Der Gesundheitsschutz ist nach dem Urteil des Stuttgarter Verwaltungsgerichts höher zu bewerten als Interessen der Dieselfahrer. Das Land dürfe sich nicht darauf verlassen, dass die Industrie handele. Fahrverbote seien das wirksamste Mittel, um die seit Jahren hohe Belastung mit giftigem Stickstoffdioxid zu vermindern. Die Richter verurteilten das Land Baden-Württemberg dazu, den neuen Luftreinhalteplan für Stuttgart zu überarbeiten, weil dieser die Luft nicht schnellstmöglich verbessere. Dazu sei das Land aber verpflichtet. Zwar enthalte auch der vorgelegte Plan Fahrverbote, diese seien aber nicht umfassend genug.
Erfolg für die Deutsche Umwelthilfe
Geklagt hatte die Deutsche Umwelthilfe (DUH). Sie wollte erreichen, dass die Landesregierung in Stuttgart wegen gesundheitsgefährdender Stickoxide ein komplettes Fahrverbot für Diesel-Fahrzeuge verhängt, selbst wenn diese der Euro-6-Norm entsprechen. Ob und wann die Fahrverbote tatsächlich kommen, gilt als offen. Der Rechtsstreit könnte zunächst vor dem Bundesverwaltungsgericht weitergehen.
Die DUH sieht in dem Urteil aber ein Signal, dass schmutzige Diesel-Autos keine Zukunft mehr haben. "Ab dem 1. Januar 2018 werden wir nicht mehr um Fahrverbote herumkommen", sagte der Geschäftsführer der Umwelthilfe, Jürgen Resch,
im Deutschlandfunk
. Das Gericht habe ganz klar gesagt, dass Software-Lösungen nicht ausreichten. Beim geplanten Diesel-Gipfel müsse herauskommen, dass künftig nur noch Autos in die Städte dürften, die die Euro-6-Norm erfüllten. Damit hätte die Industrie eine technische Vorgabe, die umsetzbar sei. Resch beklagte, dass sich die Umwelthilfe seit 22 Monaten vergeblich um einen Termin bei Verkehrsminister Alexander Dobrindt bemühe. "Wir müssen über Gerichte und die Öffentlichkeit gehen."
Dobrindt: "Werden uns das Urteil genau anschauen"
Dobrindt sagte nach der Entscheidung des Verwaltungsgerichts: "Wir werden uns das Urteil sehr genau anschauen". Er wies aber darauf hin, dass das Gericht die Maßnahmen, die er kommende Woche auf dem Diesel-Gipfel mit Autoherstellern möglicherweise verabreden werde, noch nicht berücksichtigen konnte.
Klar sei, dass man weiter auf Nachrüstungen von Diesel-Fahrzeugen setzen werde: "Wenn ich die Möglichkeit habe, den Stickoxid-Ausstoß an der Quelle zu reduzieren, warum sollte ich es nicht tun?" Umrüstungen müssten natürlich von der Industrie finanziert werden. Der Diesel und der fossile Verbrennungsmotor werde aber auf Dauer nicht die Lösung sein. "Ich bin mir sicher, dass wir mit mehr Dynamik in die Elektromobilität gehen müssen", sagte Dobrindt.
Umweltministerin Hendricks sieht sich bestätigt
Bundesumweltministerin Hendricks sagte, das Urteil bestätige ihre Auffassung, dass es hohe Zeit sei, dass die Automobilindustrie in eigener Verantwortung dafür sorge, dass es nicht zu Fahrverboten komme. "Ich habe eigentlich immer davor gewarnt, dass man nicht einfach so weiter machen kann", so Hendricks. "Die Automobilindustrie und auch der Kollege Verkehrsminister hätten sicherlich ein bisschen früher auf mich hören können."
Grünen-Fraktionsvize Krischer
sprach im Deutschlandfunk
von einem wegweisenden Urteil, das den Gesundheitsschutz ganz nach vorne stelle. Die Bundesregierung und die Autoindustrie müssten nun rasch Lösungen finden. Den Besitzern von Diesel-Fahrzeugen stehe eine Entschädigung durch die Hersteller zu, betonte Krischer.
Landesregierung von Fahrverboten abgewichen
Ursprünglich waren in einem Luftreinhalteplan für Stuttgart teilweise Fahrverbote geplant. Mittlerweile setzt die Landesregierung aber darauf, dass eine Nachrüstung älterer Diesel-Autos ausreicht. "Wir wollen Fahrverbote in Stuttgart vermeiden - und ich bin zuversichtlich, dass das gelingt", sagte Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) vor dem Urteil.
Zu hohe Belastungen in Dutzenden Städten
Für die Entscheidung des Stuttgarter Verwaltungsgerichts dürften sich auch andere deutsche Großstädte interessieren, die ähnliche Probleme haben. In fast 50 Städten hat das Umweltbundesamt im vergangenen Jahr zu hohe Belastungen gemessen, häufig aber nur an einzelnen Straßen oder Plätzen.
Auch in München wird gerade über Fahrvebote für Dieselautos diskutiert. Nach einer Entscheidung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs muss das Land Bayern bis Ende des Jahres ein Konzept vorlegen, wie die Grenzwerte eingehalten werden können. Insgesamt hat die Deutsche Umwelthilfe gegen die Luftreinhaltepläne von mehr als zwei Dutzend Städten vor Verwaltungsgerichten geklagt.
Stickoxide gelangen aus Verbrennungsprozessen zunächst meist in Form von Stickstoffmonoxid in die Atmosphäre. Dort reagieren sie mit dem Sauerstoff in der Luft auch zum giftigen Stickstoffdioxid. Er kann Schleimhäute angreifen, zu Atemproblemen und Augenreizungen führen sowie Herz und Kreislauf beeinträchtigen. Nach Zahlen der Europäischen Umweltagentur hat im Jahr 2012 Stickstoffdioxid in Deutschland 10.400 Todesfälle verursacht.
(wes/nch/jasi)