"Das Problem bei mir war, ich ging auf eine normale Grundschule. Aber da ich kein Deutsch konnte, weil bei mir zu Hause nur Romanes gesprochen wurde, worauf die dachten: Er macht nicht mit, meldet sich nie, macht keine Hausaufgaben, bleibt immer nur ruhig – ist der vielleicht geistig behindert? Machen wir einen Test!"
Nenad Mihailowitsch bleibt immer freundlich und nachdenklich, wenn er von seiner - man darf sagen: gründlich schief gelaufenen Schullaufbahn - erzählt. Ein Test in der Bayrischen Grundschule stellte vor 13 Jahren die Weichen in Richtung Förderschule:
"Ich hab den Test gemacht ohne Dolmetscher ohne Übersetzer, aber soweit ich das weiß, konnte ich damals noch kein Deutsch. Nichts. Und da hat sich herausgestellt: Ich hab einen IQ von 59. Und dann haben die mich auf eine Schule eingestuft für geistige Entwicklung."
Förderbedarfe müssen regelmäßig überprüft werde
Daran ändert auch ein Umzug der Familie nach Nordrhein-Westfalen nichts: Einmal in der falschen Schublade gelandet, schaute niemand mehr richtig hin.
"Da die ja Schwarz-auf-Weiß etwas haben, was besagt, ich sei geistig behindert, dachten die ich wäre ernsthaft geistig behindert."
"Aber laut Recht und Gesetz müssen sonderpädagogische Förderbedarfe einmal pro Jahr überprüft werden", stellt EvaThoms vom Kölner Elternverein "Mittendrin" klar.
"Also spätestens nach einem, allerspätestens nach zwei Jahren hätte auffallen müssen, dass er da nicht richtig ist und dass er in eine andere Schule gehört."
Solche Überprüfungen haben laut Schulakten auch stattgefunden, weiß sie aus Gesprächen mit den zuständigen Sonderpädagogen. Dass etwas an der Diagnose "geistige Behinderung" nicht stimme, sei dabei durchaus aufgefallen: Denn Nenad lerne schnell und rede flüssig. Sie aber waren der Meinung, dass er an einer anderen Schule untergehen würde.
"Es wurde gesagt, dass er familiäre Schwierigkeiten hatte, dass er persönlich instabil war. Und meine Überzeugung ist: Es kann nicht sein, dass man weil jemand schwierige Familienverhältnisse hat, jemand im Förderschwerpunkt geistige Entwicklung belässt."
Viele Sinti- und Romaschüler haben keinen Schulabschluss
Genau dies aber scheint die Regel zu sein. Das belegt eine Bildungsstudie des Verbandes deutsche Sinti und Roma aus 2011. Demnach wird für Kinder aus Sinti und Romafamilien mehr als zweimal so häufig die Förderschule festgelegt. Und fast jeder zweite Sinti und Romaschüler hat am Ende keinen Schulabschluss - und damit nahezu keine Aussicht auf eine Berufsausbildung.
Nenad - mittlerweile in der Pubertät - weiß genau, dass er nicht in die Förderschule gehört und wehrt sich verzweifelt:
"Man lernt dort gar nichts. Und dann hatte ich auch kein Bock mehr gehabt. Dann hab ich oft im Unterricht gefehlt. Ich hatte sehr viele Missverständnisse, sehr hohe Konflikte dort. Und ich als 12-Jähriger wusste nicht, wie man handeln sollte."
Erst Kurt Holl vom Kölner Verein Rom e.V. erkennt schließlich das Potenzial des Jungen und beschließt einzugreifen. Denn für Nenad wird’s eng. Mit 18 endet die Schulpflicht – ein passender Schulabschluss würde dann in weite Ferne rücken. Seine Unterstützer wenden einen Trick an: Beim Vorstellungsgespräch an einem Kölner Berufskolleg verschweigen sie, dass Nenad von einer Schule für geistige Entwicklung kommt. Erstmals kann er frei aufspielen - und überzeugt den Schulleiter.
Abschluss als Klassenbester
"Der sagte, ok, wir nehmen Sie auf. Ich so: Yes! Yes! Die haben mich sofort angenommen."
Am Kolleg für kaufmännische Berufe bekommt der angeblich lernschwache Förderschüler in den Monaten danach die Unterstützung, die er braucht. Er muss viel nachholen. Englisch hat er nie gehabt und in Mathe gerade die Grundrechenarten gelernt. Aber Nenad greift zu:
"Und dann hab ich es geschafft als Klassenbester. Mit dem Durchschnitt von 1,6. hab sogar ne Urkunde bekommen dafür und: 20 Euro. Hab ich mich gefreut!"
Jetzt soll Nenad weitermachen bis zur mittleren Reife, empfehlen seine Lehrer, und dann einen kaufmännische Ausbildungsplatz finden. Einfach wird das nicht mit diesem Lebenslauf, der immer erklärt werden muss. Auch deshalb will der 19-Jährige, der nie auf eine Förderschule gehörte, jetzt gegen das Land NRW und den Freistaat Bayern klagen. Es wäre eine Musterklage:
"Weil, was die mit mir gemacht haben, war wirklich enorm ungerecht."
"Wenn das vor Gericht verhandelt wird, dürfte das ein Signal in Richtung Sonderschulen im Land sein, dass man wirklich genau hinschauen muss und dass sowas nicht wieder passieren darf."