Grass: Es war eine überfällige Entscheidung. Das zieht sich ja nun über ein Jahr hin, dass die Stiftungssumme nicht da ist, die versprochene Summe von Seiten der Industrie und der Wirtschaft. Das hat ja leider zu dem Urteil in Amerika geführt. Eine der Begründungen war, dass die zugesagte Summe noch nicht eingezahlt sei. Ob diese amerikanische Entscheidung die Sache nun in eine günstigere Richtung befördert weis ich nicht, aber es ist gut, dass es geschehen ist. Vielleicht ist es auch geschehen, weil das angekündigte Machtwort des Kanzlers, was immer das bedeuten soll, bevorstand.
Remme: Nun hat man sich gerade bei dieser Problematik einen gewissen Pessimismus zugelegt angesichts von Versprechungen und Mitteilungen. Glauben Sie, das ist jetzt ein entscheidender Durchbruch?
Grass: Es ist entscheidend dafür, dass die Summe da ist, aber es ist nicht entscheidend für einen anderen Missstand, dass in dringenden Fällen, das heißt alte Menschen betreffend, die über 70 sind - wir wissen, dass da täglich welche sterben -, denen diese Hilfe nicht mehr zuteil wird. Was notwendig ist - das wäre der zweite und ganz wichtige Schritt -, dass endlich mit der Auszahlung dieser Mittel begonnen werden kann.
Remme: Wie schnell glauben Sie kann das gehen?
Grass: Das liegt nun wieder genau an dem Sekretär dieser Stiftung, einem Wolfgang Gibowski, der sich bis jetzt geweigert hat, zum Beispiel die rund vier Millionen Mark, die zusammengekommen sind durch einen Aufruf von Hartmut von Hemtig, Karola Stern und von mir, das sind private Kleinbeträge von 20 Mark und mehr, die zusammengekommen sind und die eigentlich gedacht waren dafür, dass man sofort helfen kann. Selbst dieses Geld, das wir auf das Stiftungskonto haben überweisen lassen, ist bisher nicht freigegeben worden.
Remme: Sie sagten es: dieser Aufruf stammt aus dem Juli vergangenen Jahres. Etwa vier Millionen Mark sind zusammengekommen. Halten Sie jetzt auch noch an dieser individuellen Beteiligung fest, an diesen 20 Mark, auch wenn die vereinbarte Summe zusammengekommen ist?
Grass: Das ist ja nicht geschehen, um die Wirtschaft zu entlasten, sondern eigentlich auch den Kreis derjenigen, die heute noch mit Verantwortung tragen, also auch Nachgeborene, die in keinerlei Verschuldung stecken, einzubeziehen. Da gibt es viele Menschen in Deutschland, die dieses Verantwortungsgefühl aufbringen. Die Stiftung heißt ja "Erinnerung, Verantwortung und Zukunft". Darauf haben sehr viele reagiert mit ihrer Spende und es kommen auch weiterhin Zusprachen. Ich merke es an meiner Korrespondenz, an Briefen, die eintreffen, die daran Interesse zeigen. Gleichzeitig ist natürlich das Interesse da, dass diese Mittel nicht blockiert werden durch Herrn Gibowski und die Stiftung, sondern ausgezahlt werden.
Remme: Herr Grass, auf der Suche nach Haken, die jetzt noch bleiben, wird man in dieser Erklärung schnell fündig. Die Stiftung beharrt nach wie vor auf Rechtssicherheit als Voraussetzung für die Auszahlung. Ist diese Forderung legitim?
Grass: Sie mag von mir aus legitim sein. Nur darf man das nicht mit der Auszahlung koppeln. Das halte ich für unanständig, denn die Menschen, die ohnehin unter der Zwangsarbeit zu leiden hatten, dürften nicht in Haft genommen werden für eine Gerichtsentscheidung oder für anstehende Gerichtsentscheidungen in Amerika. Das ist eine Sache, die die deutsche Wirtschaft in dem Fall mit den Vereinigten Staaten oder mit den Klägern dort ausmachen muss, und zwar unabhängig von der Stiftung. Ich halte das für unzulässig, dass man die Auszahlung dieser Mittel an die Opfer, an die Leidtragenden herauszögert mit dem Sicherheitsbedürfnis der deutschen Wirtschaft.
Remme: Die Gründungsmitglieder dieser Stiftung übernehmen also jetzt eine Garantie, selbst wenn bei der Sammelaktion die fünf Milliarden nicht zusammenkommen sollten. Das heißt es wird eine große Anzahl von Unternehmen geben, die sich erfolgreich gedrückt haben. Sollten die jetzt davonkommen oder muss der öffentliche Druck auf diese Firmen aufrecht erhalten werden?
Grass: Ich finde schon, ich finde schon. Es müsste also auch im Interesse des Bundesverbandes der Deutschen Industrie geschehen. Man darf ja nicht vergessen, dass diese Mittel, die fünf Milliarden, von der Steuer abgezogen werden können, dass der Steuerzahler in der Bundesrepublik nicht nur die fünf Milliarden übernimmt, die der Bund zahlt - die kommen ja aus Steuermitteln -, sondern auch noch ein Gutteil dessen, was die Wirtschaft zu leisten hat.
Remme: Wenn Sie in den vergangenen Monaten mit ehemaligen Zwangsarbeitern geredet haben, was hatten Sie für einen Eindruck, wie erleben diese das Hickhack um die Auszahlung?
Grass: Ich habe mit einigen während einer Veranstaltung gesprochen. Das sind Menschen über 70 Jahre, die eigentlich schon fast resigniert haben, weil sie in ihrem Bekanntenkreis gleichfalls Betroffene wissen, dass der eine oder andere krank ist oder demnächst sterben könnte und solche Fälle auch geschehen sind. Im Grunde sind sie fassungslos, dass dieses reiche Land Bundesrepublik Deutschland nicht in der Lage ist, etwas zu leisten, was ja nicht mit Wiedergutmachung gleichzusetzen ist. Dafür reicht die Summe nicht aus, die dann gezahlt wird. Aber eine Anerkenntnis der Verantwortung und der Schuld, die natürlich damit zusammenhängt, das wurde wohl erwartet und auch zurecht erwartet. Da ist das Verhalten von der deutschen Wirtschaft einfach etwas Unverständliches.
Remme: Herr Grass, glauben Sie diese gute Nachricht von gestern, diesen Prozess also nun doch voranzutreiben, möglicherweise die Auszahlung bald zu beginnen, hat nicht auch einen Nachteil, nämlich dass das Thema möglicherweise aus der Öffentlichkeit verschwindet und bald vergessen sein wird?
Grass: Das könnte die Folge sein, dass man sagt, jetzt ist Schluss und vorbei. Ich wünschte mir schon, dass die Menschen, denen man zurecht und leider viel zu spät eine wie auch immer angesetzte Summe auszahlt, doch auch die Möglichkeit haben, zum Beispiel im Krankheitsfall mit einer Fortsetzung der Zahlung zu rechnen. Das muss dann individuell entschieden werden. Ich glaube nicht, dass man mit dem Auszahlen dieser Summe einfach einen Schluss-Strich ziehen kann.
Remme: Deutschland und vor allem die deutsche Wirtschaft hat sich in dieser Frage in den vergangenen Jahren wahrlich nicht mit Ruhm bekleckert. Ist da dauerhafter Schaden für den Ruf Deutschlands im Ausland entstanden, Herr Grass?
Grass: Wir haben diese Standortfrage vor ein, zwei Jahren geführt und da ging es immer darum, dass die hohen Sozialleistungen in Deutschland dem Standort schaden könnten. Das war schon aberwitzig genug, weil dort die Arbeit von Menschen nur noch als Kostenfaktor angesehen wurde. Ich mache mir keine großen Sorgen um die Standortfrage. Das ist ganz gewiss ein Ansehensverlust der deutschen Wirtschaft, und welche Folgen das hat kann ich nicht beurteilen. Für mich ist es wichtiger zu sehen, dass es eine Reihe von Schülerinitiativen in der Bundesrepublik gibt, also ganz junge Menschen, die wirklich außerhalb jeder schuldhaften Verantwortung stehen, die sich dennoch verantwortlich sehen und die gerade in Sachen dieser Stiftungsinitiative und zu Gunsten von ehemaligen Zwangsarbeitern aktiv geworden sind. Das halte ich für wichtiger für den Standort Deutschland als das Fehlverhalten der Wirtschaft.
Remme: So weit die Meinung von Günter Grass.
Link: Interview als RealAudio
Remme: Nun hat man sich gerade bei dieser Problematik einen gewissen Pessimismus zugelegt angesichts von Versprechungen und Mitteilungen. Glauben Sie, das ist jetzt ein entscheidender Durchbruch?
Grass: Es ist entscheidend dafür, dass die Summe da ist, aber es ist nicht entscheidend für einen anderen Missstand, dass in dringenden Fällen, das heißt alte Menschen betreffend, die über 70 sind - wir wissen, dass da täglich welche sterben -, denen diese Hilfe nicht mehr zuteil wird. Was notwendig ist - das wäre der zweite und ganz wichtige Schritt -, dass endlich mit der Auszahlung dieser Mittel begonnen werden kann.
Remme: Wie schnell glauben Sie kann das gehen?
Grass: Das liegt nun wieder genau an dem Sekretär dieser Stiftung, einem Wolfgang Gibowski, der sich bis jetzt geweigert hat, zum Beispiel die rund vier Millionen Mark, die zusammengekommen sind durch einen Aufruf von Hartmut von Hemtig, Karola Stern und von mir, das sind private Kleinbeträge von 20 Mark und mehr, die zusammengekommen sind und die eigentlich gedacht waren dafür, dass man sofort helfen kann. Selbst dieses Geld, das wir auf das Stiftungskonto haben überweisen lassen, ist bisher nicht freigegeben worden.
Remme: Sie sagten es: dieser Aufruf stammt aus dem Juli vergangenen Jahres. Etwa vier Millionen Mark sind zusammengekommen. Halten Sie jetzt auch noch an dieser individuellen Beteiligung fest, an diesen 20 Mark, auch wenn die vereinbarte Summe zusammengekommen ist?
Grass: Das ist ja nicht geschehen, um die Wirtschaft zu entlasten, sondern eigentlich auch den Kreis derjenigen, die heute noch mit Verantwortung tragen, also auch Nachgeborene, die in keinerlei Verschuldung stecken, einzubeziehen. Da gibt es viele Menschen in Deutschland, die dieses Verantwortungsgefühl aufbringen. Die Stiftung heißt ja "Erinnerung, Verantwortung und Zukunft". Darauf haben sehr viele reagiert mit ihrer Spende und es kommen auch weiterhin Zusprachen. Ich merke es an meiner Korrespondenz, an Briefen, die eintreffen, die daran Interesse zeigen. Gleichzeitig ist natürlich das Interesse da, dass diese Mittel nicht blockiert werden durch Herrn Gibowski und die Stiftung, sondern ausgezahlt werden.
Remme: Herr Grass, auf der Suche nach Haken, die jetzt noch bleiben, wird man in dieser Erklärung schnell fündig. Die Stiftung beharrt nach wie vor auf Rechtssicherheit als Voraussetzung für die Auszahlung. Ist diese Forderung legitim?
Grass: Sie mag von mir aus legitim sein. Nur darf man das nicht mit der Auszahlung koppeln. Das halte ich für unanständig, denn die Menschen, die ohnehin unter der Zwangsarbeit zu leiden hatten, dürften nicht in Haft genommen werden für eine Gerichtsentscheidung oder für anstehende Gerichtsentscheidungen in Amerika. Das ist eine Sache, die die deutsche Wirtschaft in dem Fall mit den Vereinigten Staaten oder mit den Klägern dort ausmachen muss, und zwar unabhängig von der Stiftung. Ich halte das für unzulässig, dass man die Auszahlung dieser Mittel an die Opfer, an die Leidtragenden herauszögert mit dem Sicherheitsbedürfnis der deutschen Wirtschaft.
Remme: Die Gründungsmitglieder dieser Stiftung übernehmen also jetzt eine Garantie, selbst wenn bei der Sammelaktion die fünf Milliarden nicht zusammenkommen sollten. Das heißt es wird eine große Anzahl von Unternehmen geben, die sich erfolgreich gedrückt haben. Sollten die jetzt davonkommen oder muss der öffentliche Druck auf diese Firmen aufrecht erhalten werden?
Grass: Ich finde schon, ich finde schon. Es müsste also auch im Interesse des Bundesverbandes der Deutschen Industrie geschehen. Man darf ja nicht vergessen, dass diese Mittel, die fünf Milliarden, von der Steuer abgezogen werden können, dass der Steuerzahler in der Bundesrepublik nicht nur die fünf Milliarden übernimmt, die der Bund zahlt - die kommen ja aus Steuermitteln -, sondern auch noch ein Gutteil dessen, was die Wirtschaft zu leisten hat.
Remme: Wenn Sie in den vergangenen Monaten mit ehemaligen Zwangsarbeitern geredet haben, was hatten Sie für einen Eindruck, wie erleben diese das Hickhack um die Auszahlung?
Grass: Ich habe mit einigen während einer Veranstaltung gesprochen. Das sind Menschen über 70 Jahre, die eigentlich schon fast resigniert haben, weil sie in ihrem Bekanntenkreis gleichfalls Betroffene wissen, dass der eine oder andere krank ist oder demnächst sterben könnte und solche Fälle auch geschehen sind. Im Grunde sind sie fassungslos, dass dieses reiche Land Bundesrepublik Deutschland nicht in der Lage ist, etwas zu leisten, was ja nicht mit Wiedergutmachung gleichzusetzen ist. Dafür reicht die Summe nicht aus, die dann gezahlt wird. Aber eine Anerkenntnis der Verantwortung und der Schuld, die natürlich damit zusammenhängt, das wurde wohl erwartet und auch zurecht erwartet. Da ist das Verhalten von der deutschen Wirtschaft einfach etwas Unverständliches.
Remme: Herr Grass, glauben Sie diese gute Nachricht von gestern, diesen Prozess also nun doch voranzutreiben, möglicherweise die Auszahlung bald zu beginnen, hat nicht auch einen Nachteil, nämlich dass das Thema möglicherweise aus der Öffentlichkeit verschwindet und bald vergessen sein wird?
Grass: Das könnte die Folge sein, dass man sagt, jetzt ist Schluss und vorbei. Ich wünschte mir schon, dass die Menschen, denen man zurecht und leider viel zu spät eine wie auch immer angesetzte Summe auszahlt, doch auch die Möglichkeit haben, zum Beispiel im Krankheitsfall mit einer Fortsetzung der Zahlung zu rechnen. Das muss dann individuell entschieden werden. Ich glaube nicht, dass man mit dem Auszahlen dieser Summe einfach einen Schluss-Strich ziehen kann.
Remme: Deutschland und vor allem die deutsche Wirtschaft hat sich in dieser Frage in den vergangenen Jahren wahrlich nicht mit Ruhm bekleckert. Ist da dauerhafter Schaden für den Ruf Deutschlands im Ausland entstanden, Herr Grass?
Grass: Wir haben diese Standortfrage vor ein, zwei Jahren geführt und da ging es immer darum, dass die hohen Sozialleistungen in Deutschland dem Standort schaden könnten. Das war schon aberwitzig genug, weil dort die Arbeit von Menschen nur noch als Kostenfaktor angesehen wurde. Ich mache mir keine großen Sorgen um die Standortfrage. Das ist ganz gewiss ein Ansehensverlust der deutschen Wirtschaft, und welche Folgen das hat kann ich nicht beurteilen. Für mich ist es wichtiger zu sehen, dass es eine Reihe von Schülerinitiativen in der Bundesrepublik gibt, also ganz junge Menschen, die wirklich außerhalb jeder schuldhaften Verantwortung stehen, die sich dennoch verantwortlich sehen und die gerade in Sachen dieser Stiftungsinitiative und zu Gunsten von ehemaligen Zwangsarbeitern aktiv geworden sind. Das halte ich für wichtiger für den Standort Deutschland als das Fehlverhalten der Wirtschaft.
Remme: So weit die Meinung von Günter Grass.
Link: Interview als RealAudio