9,58 Sekunden sind die Schallmauer. Usain Bolt ist seit seinem Sprint über 100 Meter im Jahr 2009 der schnellste Mann der Welt – aber wie lange noch? Diese Frage stellt sich nicht nur dahingehend, ob seine Zeit bei Olympischen Spielen oder Weltmeisterschaften mal unterboten wird. Sie stellt sich auch mit Blick darauf, ob es jemandem gelingt, der ganz offen Doping betreibt.
Oder, um es wie die Köpfe hinter den sogenannten "Enhanced Games" auszudrücken: Jemand, der sein volles Potential mithilfe gewisser Mittel ausschöpft. Unter dem Deckmantel eines wissenschaftlichen Ansatzes sollen die Olympischen Spiele angegriffen werden. Aron D'Souza, Chef des Unternehmens, möchte die ersten "Enhanced Games" 2025 organisieren. Jüngst sagte er: "Wenn wir alle Weltrekorde brechen, wer schaut sich dann noch die alten, langsamen Olympischen Spiele an?"
IOC, WADA und Fairplay-Komitee verurteilen "Enhanced Games"
Im Zuge dessen haben sich nun das IOC, die Welt-Anti-Doping-Agentur (WADA) und das Internationale Fairplay-Komitee (CIFP) zu den Plänen positioniert, die bereits seit Monaten als Gerüchte durch die Medien geisterten und lange für reine Provokation gehalten wurden. Dies bekräftigte auch Sebastian Coe, Chef des Welt-Leichtathletik-Verbandes, jüngst nochmal: "Niemand in der Leichtathletik nimmt die 'Enhanced Games' ernst."
Allerdings verkündete D'Souza, zuletzt neue, milliardenschwere Investoren an Land gezogen zu haben. Auch gab er gegenüber der Nachrichtenagentur Reuters an, mehrere namhafte Athletinnen und Athleten stünden schon bereit. Ein Szenario, dass der WADA als Doping-Kontrollinstanz missfällt. Die WADA warnte, dass Sportlerinnen und Sportler sowie Trainer oder weitere Teammitglieder bei einer Teilnahme Gefahr laufen würden, die Doping-Regeln zu brechen.
Die Organisation sprach auch von "ernsten gesundheitlichen Risiken", die bedacht werden müssten und bezeichnete die "Enhanced Games" als unverantwortliches Unterfangen, das den Missbrauch von "Substanzen und Methoden fördert, die, wenn überhaupt, nur für spezifische therapeutische Bedürfnisse und unter der Aufsicht von (...) Medizinern verschrieben werden sollten".
Das IOC schlug in dieselbe Kerbe: "Die Idee der 'Enhanced Games' verdient keinen Kommentar. Wenn man das Konzept von Fairplay (...) im Sport zerstören will, ist das ein guter Weg." Weiter hieß es: "Außerdem würde kein Elternteil jemals sein Kind in so einem schädlichen Format antreten sehen wollen, bei dem leistungssteigernde Dopingmittel zentraler Teil des Konzeptes sind." Die Idee widerspreche den Olympischen Werten fundamental.
Und Jeno Kamuti, ehemaliges Mitglied der medizinischen Kommission des IOC und derzeit Präsident des Internationalen Fairplay Komitees (CIFP), prophezeite "potentiell katastrophale Gesundheitsrisiken" und betonte: "Wir rufen Organisatoren und Befürworter einer solchen Veranstaltung auf, stattdessen ihr organisatorisches und finanzielles Können in die Olympische Bewegung einzubringen."
Was die "Enhanced Games"-Macher wollen
In einem Video auf der "Enhanced Games"-Webseite verspricht die Organisation jedenfalls schon, dass während der ersten Doping-Spiele Usain Bolts 100-Meter-Weltrekord fallen wird. Spektakel und neue menschliche Höchstleistungen, so lautet das Versprechen von D'Souza und seinen Mitstreitern.
Auf deren Internetseite steht: "Die Enhanced-Bewegung glaubt an den medizinischen und wissenschaftlichen Prozess, der die Menschheit zu ihrem vollen Potential führt." Dabei soll es laut D'Souza tatsächlich auch "klinische Studien" geben, die die Gesundheit teilnehmender Athletinnen und Athleten überwachen.
Der Australier, der in London lebt, kritisierte die WADA und das IOC. Er provozierte, verglich die Dopingkontrollen mit Razzien einer Geheimpolizei, die Athletinnen und Athleten Furcht einflößen sollen. D'Souza nannte das IOC "heuchlerisch, korrupt und dysfunktional" und betonte, es würden ohnehin schon viele Athletinnen und Athleten zu verbotenen Mitteln greifen.
Den Olympischen Spielen attestierte er, zu viele "irrelevante" Sportarten zu zeigen. Der Australier plant zunächst die Konzentration auf Individualsportarten: Leichtathletik, Schwimmen, Turnen, Kraft- sowie Kampfsport. Teilnehmende sollen ein Grundgehalt bekommen und um Preisgelder kämpfen, die "höher ausfallen als bei jeglichen vergleichbaren Events der Geschichte".
Investor Thiel: Milliardär sieht Tod als lösbares Problem
Das Monetäre betrifft natürlich die Investoren. Aron D'Souza wird nach eigener Aussage von milliardenschweren Geldgebern unterstützt. Einer davon ist Peter Thiel, unter anderem Mitgründer des Online-Bezahldienstes PayPal und später auch Gründer des Überwachungssoftware-Konzerns Palantir. Die "Enhanced Games" passen zu weiteren, seltsam anmutenden Beteiligungen des gebürtigen Frankfurters im Bereich menschlicher Optimierung.
Denn der 56-Jährige steckte schon mal Geld in die Erforschung von vermeintlichen Jungbrunnen – wie eine angeblich lebensverlängernde Bluttherapie. Thiel hat 2014 dem britischen "Telegraph" erzählt, wie er zum Tod steht: "Man kann ihn akzeptieren, man kann ihn leugnen, oder man kann ihn bekämpfen. Ich denke, die Gesellschaft wird dominiert von Menschen, die entweder leugnen oder akzeptieren wollen. Und ich ziehe es vor, dagegen zu kämpfen."
Ex-Schwimmer Magnussen erliegt Ruf des Geldes
Für (inoffizielle) Weltrekorde kämpfen will jedenfalls der ehemalige australische Top-Schwimmer James Magnussen, der unter anderem zweimal Weltmeister über 100 Meter Freistil (2011 und 2013) wurde. "Enhanced Games"-Chef D'Souza präsentierte ihn zuletzt als ersten Athleten.
Magnussen, der umgerechnet knapp eine Million Euro bekommen soll, wenn er den 50-Meter-Weltrekord bricht, sagte einer australischen Zeitung ganz offen, das Geld habe die größte Rolle gespielt: "Athleten im Ruhestand bekommen nicht so viele Möglichkeiten." Sollte es möglich sein, "wissenschaftlich und sicher Leistung zu verbessern, könnte es ein unterhaltsames Event für Zuschauer werden".
Todesfälle im Zusammenhang mit Doping als Warnung
Welchen Preis Athletinnen und Athleten für das besagte "unterhaltsame" Event zahlen könnten, steht derweil auf einem anderen Blatt. Die WADA wies darauf hin: "Leistungssteigernde Mittel haben bei vielen Sportlern einen schrecklichen körperlichen und geistigen Tribut gefordert. Einige sind gestorben."
Mehrere exemplarische Todesfälle in der Geschichte des Sports sind bekannt, die mutmaßlich im Zusammenhang mit Doping stehen. So erlag die Siebenkämpferin Birgit Dressel, die Anabolika und weitere Medikamente nahm, 1987 einem toxisch-allergischen Schock. Und in den 60er Jahren starb Radsportler Tom Simpson unter Hochbelastung mit Amphetaminen und Alkohol im Blut am Mont Ventoux.