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Entführung, Folter, Gehirnwäsche

Menschenrechtsfragen überschatteten den Besuch der Kanzlerin in China. Ein prominenter Bürgerrechtsanwalt wurde an einem Treffen mit ihr gehindert. Die Willkür der Behörden habe zugenommen, klagen Menschenrechtler und erzählen von ihren brutalen Erfahrungen.

Von Ruth Kirchner |
    Anwalt Jiang Tianyong sitzt wieder in seinem kleinen Büro in einem gesichtslosen Hochhaus im Westen Peking. Aber die zwei Monate, die er im vergangenen Jahr an unbekannten Orten festgehalten wurde, haben Spuren hinterlassen. Wochenlang wusste Jiangs Familie nicht, wo er war oder ob er noch lebte. Er war eines Nachmittags quasi entführt worden, wurde mit einem Sack über den Kopf an einen unbekannten Ort gebracht. Er wurde geschlagen, stundenlang verhört und bedroht, erzählt er.

    "Während sie mich befragt haben, wurde ich geschlagen. Während sie sprachen, blieben ihre Hände nie untätig. Dann musste ich tagelang regungslos auf einem Stuhl sitzen und eine Wand anstarren. Die Hände auf den Knien. Wenn mein Kopf runtersackte, wurde ich angeschrien."

    Nie wurde Jiang offiziell verhaftet oder angeklagt. Doch in der wochenlangen Isolation warf man ihm all seine Aktivitäten der letzten Jahre vor: Interviews mit ausländischen Journalisten, seinen Einsatz als Anwalt für Aktivisten, seine Kontakte mit Exil-Tibetern. Der psychische Druck und die endlosen Versuche, ihn mürbezumachen, hätten ihn fast um den Verstand gebracht, sagt Jiang.

    "Das Schlimmste ist der Verlust der Freiheit. Das Zweitschlimmste die physische Folter. Und das Dritte die Gehirnwäsche. Ihre Logik ist, dass Schwarz jetzt Weiß ist. Aber es reicht nicht, dass Du das nachbetest. Du musst dann erklären, warum schwarz jetzt weiß ist. Dieser Prozess machte mich total wahnsinnig."

    Hunderte von Seiten von Selbstkritiken und Geständnissen musste Jiang schreiben, musste immer wieder erklären, warum er falsche Gedanken gehabt habe. Und musste versprechen, mit niemandem über seine Erfahrungen zu reden. Um endlich freizukommen, um seine Frau und seine Tochter wiederzusehen, hat Jiang schließlich unterschrieben. Insgesamt acht Zusagen. An keine will er sich halten.

    "Der beste Weg die Angst zu überwinden, ist über die Angst und Deine Erfahrungen zu sprechen. Nur dann werden auch andere den Mut haben, ihre Angst zu überwinden. Nur wenn Du keine Angst hast und aktiv wirst, werden auch andere mutig und aktiv werden."

    Nicht alle sind so mutig wie er. Andere Anwälte, kritische Intellektuelle oder Aktivisten sind verstummt - aus Furcht vor weiteren Repressalien. Anlass für die vielen Verhaftungen und Verschleppungen im letzten Jahr waren die anonymen Aufrufe zu Jasmin-Protesten nach arabischem Vorfeld. Doch auch jetzt lässt der Druck nicht nach. Allein in den letzten zwei Monaten wurden drei Dissidenten zu langjährigen Haftstrafen von 9 und 10 Jahren verurteilt - meist wegen Internetartikeln, in denen sie zu mehr Demokratie aufgerufen hatten. Anwalt Jiang fühlt sich hilflos.

    "Derzeit handeln sie nach ihrem eigenen Willen. Chinas rechtliche Institutionen haben sich rückwärts entwickelt. Durch ihr Handeln zeigen die Herrscher den Menschen, dass das Recht völlig sinnlos ist. Es kann niemanden schützen. Das Recht ist ein Werkzeug und ein Vorwand der Mächtigen."

    Ein Wandel ist nicht abzusehen. Denn im Herbst steht der große Parteitag der KP an, bei dem der Führungswechsel eingeleitet werden soll. Das macht die Regierung schon jetzt extrem nervös. Die meisten Anwälte und Bürgerrechtler rechnen daher damit, dass es bis dahin keine Lockerung geben wird. Im Gegenteil.