Stichwahl
Entscheidende zweite Runde der Parlamentswahl in Frankreich läuft

In Frankreich hat die entscheidende zweite Runde der Parlamentswahl begonnen. Am vergangenen Sonntag waren in 76 Wahlkreisen die Mandate vergeben worden, nachdem ein Kandidat oder eine Kandidatin die absolute Mehrheit der abgegebenen Stimmen erreicht hatte. In den übrigen 501 Wahlkreisen wird heute per Stichwahl darüber entschieden, wer einen Sitz in der Nationalversammlung erhält.

    Ein Mann gibt seine Stimme in einem Wahllokal in Rennes ab.
    Ein Wahllokal in Rennes im Westen Frankreichs. (Jeremias Gonzalez / AP / dpa / Jeremias Gonzalez)
    An der Stichwahl teilnehmen dürfen alle Kandidaten, die in der ersten Runde die Stimmen von mindestens 12,5 Prozent der eingeschriebenen Wähler bekommen hatten. Wegen der hohen Wahlbeteiligung bei der ersten Runde von mehr als 65 Prozent hatten sich in gut 300 Wahlkreisen je drei Kandidaten qualifiziert, in einigen wenigen sogar vier Kandidaten.

    Taktisch gegen den RN

    Bis zum Ablauf der Frist am Dienstag entschieden sich mehr als 200 drittplatzierte Kandidaten des Regierungslagers und des links-grünen Wahlbündnisses Neue Volksfront zu einem taktischen Rückzug. Sie wollen so die Chancen rechtspopulistischer Kandidaten auf einen Wahlsieg verringern.
    Im ersten Wahlgang am vergangenen Sonntag war der rechtsnationalistische Rassemblement National (RN) mit rund 33 Prozent stärkste Kraft geworden. Dahinter folgten das Linksbündnis und das Mitte-Lager von Präsident Macron.
    Im Zentrum der Stichwahl steht die Frage, ob der RN die absolute Mehrheit gewinnen kann. Entgegen früherer Prognosen sehen letzte Umfragen keine absolute Mehrheit mehr für die von Marine Le Pen geführte Partei. Demnach kämen die Rechtsnationalen und ihre Verbündeten auf 205 bis 240 Sitze. Sie würden zwar stärkste Kraft werden, die absolute Mehrheit von 289 Sitzen in der Nationalversammlung aber deutlich verfehlen. 
    Das eigens für die vorgezogene Parlamentswahl gebildete neue Linksbündnis aus Grünen, Sozialisten, Kommunisten und Linkspartei käme demnach auf Rang zwei, das Mitte-Lager von Präsident Emmanuel Macron müsste laut den Umfrageinstituten eine demütigende Niederlage kassieren und landete auf Rang drei. 

    Verlässliche Hochrechnungen ab 20 Uhr

    In Frankreich gibt es keine Briefwahl. Wähler können jedoch eine Vollmacht ausstellen und eine Vertrauensperson für sich wählen lassen. Dafür müssen sie sich vorher auf einer beliebigen Polizeiwache ausweisen. Insgesamt sind knapp 50 Millionen Französinnen und Franzosen zur Wahl aufgerufen.
    Die meisten Wahllokale schließen um 18 Uhr, in Paris und einigen anderen Großstädten bleiben sie bis 20 Uhr geöffnet. Dies hat zur Folge, dass um 20 Uhr bereits relativ verlässliche Hochrechnungen vorliegen dürften. Entscheidend ist nicht der Anteil an den Gesamtstimmen, sondern die Zahl der gewonnenen Wahlkreise. Für eine absolute Mehrheit sind 289 von 577 Sitzen notwendig.

    Macron vor einem Scherbenhaufen?

    Offen ist, wie es weitergeht, sollte der Schulterschluss gegen den RN tatsächlich funktionieren. Ein solcher Schutzwall gegen die extreme Rechte wird in Frankreich nicht zum ersten Mal praktiziert. Ob er zu einer tragfähigen Regierung führen wird, ist jedoch ungewiss. Denn die übrigen Lager - einschließlich der wiedererstarkten Sozialisten - haben bereits klargemacht, dass sie nicht in einer Art nationaler Koalition miteinander regieren wollen. Dann könnte die aktuelle Regierung als Übergangsregierung im Amt bleiben oder eine Expertenregierung eingesetzt werden.
    Das Macron-Bündnis könnte nach dem Poker des Präsidenten um mehr Macht mit der vorgezogenen Parlamentswahl vor einem Scherbenhaufen stehen und im Parlament nur noch in stark reduzierter Zahl vertreten sein. Neue Vorhaben könnte eine Regierung ohne Mehrheit nicht auf den Weg bringen. Frankreich droht damit ein politischer Stillstand.
    Macron hatte nach dem Sieg von Le Pens Rassemblement National bei der Europawahl Anfang Juni die Nationalversammlung aufgelöst und eine Neuwahl angekündigt. Die Nationalversammlung ist eine von zwei französischen Parlamentskammern. Sie ist an der Gesetzgebung beteiligt und kann per Misstrauensvotum die Regierung stürzen.

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    Diese Nachricht wurde am 07.07.2024 im Programm Deutschlandfunk gesendet.