Monika Dittrich: Andreas Speit ist Journalist und Buchautor, seit vielen Jahren recherchiert er in der rechten Szene. Ihn habe ich gefragt, was ein Verbot der mittlerweile so geschwächten NPD überhaupt noch soll.
Andreas Speit: Die Partei ist in der Tat stark angeschlagen, aber ich würde wirklich warnen, die Partei schon abzuschreiben. Die Partei hat viele, viele Krisen hinter sich gebracht und eben auch viele, viele Krisen überlebt und überstanden, und hier gilt ein wenig das Motto: Totgesagte leben länger. Und ich befürchte sogar, dass der NPD entgegenkommt, dass sie zurzeit kaum wahrgenommen wird, weil man so den Eindruck hat, dass sie gar nicht politisch aktiv wäre – das ist aber nicht der Fall.
Dittrich: Halten Sie es denn noch für möglich, dass die Verfassungsrichter die NPD am Dienstag verbieten werden?
Speit: Ich denke, da sollten wir abwarten, denn es ist ja zu berücksichtigen, dass das Urteil wirklich auch eine Signalwirkung nicht nur für die NPD hat, sondern für die gesamte bundesdeutsche Gesellschaft und vor allem für die rechtsextreme Szene. Wird die NPD nicht verboten, ist der Rahmen nicht aufgezeigt worden, inwieweit man sich rechts in der Bundesrepublik bewegen kann, ohne dass es strafrechtlich relevant wird.
Dittrich: Welche Kriterien müssen denn überhaupt erfüllt sein, damit eine Partei verboten werden kann?
Speit: Na ja, bei der NPD muss nachgewiesen werden, dass sie eben wirklich die demokratische Grundordnung infrage stellt und sie auch wirklich gefährden könnte. Und hier sind natürlich zurzeit wirklich Zweifel angebracht, weil die NPD nicht sehr stark aufgestellt ist.
Dittrich: Wie gefährlich ist sie denn?
Speit: Das kommt drauf an, wie man das Themenfeld beleuchtet. Wenn man das nur auf der parlamentarischen Ebene sieht, könnte man eigentlich sagen, die NPD ist zurzeit in keinem Landtag, sie hat circa 300 bis 400 kommunale Mandate – manche kommunale Mandate hat sie in Bündnissen mit anderen rechten Gruppen zusammen, darum kann man die Zahl so schwer benennen. Tatsächlich, auf der parlamentarischen Ebene, ist sie schlecht aufgestellt, aber in bestimmten Regionen der Bundesrepublik, und nicht nur in Ostdeutschland, ist sie eine kommunale Größe. Und gerade im Verbotsantrag ist ja herausgearbeitet worden, dass sie in bestimmten Regionen auch wirklich Ängste verbreitet, dort Menschen auch nötigt, sich politisch beispielsweise zurückzuziehen, wie wir es von einigen Bürgermeistern kennen, oder dass auch Menschen, die Flüchtlingen helfen, offen bedroht werden.
"Wenn Rechtspopulisten antreten, verlieren rechtsextreme Parteien"
Dittrich: Sagen wir mal, die NPD wird verboten, dann gehen die Mitglieder und Wähler eben zur AfD, oder?
Speit: Die NPD hat bei den letzten Wahlen tatsächlich immer wieder schon Wähler an die AfD verloren, das ist auch ein europaweiter Trend, den wir immer wieder erleben – wenn Rechtspopulisten antreten, verlieren rechtsextreme Parteien. Und natürlich hat es die NPD auch gerade sehr schwer, weil sie eben ihr Alleinstellungsmerkmal Rassismus seit Jahren nun verloren hat, zum einen durch die rechtspopulistische Partei AfD, aber eben auch durch radikalere Kräfte wie "Der dritte Weg" oder eben die Partei "Die Rechte", die sozusagen vom radikaleren Spektrum heraus die Partei bedrängt.
"Die AfD hat eine ganz andere Wirkungsmacht"
Dittrich: Wer ist denn gefährlicher, die NPD oder die AfD?
Speit: Die AfD hat eine ganz andere Wirkungsmacht. Sie längst den Sprach- und auch Wahlraum nach weit, weit rechts mehr geöffnet, als es jemals die NPD geschafft hat, aber die NPD ist natürlich durch ihre Militanz und ihre Radikalität auch jemand, der in einer anderen Form den alltäglichen Straßenterror von rechts mit angeheizt hat.
Dittrich: Was denken Sie, wie groß ist das rechtsextreme oder auch rechtspopulistische Potenzial in Deutschland?
Speit: Studien belegen seit etlichen Jahren, dass das rechtspopulistische Spektrum in der Bundesrepublik bei circa 20 Prozent liegt. Das ist das, wo die Untersuchungen ergeben haben, wo Menschen ein geschlossenes rechtspopulistisches Weltbild haben.
Neuere Untersuchungen stellen aber auch fest, dass wenn einzelne Elemente rechtspopulistischen Denkens abgefragt werden – beispielsweise Einstellungen zu Muslimen oder zum Islam –, das Potenzial zwischen 40 und 50 Prozent von Interessierten liegt, die dann noch bereit wären, so eine Partei zu wählen.
Dittrich: Aber dieses Potenzial, dieses Spektrum, das ändert sich ja nicht, wenn eine Partei verboten wird.
Speit: Nein, dieses Spektrum ändert sich nicht, und wir wissen natürlich auch, falls die NPD verboten werden sollte, wird natürliches dieses Denken, das rechtsextreme Denken nicht verschwinden in der Mitte der Gesellschaft, genauso wenig wie das rechtspopulistische Denken in der Mitte der Gesellschaft verschwinden wird. Aber die Politik würde ein Zeichen setzen durch dieses Urteil: Bis hierhin und nicht weiter!
Und ich befürchte, wenn dieses Zeichen nicht gesetzt wird, dass noch mehr weit, weit rechts sich dann positioniert wird, als wir es jetzt erleben, und das hat ja auch schon längst Folgen: Wir haben einen exorbitanten Anstieg von rechtsextremen Straftaten – im Vergleich vom Jahr 2015 auf 2016 von 42 Prozent, da reden wir von 1.408 Straf- und Gewalttaten –, und da merkt man eben auch, wie wichtig es ist, in der Mitte der Gesellschaft heute ein Zeichen zu setzen: Bis hierhin geht rechtes Denken vielleicht, aber an dem Punkt nicht mehr.
"Es kann durchaus sein, dass ein gescheitertes Verbotsverfahren die NPD ermutigt"
Dittrich: Und für den Fall, dass auch das zweite Verbotsverfahren scheitern sollte, wie schlimm ist das für die etablierten Parteien, aber was bedeutet das dann auch für die rechte Szene in Deutschland?
Speit: Das können wir leider auch schon ein bisschen ahnen, weil wir ja ein gescheitertes Verbotsverfahren schon haben. Damals hatten die Sicherheitsorgane gesagt, na ja, gut, das Verfahren ist gescheitert, aber die V-Leute-, -Mann-Debatte, die es damals gegeben hätte, hätte die Partei so sehr belastet, dass die NPD dann infolgedessen handlungsunfähiger geworden wäre. Fakt ist: Danach hatte sie die ersten großen Landtagswahlerfolge.
Sie ahnen, worauf ich hinaus möchte: Es kann durchaus sein, dass ein gescheitertes Verbotsverfahren die NPD ermutigt, jetzt doch wieder offensiver, radikaler und in ihrer Logik konsequenter auf die Straße zu gehen, noch deutlicher ihre Forderung zu formulieren, weil sie sich jetzt gestärkt fühlen durch das gescheiterte Verfahren. Und dann ist auch zu befürchten, dass die NPD tatsächlich wieder stärker werden könnte, weil sie ist gerade so schwach, weil sie natürlich in den letzten Monaten aufgepasst hat, keine Beweise, keine Fakten zu liefern, die zu einem Verbot führen könnten.
Dittrich: Sagt der Journalist, Autor und Rechtsextremismus-Experte Andreas Speit. Am Dienstag urteilt das Bundesverfassungsgericht über den mittlerweile zweiten NPD-Verbots-Antrag, der erste war 2003 gescheitert.
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