die Sprache sprechen.

Macht macht Sprache und Sprache macht Macht! Offenbar nach dem Prinzip: Wes Brot ich ess, des Lied ich sing!?

So ganz trifft das freilich nicht zu - wie auch ein Blick in die Entstehung der englischen Sprache zeigt. Zunächst waren weite Gebiete des heutigen England zwischen dem Jahr 43 und 410 von den Römern besetzt. Anders als in den meisten römischen Kolonien wie in Gallien, dem heutigen Frankreich, auf der iberischen Halbinsel oder im heutigen Rumänien bildete sich jedoch keine eigene Sprache auf Basis des Lateinischen heraus.
Als die Angelsachsen im 5.Jahrhundert einfielen, brachten sie auch ihre Sprache mit. Die römisch keltische Kultur wurde zurückgedrängt, bzw. assimilierte sich. Anglistikprofessor Gerhard Leitner von der Freien Universität Berlin: „Vom Englischen spricht man so vom 5. Jahrhundert, aber natürlich war das Englische noch nicht so verankert.“

Französisch als Sprache der Oberschicht

Die angelsächsische Periode legte das Fundament für die englische Sprache und Kultur. Sie dauerte zunächst bis 1066, als die Normannen mit Wilhelm dem Eroberer einfielen. Professor Gerhard Leitner:

„Die normannische Invasion hat das Englische zunächst zurückgedrängt und Französisch zur Amtssprache gemacht. Die Oberschicht vielleicht hat Französisch gesprochen, aber der Rest des Landes war Englisch, so dass die Franzosen dann das Englische angenommen haben. Es war auf europäischer Ebene keineswegs eine wichtige Sprache.“
Bis heute finden sich viele Elemente des Französischen im Englischen. Die Bezeichnungen für Rind- und Schweinefleisch ‚Beef‘ und ‚porc‘, Französisch boeuf und porc etwa. Interessant dabei ist: Das, was vom Adel verzehrt wurde, entspringt dem Französischen, das Tier, worum sich der einfache Bauer kümmerte, stammt aus dem Germanischen: Cow und swine – Kuh und Schwein auf Deutsch!
Das Englische selbst wiederum ist eine Sprache durchsetzt mit Ausdrücken aus dem Griechischen, dem Latein, aus den Sprachen der einstigen Kolonien und sogar aus dem neueren Deutsch.
„Zeitgeist“ wurde in die zweite Ausgabe des Oxford Dictonary 1989 aufgenommen. Das große Wort aus dem Deutschen ist jedoch „Schadenfreude“! Dafür gibt es im Englischen einfach keinen Ausdruck – außer eben „Schadenfreude“. Das Englische macht viele Anleihen bei anderen Sprachen, und das passiert umso häufiger, je prägnanter ein Wort an sich ist.“

Fiona Mc Pherson ist eine der Herausgeberinnen des Oxford English Dictionary. Zu den circa 600.000 Einträgen des - neben dem Webster Dictionary aus den USA - für die englische Sprache maßgebenden Werkes fügt sie mit ihren Kollegen und Kolleginnen pro Jahr etwa 1.000 neue hinzu.

„Wir haben keine Institution wie die Academie Francaise für die englische Sprache. Die Herangehensweise ist demokratischer, denn meine Kollegen und ich dürfen die Entscheidung treffen, wenn wir ausreichend Hinweise dafür haben, dass Worte benutzt werden.“

Die BBC als Hüterin der englischen Sprache

Die Tatsache, dass Englisch weniger puristisch und rigide ist, hat den Aufstieg zur Weltsprache sicher beflügelt. Das war freilich nicht immer so. Jahrzehntelang war der weltweit aktive Sender BBC die British Broadcasting Corporation, die Hüterin der Sprache.  Und zwar der Sprache, die man als Oxford Englisch bezeichnet, ein Englisch, das selbst in weiten Teilen des Vereinigten Königreichs nie so rein gesprochen wurde. Professor Gerhard Leitner von der FU Berlin:

„Die BBC war natürlich ein wesentlicher Faktor, der das Englische verbreitet hat, aber eben erst ab den 30iger Jahren im Grunde. In den 50iger Jahren hat man festgestellt, dass sich das Englische differenziert hat. Und um diese Differenzierung zu stoppen oder einzugrenzen, hat die BBC Sprachkurse gemacht in aller Welt. Dann wurde '36 der British Council gegründet. Es gibt heute Vertreter des British Council in Südostasien, in Indien, die natürlich versuchen, ihre Interessen, britische Interessen, dort zu artikulieren und festzuhalten.“

Die Gründung der Vereinten Nationen mit Sitz in New York nach dem 2. Weltkrieg und die Tatsache, dass die zehn Mitglieder des Verbandes der südostasiatischen Staaten, kurz ASEAN, Englisch als Arbeitssprache pflegen, haben das ihre dazu beigetragen, den Vormarsch der Sprache Shakespeares zu fördern. Allerdings nicht immer in der Oxford Variante.
Allein aufgrund der Bevölkerungsgröße und der Wirtschaftsmacht dominieren die USA das ‚Globish‘ – das internationale, einfache Englisch. Allerdings ist sehr interessant, dass Englisch, obwohl es die Sprache der einstigen Kolonialherren war, auch nach der Unabhängigkeit in vielen Gebieten des einstigen British Empire sogar als Amtssprache beibehalten wurde – wie in Indien beispielsweise. Gerade in Indien mit seinen vielen Ethnien und Sprachen ist Englisch ein gemeinsamer Nenner. Die Sprache führt auf dem Subkontinent aber ein durchaus interessantes Eigenleben.
Auf YouTube findet man regelrechte Lernprogramme, um den indischen oder genauer gesagt die indischen und pakistanischen Akzente mitsamt grammatikalischen Eigenheiten zu lernen. Vergleicht man das indische mit Pidgin English, wie es sich in der Karibik und in Afrika entwickelt hat, so glaubt man eine andere Sprache zu hören:
Sprichwörter auf nigerianischem Pidgin in einer Straßenumfrage auf YouTube: Was hochfliegt, muss auch runterkommen.
Auch ohne den Einfluss nativer Sprachen wie in Indien oder Afrika hat sich das Englische in den einstigen Kolonien weiterentwickelt, zum Beispiel in Australien:

„What are you doing this afer?“

Was so viel bedeutet wie: Was machst Du heute Nachmittag?
Eigene Ausdrücke, Slang vor allem, spielen auch eine große Rolle bei der Verbreitung des offensichtlich dominierenden amerikanischen Englisch. Es gibt enorme Abweichungen bei Aussprache und Orthographie zum britischen Englisch. Hollywood, die Dominanz der US-Kultur, das Internet und die Musikindustrie haben massiven Anteil am Erfolg des Englischen weltweit, wobei dem Hip Hop und damit der Sprache der Afroamerikaner eine spezielle Rolle zukommt.

"Globish" - immer präsenter in deutschen Firmen

„Du willst mit Deinesgleichen kommunizieren. Und dann sagst Du whats up? Whats going on?” Black vernacular – die schwarze Umgangssprache.
Sprachwissenschaftler wie Gerhard Leitner unterscheiden acht verschiedene Ausprägungen des Englischen: britisch/irisch/schottisch, amerikanisch, kanadisch, karibisch, afrikanisch, südostasiatisch/indisch, ostasiatisch und australisch/südpazifisch.

Und dann gibt es noch Globish – oder das Englisch, das man neuerdings auch verstärkt in deutschen Firmen hört, wenn zwei Nicht-Muttersprachler miteinander kommunizieren.
Die Chemikerin Nicky aus Griechenland und ihr Chef David Mainka unterhalten sich über einen Test beim Berliner Startup Aynaanalytics. Mainka und seine spanische Partnerin Laura haben ein Prüflabor gegründet, um Pharma-, Lebensmittel- und Agrarproben mittels Nahinfrarot-Spektroskopie zu vermessen, ohne dass die Proben beschädigt werden.
„Die Vertriebsleiterin muss auch Englisch sprechen mit manchen Partnern."
"Wir habe auch externe Mitarbeiter in UK, mit denen wir dann natürlich auch Englisch sprechen. Das ist dann simpel Englisch, aber das ist völlig fein.“
Aynaanalytics ist unter den jungen Unternehmern in Deutschland schon beinahe die Regel mit Englisch als Umgangssprache im Betrieb. Denise Schurzmann, die Bundesvorsitzende der Wirtschaftsjunioren Deutschlands:

Wir fordern, dass es eine zweite Sprache gibt, nämlich Englisch. Ich glaube, wir brauchen definitiv die Fachkräfte aus dem Ausland, und wir müssen uns da ein bisschen umstellen, auch gesellschaftlich, und wir müssen die willkommen heißen.“
Eine Blitzumfrage des Deutschen Industrie- und Handelskammertages unter ihren Wirtschaftsjunioren hat ergeben, dass mehr als die Hälfe dies für geboten hält; ein Fünftel fordert gar Englisch als Amtssprache.

Englisch auf EU-Eben dominant auch nach dem Brexit

In großen, international aufgestellten Konzernen wird in Deutschland längst Englisch gesprochen, zumindest auf der Führungsetage. Im Mittelstand, der das Gros der 3,6 Millionen Mitglieder des Deutschen Industrie- und Handelskammertages ausmacht, wird Englisch bei Bedarf eingesetzt, so wie bei der Elektronikfirma, die Denise Schurzmann leitet.

Ich glaube, es ist gar nicht notwendig, dass wir hier politisch Vorgaben brauchen, dass das in den Unternehmen eingeführt werden muss. Die Unternehmen führen es selbst ein. Wo wir, glaube ich, Augenmerk drauf richten müssen, und auch das haben die Wirtschaftsjunioren frühzeitig in die politische Diskussion gebracht, ist eine Verwaltungssprache.“

Sagt der stellvertretende Hauptgeschäftsführer des DIHK Volker Treier. Veranstaltungen wie die Asien-Pazifikkonferenz der deutschen Wirtschaft unlängst führt er schon seit Jahren auf Englisch durch.

Auf EU Ebene bleibt Englisch – auch nach dem Ausscheiden Großbritanniens dominant - zum Leidwesen der Franzosen.
„In den 15 Jahren seit den letzten EU Beitritten ist Englisch zu der Sprache der Kommunikation untereinander geworden.  Es ist eine einfache Sprache, die überall in Europa gesprochen wird, weil Schüler und Studenten es überall in Europa lernen, und es auch in der Berufsausbildung enorm praktisch ist. Somit bleibt Englisch wichtig!“

Sagt Genoveva Ruiz Calavera. Die Spanierin ist Generaldirektorin des Sprachendienstes der EU Kommission mit 450 festangestellten und mehr als 2000 freiberuflichen Dolmetschern. 200 Konferenzen wöchentlich müssen auf Kommissionsebene in die 24 offiziellen EU Sprachen gedolmetscht werden. Englisch dient dabei meist als Relay Sprache, in die zuerst übersetzt und von der aus dann in die übrigen Sprachen weitergedolmetscht wird.

Englisch ist auch nach dem Brexit, neben Französisch und Deutsch, eine der offiziellen Arbeitssprachen auf EU-Ebene, zumal Irland, Malta und Zypern Englisch als Amtssprache pflegen.

Chillen und checken statt entspannen und nachschauen

Das im EU-Alltag praktizierte Englisch hat freilich einige Stil-Blüten produziert. Genoveva Ruiz Calavera:

„Am Anfang einer Rede sagen viele: Ich möchte mich kurz fassen und sagen‚ I want to be short‘ – was heißt, ich will klein sein! Es muss I want to be brief heißen! Es hat sich so ein Eurish oder Globish oder Eurospeak herausgebildet, das nicht dem Oxford Dictionary entspricht! Es macht aber natürlich einen Unterschied, ob wir untereinander sprechen oder ob es sich um offizielle Dokumente handelt. Wir haben Dienste, die Beamten ständig korrektes Englisch beibringen.“

Mit dem Bundessprachenamt verfügt auch Deutschland über so einen Service.  Auf NATO-Ebene, bei internationalen Konferenzen generell, ist Englisch enorm wichtig, und sei es nur für den Small Talk oder die wirklich vertraulichen Gespräche am Rande.
Das reale Leben, unser Alltag, überall auf der Welt, ist schon jetzt durchsetzt von englischsprachigen Ausdrücken: Auch in Deutschland chillen und checken wir. Denglisch ist auf dem Vormarsch. Kein Wunder: Mehr als die Hälfte aller internationalen Studiengänge weltweit ist auf Englisch. 28 Prozent der weltweit publizierten Bücher erscheinen auf Englisch, weil sie so wohl die größte Leserschaft erreichen. Wissenschaftspublikationen sind zu über 90 Prozent auf Englisch abgefasst.

Wie lange aber wird Englisch noch dominieren? Wird es den Weg des Lateinischen gehen? Wenn Sprache sich infolge von Macht verbreitet – wann wird dann Mandarin dominieren, das ohnehin die am meisten gesprochene Mutter- oder Hauptsprache vieler Menschen ist?

„Die Zukunft einer Sprache hängt von der Zukunft der Gesellschaft ab. Derzeit gibt es keine Anzeichen dafür, dass China Chinesisch zur globalen Sprache machen will, denn in China lernen die Leute überwiegend Englisch, aber es könnte auch umgekehrt kommen! Es könnte aber auch sein, dass wir alle eines Tages Spanisch sprechen. Spanisch ist die Sprache, die am schnellsten wächst in Mittel- und Süd- aber auch in Nordamerika. Man könnte sich aber auch vorstellen, dass Arabisch dominiert! Es gibt viele Szenarien, aber momentan gibt es keine Anzeichen dafür, dass Englisch an Prestige verliert.“

Glaubt der Sprachwissenschaftler David Crystal, aber wenn Macht Sprache vorgibt, dann könnten wir eines Tages auch alle ‚Marsianisch‘ sprechen – dann, wenn die Wesen vom Mars landen – wer weiß das schon?

[*] Anmerkung der Redaktion: In der ersten Version wurde Ted Mentele als Gründer des digitalen Sprachlernprogramms bezeichnet, tatsächlich ist er Senior Editor.