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Enteignungen nach 1945
Viele Museen haben zu lange gewartet

Kurz nach dem Zweiten Weltkrieg wurden im Gebiet der früheren DDR viele adelige Familien enteignet. Jetzt läuft eine bei der Wiedervereinigung festgelegte Frist ab, nach der die früheren Eigentümer zumindest ihren beweglichen Besitz zurückverlangen können. Für etliche Museen wird das zum Problem.

Von Henry Bernhard |
    Schloss Burgk in Ost-Thüringen sitzt wie ein weißes Adlernest auf einem Felsen hoch über der Saale. Ringsum nur Wasser und Wald. Die knarzenden Stufen im Schloss tragen den einsamen Besucher noch höher hinauf. Stockwerk über Stockwerk. Sie führen ihn in Räume und Säle mit mittelalterlichen Rüstungen, barocken Möbeln, Rokoko-Tapeten und böhmischem Kristall. In der Kapelle thront eine Silbermann-Orgel in einer Nische. Schloss Burgk zieht im Jahr 40.000 Gäste an. Für Ostthüringen ist das sehr viel. Nun ist es fraglich, ob die Besucher auch in Zukunft noch kommen werden. Auf etwa zwei Drittel der ausgestellten Kunst- und Kulturgüter erheben die Erben des früheren Herrscherhauses Reuß Anspruch. Das Haus Reuß wurde 1945 im Zuge der sogenannten "Bodenreform" entschädigungslos enteignet – so wie Tausende andere in der Sowjetischen Besatzungszone. Bernd Amelung ist als Vorsitzender Richter und Pressesprecher am Verwaltungsgericht Gera mit den Spätfolgen dieser Enteignungen befasst.
    "Die Enteignungen liefen in der Regel auf zwei Schienen ab. Zum einen eben die Enteignungen nach dem Bodenreform-Gesetz, die landwirtschaftliche Güter betraf, die größer waren als 100 Hektar. Und daneben gab es diverse SMAD-Befehle, die sich gegen Kriegsverbrecher oder Adlige oder sonstige gesellschaftspolitisch ungeliebte Personenkreise nach russischer Auffassung richteten."
    Hellmut Seemann, Präsident der Klassik Stiftung Weimar, kennt diese Situation nur zu gut. Auch viele Liegenschaften, Kulturgüter und Kunstwerke, über die er wacht, gehörten bis 1945 dem Adelshaus Sachsen-Weimar und Eisenach.
    "Da ist eine ganze Klasse enteignet worden – nämlich die Besitzenden! Und das ist ein großes Unrecht gewesen."
    Viele der Enteigneten hatten 40 Jahre auf eine Wiedervereinigung gehofft. Als die kam, hatte die Bundesrepublik schon mit der DDR ausgehandelt, dass Enteignungen auf besatzungsrechtlicher Grundlage nicht rückgängig gemacht werden dürften. Und über den Einigungsvertrag fand die Regelung auch ins Grundgesetz. Der Bund profitierte von den Ländereien und Immobilien, die ja ihm zufielen. Die Enteigneten und deren Erben gingen leer aus. Astrid von Friesens Familie zum Beispiel lebte 800 Jahre in Sachsen – bis 1945. Ihre Eltern wurden enteignet und vertrieben.
    "Meine Großmutter Friesen – mit einem Rucksack musste sie fliehen! Und sie standen ja alle unter der Drohung, erschossen zu werden; sie standen alle auf den Exekutionslisten, wie der ganze Adel. Da konnte man keine Kunstgegenstände mitnehmen! Und deswegen ist es oftmals sehr schmerzhaft, wenn bestimmte Dinge gar nicht mehr auffindbar sind. Zum Beispiel meine Mutter trauert besonders um ihr Puppenhaus – und das ist weg!"
    Vor 20 Jahren, 1994, wurde den in der frühen Nachkriegszeit in der sowjetischen Besatzungszone Enteigneten per Gesetz das Recht zugesprochen, zumindest ihre beweglichen Güter zurückzubekommen.
    "1994 hat man dann gesagt: Jetzt machen wir doch mal was für diese enteigneten ursprünglichen Eigentümer! Jetzt geben wir denen zumindest mal, das was sie an mobilen Eigentümern verloren haben."
    Das Gesetz hatte einen Haken. Hellmut Seemann erklärt ihn.
    "Und dann hat man aber noch gesagt: Das machen wir auch erst in 20 Jahren, wenn die, die sich jetzt gefreut haben, alle schon alt oder krank oder malade oder tot sind."
    20 Jahre Übergangszeit hatten die Museen, Schlösser und Galerien, die nach dem Krieg enteigneten Kunstwerke und Kulturgüter weiter zu zeigen. In dieser Zeit des sogenannten Nießbrauchs sollten sie sich mit den Anspruchsberechtigten einigen, ob sie die Kulturgüter zurückgeben, kaufen oder zukünftig leihen wollen. Die meisten Museen nutzten die Zeit für eine gütliche Einigung. Das Fürstenhaus Sachsen-Weimar und Eisenach zum Beispiel vermachte fast sein gesamtes Eigentum der Klassik Stiftung Weimar. Darunter Teile der Bestände der Herzogin Anna Amalia Bibliothek, die Weimarer Gemäldegalerie, die Originale im Goethe- und Schiller-Archiv, ja sogar die Särge von Goethe und Schiller. Geschätzter Gesamtwert: zwischen einigen Hundert Millionen und über einer Milliarde Euro. Dafür bekam das Haus Sachsen-Weimar und Eisenach 15,5 Millionen Euro als Ausgleich gezahlt – eine eher symbolische Geste. Prinz Michael von Sachsen-Weimar und Eisenach vertritt seine Familie nach außen. Er hat in den 90er-Jahren auch die Verhandlungen mit dem Land Thüringen geführt und sitzt nun mit im Stiftungsrat.
    "Ich bin zwar der wichtigste Zuwendungsgeber mit meiner Kunst, aber ich habe nur eine Stimme. Die Stadt hat zwei, der Bund hat zwei, das Land hat zwei, und da sitzen überall Politiker! Es macht mir natürlich Sorgen, dass Politiker immer nur in Legislaturperioden denken! Ich denke in Generationen."
    Ganz anders aber ist es auf Schloss Burgk in Ostthüringen gelaufen. Das Landratsamt als Träger und die Museumsleitung haben zu lange gewartet. Am 30. November läuft die Frist des Nießbrauchs aus, während der sie die Möbel, Gemälde, Ritter-Rüstungen der Reußen unentgeltlich zeigen dürfen. Ab dem 1. Dezember stehen diese grundsätzlich der Erbengemeinschaft zu. Dann entscheidet die Thüringer Landesfinanzdirektion darüber, welche Summe als Entschädigung beziehungsweise Leihgebühr angemessen ist, falls die Stücke überhaupt im Schloss verbleiben können. Holger Nowak meint, sein Thüringer Museumsverband hätte jahrelang gewarnt.
    "20 Jahre sind eine lange Frist. Der 30. November ist ein Schlusspunkt in dieser Entwicklung. Und wer da nicht reagiert hat, der wird seine Magazine und vielleicht auch seine Ausstellung öffnen müssen und wird Stücke verlieren."
    Nun führt das Landratsamt Schleiz fieberhaft Verhandlungen mit den Nachfahren des Hauses Reuß, die als schwierige Verhandlungspartner gelten. Beide Parteien haben sich zum Schweigen in der Öffentlichkeit verpflichtet. Und auf Schloss Burgk hofft man, dass am 1. Dezember weder Lastwagen noch Rechtsanwälte vor der schweren Schloss-Tür stehen.