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Entschädigung für Aborigines

Über 200 Jahre lang wurden Australiens Ureinwohner als Menschen zweiter Klasse behandelt. Über Jahrzehnte nahmen Regierung und Kirche Aborigine-Familien die Kinder weg und verschleppten sie zu Pflegefamilien oder Missionsstationen. Die Regierung Tasmaniens hat nun ein Zeichen gesetzt und der "stolen generation" Entschädigungszahlungen angeboten.

Von Andreas Stummer |
    Alles was Garry Maynard von seiner Familie geblieben ist sind ein paar vergilbte Schwarz-Weiß-Bilder in einem abgegriffenen Fotoalbum. Eine Aufnahme verrät, warum der 56-Jährige dunkle Haut aber rot-braune, gelockte Haare hat. Sie zeigt einen sommersprossigen, irischen Walfänger und ein Ureinwohnermädchen. Seine Eltern. Garry ist ein Mischling: Halb Aborigine, halb Europäer. Geboren 1952 auf Flinders Island, nördlich des australischen Inselstaates Tasmanien. Fünf Jahre lang ist das Eiland Garrys Zuhause. Doch dann wird der Junge zum hilflosen Spielball der rassistischen Ureinwohner-Politik Australiens.

    "Das Sozialamt hat mich ohne Vorwarnung im Oktober 1959 von der Insel wegbringen lassen. Ein Beamter kam in mein Klassenzimmer und nahm mich einfach mit. Wir flogen nach Tasmanien und ich lebte 21 Jahre lang bei einer weißen Familie. Sie hielten mich wie einen Sklaven. Und dafür bekamen sie auch noch Geld von der Regierung."

    Zu Beginn des 20. Jahrhunderts galten Australiens Ureinwohner als Menschen zweiter Klasse. Die frühere Sträflingskolonie sollte weiß bleiben, die "schwarzen Wilden" den Europäern angepasst werden. Ab 1910 werden Müttern in entlegenen Aborigine-Gemeinden ihre Kinder weggenommen und zur Umerziehung in Heime und christliche Missionsstationen gebracht. Staatlich erlaubtes Kidnapping, angeblich zum Wohl der Eingeborenen.

    Wochenschau: Aborigine-Kinder kommen in Heime:
    "Den Kindern wird beigebracht andere Ureinwohner zu meiden. Sie dürfen nur noch Englisch sprechen, ihre Aborigine-Namen werden geändert. Prügel, schwere, körperliche Arbeit und sexueller Missbrauch sind Alltag. Über einen Zeitraum von 70 Jahren – noch bis 1979 – werden mehr als 100.000 Mischlingskinder gegen ihren Willen in öffentliche Einrichtungen gebracht. Erst 1997 erfährt die australische Öffentlichkeit durch den Bericht einer Untersuchungskommission vom Schicksal der so genannten ‚gestohlenen Generationen’."

    Auf Protestmärschen im ganzen Land fordern Hunderttausende Entschädigung für die Opfer, viele der damals Verschleppten gehen vor Gericht. Doch ohne offizielle Entschuldigung der Regierung in Canberra werden alle Klagen abgewiesen.

    Auftritt: Paul Lennon. Der Labour-Premier des Provinz-Parlaments im australischen Inselstaat Tasmanien hat jetzt das nachgeholt, wozu die konservative Bundesregierung bisher nicht bereit war. Erst entschuldigt sich Lennon bei den damals in Tasmanien verschleppten Aborigine-Kindern. Dann macht er Schadensersatz für die Betroffenen und ihre Familien zum Gesetz.

    Lennon sprach von Aussöhnung und einem Schlussstrich unter die Vergangenheit, als er einen Fonds von drei Millionen Euro für Entschädigungszahlungen einrichtete. Der erste dieser Art in Australien. Anwalt und Aborigine-Aktivist Michael Mansell schätzt, dass etwa 150 Überlebende der gestohlenen Generationen in Tasmanien Anspruch auf Schadensersatz haben.

    "Der Streit um die Anerkennung der gestohlenen Generationen ist für die Ureinwohner Tasmaniens damit abgeschlossen. Jetzt müssen andere Staaten diesem Beispiel folgen. Aber den meisten Aborigine-Organisationen fehlen die Mittel, um politisch Druck zu machen. Deshalb werden viele Ureinwohner anderswo wohl leer ausgehen."

    Die Vertretungen weiterer australischer Staaten haben sich inzwischen für die Misshandlung der Urbevölkerung entschuldigt, eine finanzielle Entschädigung aber abgelehnt. Wie auch die konservative Bundesregierung. Premier John Howard beruft sich weiter auf die Gnade der späten Geburt.

    "Das dunkelste Kapitel in der Geschichte Australiens ist zweifellos die Behandlung der Ureinwohner unseres Landes. Wir bedauern aufrichtig, was den Aborigines in der Vergangenheit widerfahren ist. Aber heutige Generationen für die Taten ihrer Vorfahren schuldig zu sprechen und verantwortlich zu machen – das wäre falsch und ein Unrecht."

    Als die Europäer Ende des 18. Jahrhunderts begannen Australien zu kolonisieren, gingen sie mit grausamer Härte gegen die Urbevölkerung vor. Die Aborigines wurden gejagt, erschossen und vergiftet. Die damals 4000 Ureinwohner Tasmaniens setzten sich zur Wehr – und wurden binnen 70 Jahren fast völlig ausgerottet. Heute leben etwa 6000 ihrer Nachfahren auf der Insel, weniger als 200 sind Überlebende der gestohlenen Generationen.

    Eddie Thomas war drei Jahre alt, als er eines Nachts 1952 aus dem Schlaf gerissen und von seinem nord-tasmanischen Aborigine-Stamm in eine Mission der Hauptstadt Hobart gebracht wurde. Seine Mutter und seine Geschwister hat er nie wieder gesehen. Eddie ist einer der ersten, der von der tasmanischen Regierung entschädigt wird. Mit umgerechnet 25.000 Euro.

    "Es ist großartig, dass Tasmanien der erste Staat ist, der uns verschleppten Ureinwohnern eine Entschädigung ausbezahlt – aber Geld ist nicht alles. Der Verlust meiner Eltern, meiner Jugend und meiner Kultur ist damit nicht aufzuwiegen. Doch das Wichtigste ist, dass unser Leid dadurch anerkannt wird. Was uns widerfahren ist, darf nie wieder geschehen. Schon um unserer Kinder willen."