Das Jahr 1930 beginnt vielversprechend für das Bauhaus. Designer aus Dessau sind gesucht, die Industrie produziert in Lizenz Stoffe, Lampen, Möbel und Tapeten. Und im Stadtteil Törten haben gegen die Auswirkungen der Weltwirtschaftskrise Bauhaus-Studenten eine soziale Mustersiedlung mit 90 preiswerten sogenannten Volkswohnungen errichtet – unter neuer Leitung: Der Schweizer Hannes Meyer hatte 1927 die Architekturabteilung übernommen und im Jahr darauf Walter Gropius als Direktor abgelöst.
"Dieser Hannes Meyer aus der Genossenschaftsbewegung mit progressivem, sozial orientiertem Gedankengut kam ans Bauhaus, schloss sich der Arbeiterbewegung an, der Gewerkschaftsbewegung, eben dann als ein ganz anderer Bauhausdirektor, weil er ein auf sozialistische Entwicklung hin orientiertes Bauen beförderte."
Bernd Grönwald, damals Vizepräsident der DDR-Bauakademie, ehrte 1989 Meyer zum 100. Geburtstag mit einem Kolloquium. Zuvor war im Osten die Bauhaus-Bewegung als Ausgeburt "bürgerlicher" Ästhetik tabu. Im Westen hatte Bauhausgründer Walter Gropius die Erinnerung an den ungeliebten Nachfolger regelrecht gestrichen. Fortan galt das Bauhaus als Geburtsstätte der Moderne mit Flachdach und Fensterbändern. Philipp Oswalt, bis 2014 Leiter der Stiftung Bauhaus Dessau, korrigierte diese Sichtweise:
"Gerade auch Hannes Meyer hat genau diesen Formalismus dieser weißen Kuben, der großen Glasflächen sehr infrage gestellt. Und ich meine, diese Siedlung Dessau-Törten, da haben Sie dann von Hannes Meyer diese Laubenganghäuser als Ziegelbauten. Da denkt man: Also Bauhaus soll das jetzt hier sein? Die sind aber eigentlich von ihrer Konzeption viel moderner als die Gropius‘schen Reihenhäuser."
Kritik an der Arbeit von Gropius
In der denkmalgeschützten Architektur mit funktional durchdachten Grundrissen hat sich erhalten, was Hannes Meyer als Bauhaus-Direktor zum Programm erhob: "Volksbedarf statt Luxusbedarf."
Das Erbe des Bauhausgründers Walter Gropius bilanziert Meyer negativ: "Was fand ich bei meiner Berufung vor? Eine ‚Hochschule für Gestaltung‘, in welcher aus jedem Teeglas ein problematisch-konstruktivistelndes Gebilde gemacht wurde. Man saß und schlief auf der farbigen Geometrie der Möbel. Man bewohnte die gefärbten Plastiken der Häuser. Überall erdrosselte die Kunst das Leben."
Der neue Direktor führt wissenschaftlich fundierten Unterricht ein, systematische Bedarfsanalyse, zweckmäßige Konstruktion und rationalisierte Produktion. Auf Meyers konsequente Reform reagiert Gropius mit Intrigen. Er betreibt seine Entlassung unter den Bauhaus-Meistern, aber auch beim politisch verantwortlichen Dessauer Bürgermeister – hinter vorgehaltener Hand.
Meyer wurde von vielen Seiten attackiert
Ganz direkt attackieren ein "Kampfbund für Deutsche Kultur" und der in Thüringen als Bildungsminister amtierende Nationalsozialist Wilhelm Frick das Bauhaus als Hort des "Kunstbolschewismus" und fordern die sofortige Schließung. Gegen diese Angriffe setzt Meyer sich zur Wehr, daran erinnert Bernd Grönwald:
"Es gibt Zeiten, wo er hinter der Barrikade oder auf der Barrikade stand, weil er meinte, jetzt ist etwas wichtiger, als Hochhäuser und was weiß ich zu bauen: Jetzt gilt es, den Faschismus zurückzuschlagen und ein neues gesellschaftliches Konzept umzusetzen."
Dabei propagiert Meyer, der überzeugte Marxist, keine Glaubenslehren. Das bezeugte der Bauhaus-Student Fritz Winter, nach 1945 ein bedeutender Vertreter abstrakter Kunst:
"Die jungen Bauhäusler, die sich nur um die Malerei, um das Musische bemühten, die konnten ja frei arbeiten. Hingegen fand ich gerade das Engagement Hannes Meyers für uns sehr wichtig, dass wir doch auch eine politische Auffassung bekamen und uns damit auseinandersetzen müssen."
Meyer hatte nicht verhindert, dass einige seiner engagierten Studenten eine kommunistische Zelle gründeten. Im März 1930 aber ordnet er die Auflösung der kommunistischen Parteiorganisation an. Doch der als Liberaler ebenfalls unter Druck stehende Bürgermeister Fritz Hesse findet einen anderen Vorwand: Nachdem der Bauhausdirektor, ganz privat, streikende Bergarbeiter unterstützt hat, wird Hannes Meyer am 1. August 1930 entlassen.
Der Nachfolger, Ludwig Mies van der Rohe, muss anschließend erst einmal die Disziplin wiederherstellen – mithilfe der Polizei. So endet die Geschichte des Bauhausdirektors Hannes Meyer – in der Version von Walter Gropius.