"Das ist natürlich eine furchtbare Panne, die hier passiert ist. Für mich ist es unvorstellbar, dass mit einem so sensiblen Verfahren wie dem Parteiverbot mit einer Leichtfertigkeit vorgeht..." - Günter Beckstein -
Es ist auch die Geschichte eines Staates, der stark sein will, aber immer wieder mit den eigenen Schwächen konfrontiert wird. Eine Geschichte von Geheimdiensten und Sicherheitsbehörden, die sich im Dickicht eines föderalen Zuständigkeitswirrwarrs verheddern. Und nicht zuletzt die Geschichte von Politikern, die verzweifelt Handlungsfähigkeit im Kampf gegen den Rechtsextremismus beweisen und die Schuld für das Versagen dabei bei anderen abladen wollen.
2003 steht der damalige bayerische Innenminister Günter Beckstein vor dem Scherbenhaufen des ersten NPD-Verbotsverfahrens: "Das ist eine eklatante Panne des Bundesinnenministeriums."
Das Bundesverfassungsgericht hatte kurz zuvor den ersten Versuch gestoppt, die NPD zu verbieten. Bundestag, Bundesrat und rot-grüne Bundesregierung hatten damals gemeinsam das höchste deutsche Gericht angerufen.
Erstes Verfahren noch vor der Hauptverhandlung gestoppt
Manch einer hatte geglaubt, die Karlsruher Richter würden sich von einem Schulterschluss der obersten Staatsorgane beeindrucken lassen und sich in eine politische Allianz gegen die Rechtsextremisten einreihen. Eine Fehleinschätzung. Der Vorsitzende des Zweiten Senats und Vizepräsident des Gerichts, Winfried Hassemer, belehrte die Politik:
"Das verfassungsgerichtliche Parteiverbot, die schärfste und überdies zweischneidige Waffe des demokratischen Rechtsstaats gegen seine organisierten Feinde, braucht ein Höchstmaß an Rechtssicherheit, Transparenz, Verlässlichkeit und Berechenbarkeit des Verfahrens. Das gilt auch für das zu beurteilende Tatsachenmaterial."
Hassemer und seine Kollegen hatten das Verfahren noch vor dem Einstieg in die Hauptverhandlung gestoppt, weil die Antragsteller weder dem Gericht, noch offenbar sich selbst einen Überblick darüber verschaffen konnten, in welchem Ausmaß die Führungsspitze der NPD von Spitzeln – so genannten V-Leuten - der Verfassungsschutzbehörden durchsetzt war.
Wie stark ist die Partei von V-Männern durchsetzt?
Wenn nicht erkennbar sei, wie weit eine Partei von Agenten des Staates beeinflusst sei, fehle die Grundlage für ein Verbot, argumentierten drei der sieben beteiligten Richter des Zweiten Senats. Das für die Fortführung eines Parteiverbot-Verfahrens erforderliche Quorum war damit verfehlt. "Vom Aufstand der Anständigen zum Aufstand der Unfähigen" spottete damals der Politikwissenschaftler Lars Flemming über die düpierten Staatsorgane und Politiker.
Acht Jahre nach dem Scheitern des ersten NPD-Verbotsverfahrens musste der Rechtsstaat erneut eine schwere Schlappe im Kampf gegen den Rechtsextremismus eingestehen. Mit jahrelanger Verspätung waren die Sicherheitsbehörden Ende 2011 der rechtsextremistischen Terrorgruppe Nationalsozialistischer Untergrund, kurz NSU, auf die Spur gekommen. Wieder standen die Probleme bei der Führung von Geheimdienst-Spitzeln im Mittelpunkt des Skandals.
"Da müssen, was das Thema V-Leute-Gewinnung angeht, Führung von V-Leuten, sicher auch Veränderungen vorgenommen werden, damit wir hier zukünftig eine verlässlichere Basis haben an Information", räumte der CDU Bundestagsabgeordnete Clemens Binninger ein, der später zum Vorsitzenden eines Bundestags-Untersuchungsausschusses zu den Pannen bei der Aufdeckung des NSU-Terrors gewählt wurde.
Verbindung zwischen NPD und NSU nicht nachgewiesen
Innenpolitiker von Bund und Ländern standen unter Druck. Eine Reform der föderalen Sicherheitsarchitektur wurde diskutiert, kam in Interessenkonflikten und Verteilungskämpfen zwischen Bund und Ländern aber nur schleppend voran. Dennoch mussten die Politiker Tatkraft im Kampf gegen den Rechtsextremismus beweisen.
Ende 2011 verständigten sich die Innenminister im Zeichen des NSU-Skandals auf zwei Maßnahmen: In einer neuen Verbunddatei sollten Informationen über Rechtsextremisten bundesweit gesammelt werden. Außerdem sollte es einen neuen Anlauf zu einem NPD-Verbot geben. Immer wieder hatte es Spekulationen über eine Verbindung zwischen der Mörderbande des NSU und der NPD gegeben. Erhärten aber ließen sich diese Spekulationen im Nachhinein nicht.
Uwe Schünemann, CDU, damals Innenminister in Niedersachsen, ging es um ein weiter reichendes Signal: "Ich finde es unerträglich, dass eine neonazistische und verfassungsfeindliche Partei in Deutschland agitieren kann, zum Teil in Länderparlamenten Politik machen kann und darüber hinaus auch durch Steuergelder finanziert werden muss."
Materialsammlung zeigt düsteres Bild der NPD
Die Landespolitiker waren sich parteiübergreifend einig. Ralf Jäger, SPD, Innenminister aus Nordrhein-Westfalen: "Ich finde erschütternd, wie diese Partei sich positioniert. Sie ist rassistisch. Sie ist antidemokratisch. Ich glaube, sie ist auch bereit, mit Gewalt ihre Ziele umzusetzen und durchzusetzen."
Die Innenminister der Bundesländer begannen mit einer aufwendigen Materialsammlung, um einen neuen Verbotsantrag beim Bundesverfassungsgericht zu begründen. Dieses Mal sollte er hieb- und stichfest sein. Die Politiker wussten, dass vor allem nachrichtendienstliche Informationen das Beweismaterial erneut kontaminieren konnten. Alle V-Leute waren deshalb schon vorsorglich aus den Führungsgremien der NPD abgezogen worden. Nie zuvor konnte sich eine offen radikale Organisation in Deutschland so sicher vor der Infiltration durch Spitzel fühlen, wie die NPD während der Vorbereitung des zweiten Verbotsverfahrens gegen sie.
Das Material, dass die Innenministerien gegen sie zusammenstellten, beruht vor allem auf offen zugängliche Quellen. Das genügte, um das düstere Bild einer Partei zu zeichnen, die unverhohlen rassistische Ressentiments schürt, gegen Ausländer hetzt und demokratische Grundsätze wie Menschenrechte verhöhnt. Mehr als 1.000 Seiten umfasst die Dokumentation, mit der die Länder Bundestag und Bundesregierung im Jahr 2012 dazu bewegen wollten, sich noch einmal zum Gang nach Karlsruhe mit ihnen zusammenzuschließen. Vergeblich.
Zweifel am Erfolg eines zweiten Verfahrens
"Ich habe nie einen Zweifel daran gelassen, dass ich es für einen Fehler halte, der NPD eine Bühne zu eröffnen", begründete der damalige Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich, CSU, warum er seinen Kabinettskollegen und Kanzlerin Merkel davon abgeraten hatte, sich noch einmal auf das Wagnis eines Parteiverbotsverfahrens in Karlsruhe einzulassen. Hinter den Kulissen machten Regierungsmitglieder und die Fraktionsspitzen der Koalition in Berlin keinen Hehl daraus, dass sie auch in der Sache Zweifel an den Erfolgschancen hatten.
Bundesregierung und Bundestag konnten es sich damals leicht machen: Das Verfahren würde in jedem Fall kommen. Das Risiko einer erneuten Blamage aber tragen nun die Länder allein.
"Ich eröffne die mündliche Verhandlung des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts in dem Verfahren über die Anträge. Erstens: Die Nationaldemokratische Partei Deutschlands einschließlich ihrer Teilorganisationen Junge Nationaldemokraten, Ring Nationaler Frauen und Kommunalpolitische Vereinigung ist verfassungswidrig."
Am 1. März des vergangenen Jahres eröffnet Andreas Vosskuhle, Präsident des Bundesverfassungsgerichts und Vorsitzender des Zweiten Senats, die dreitägige Verhandlung über den Antrag zum NPD-Verbot. Normalerweise werden auch komplizierteste Rechtsfragen an einem Tag verhandelt – sofern das Gericht überhaupt eine mündliche Verhandlung für erforderlich hält.
Jedes Parteiverbotsverfahren eine Bewährungsprobe
"Auch für das Bundesverfassungsgericht stellt das vorliegende Verfahren in vielfacher Hinsicht eine besondere Herausforderung dar. Es muss nicht nur den sehr offen formulierten Verbotstatbestand des Artikel 21 Absatz 2 Satz 1 Grundgesetz im Lichte der heutigen Interpretation des Grundgesetzes und der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte inhaltliche Konturen verleihen, ohne auf eigene aktuelle Entscheidungen zurückgreifen zu können. Es muss auch selbst als quasi erste Instanz einen komplexen Sachverhalt aufklären und sehr viele Einzelaspekte in eine wertende Gesamtbetrachtung überführen. Dabei hat es sich jeder politischen Bewertung zu enthalten und die Grundsätze eines fairen und rechtsstaatlichen Verfahrens zu gewährleisten. Nach alledem zeigt sich einmal mehr: Jedes Parteiverbotsverfahren stellt eine ernsthafte Bewährungsprobe für den freiheitlichen demokratischen Verfassungsstaat dar. "
Sechzig Jahre alte Verbotskriterien müssen auf heute übertragen werden
Vor genau 60 Jahren hatte das Bundesverfassungsgericht das schärfste Schwert des wehrhaften Rechtsstaats zum letzten Mal gezückt. Am 17. August 1956 hatten die Karlsruher Richter die Kommunistische Partei Deutschlands (KPD) verboten, vier Jahre zuvor die rechtsextremistische Sozialistische Reichspartei (SRP). Beiden Parteien hielten die Richter vor, die junge Demokratie mit einer aggressiv kämpferischen Ideologie überwinden zu wollen. Die Frage, die am Anfang des neuen NPD-Verfahrens steht, lautet nun: Kann das Gericht die in den 50er-Jahren entwickelten Kriterien ohne Weiteres im 21. Jahrhundert fortschreiben?
"Ich glaube, die ganz zentrale Frage dieses Verfahrens – und damit steht und fällt der Verbotsantrag – ist der Maßstab für ein Parteienverbot", sagt der Journalist Christian Rath, rechtspolitischer Korrespondent der Tageszeitung "taz" und langjähriger Beobachter des Bundesverfassungsgerichts.
"Es gibt zwei Modelle, für die sich das Gericht jetzt entscheiden muss, also zwischen zwei Modellen. Das eine ist: Es muss eine konkrete Gefahr vorliegen, dass man sagt‚ also, wir verbieten eine Partei nur, wenn sie wirklich gefährlich ist, jetzt, für die Demokratie. Und die andere Theorie, das ist die der 50er-Jahre, die sagen: Es genügt eine abstrakte Gefahr, also die Möglichkeit, dass also wenn die sich irgendwie durchsetzen würden, mit dem was sie als Programm haben, dann wäre das ganz schrecklich. Und ob sie sich aber durchsetzen, ist eigentlich egal. Das ist hier die entscheidende Frage. Also wenn eine konkrete Gefahr erforderlich ist, dann scheitert der Verbotsantrag und wenn eine abstrakte Gefahr genügt, dann wird er Erfolg haben."
Wie gefährlich ist die NPD?
"Genügt es für ein Verbot, dass eine Partei verfassungsfeindliche Absichten hat? Oder muss nicht hinzu eine Wahrscheinlichkeit oder wenigstens Möglichkeit der Verwirklichung solcher Absichten kommen?" fragt auch Verfassungsrichter Peter Müller, der als Berichterstatter des Senats für die Vorbereitung des Verfahrens zuständig war, gleich am ersten Verhandlungstag. Der ehemalige saarländische Ministerpräsident, der jetzt in roter Robe neben Gerichtspräsident Vosskuhle sitzt, verweist auf die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, an der sich auch das Bundesverfassungsgericht orientieren muss.
Dessen Richter hatten in mehreren Fällen ein Prüfschema entwickelt, in dem für ein Parteiverbot unter anderem nachgewiesen werden muss, dass die verfassungsfeindliche Gruppierung auch tatsächlich eine unmittelbare Gefahr für die Demokratie darstellt und es deshalb eine dringende gesellschaftliche Notwendigkeit für ihre Auflösung geben muss.
Am 2. März, dem zweiten Verhandlungstag, geht es darum, die rechtlichen Kriterien auf den konkreten Fall anzuwenden. Wie gefährlich ist die NPD wirklich? Bayerns Innenminister Joachim Herrmann ist als eine der treibenden Kräfte auf der Länderseite zum Prozess nach Karlsruhe gekommen:
"Ich denke, dass die Länder gemeinsam heute die Gefährlichkeit der NPD sehr deutlich belegen. Die NPD ist überall an schlimmer Hetze beteiligt, gegen Juden in der Tradition der NSDAP, gegen Ausländer, gegen Minderheiten in unserem Land. Es ist eine rassistische Ideologie, die hier vertreten wird, eine Ideologie, die nicht auf dem Boden unserer demokratischen und freiheitlichen Verfassung steht. Da, denke ich, haben wir sehr gute Argumente."
Verfassungswidrig durch Wesensverwandtschaft zur NSDAP
1952 hatte die Feststellung einer "Wesensverwandtschaft" zur NSDAP genügt, die SRP zu verbieten. Das könnte gut 60 Jahre später anders sein, glaubt der Politikwissenschaftler Horst Meier, der das Ringen um ein NPD-Verbot seit Jahren verfolgt und auch die drei Verhandlungstage in Karlsruhe beobachtet hat:
"Es gab eine geplänkelte Kontroverse zwischen Richter Müller und dem Prozessbevollmächtigten Professor Waldhoff über diese Wesensverwandtschaft. Müller wollte wissen: Ja, was ist denn, wenn die vorliegt? Ist das dann automatisch die Verfassungswidrigkeit? Daraufhin Waldhoff: Ja, so sehen wir das. Dann sagt Müller: Ja aber so steht es nicht in der Verfassung. Der Wortlaut ist ja anders. Da steht ja Parteien, die darauf ausgehen, die freiheitlich demokratische Grundordnung zu beeinträchtigen, sind verfassungswidrig. Da ist von Wesensverwandtschaft und Nationalsozialismus nicht die Rede."
Propaganda-Show vor Gericht bleibt bisher aus
Im Karlsruher Gerichtssaal sitzen die Prozessvertreter des Bundesrates, mehrere Landesinnenminister und reihenweise Ministerialbeamte als Antragsteller im rechten Sitzblock vor der Richterbank. Nicht mehr als zwei Armlängen entfernt hat auf der anderen Seite des Saales die Führungsspitze der NPD mit ihren beiden Anwälten Platz genommen: Männer mittleren und vorangeschrittenen Alters, der eine im Lodenjanker, andere in dunklen Anzügen mit hellrosa und beige gemusterten Krawatten.
In den Sitzungspausen gibt der Vorsitzende der NPD, Frank Franz, Interviews im Foyer des Gerichtsgebäudes. Franz, ein athletischer Typ Mitte dreißig, ist deutlich eleganter gekleidet als seine Mitstreiter. Durch Wortgewandtheit aber macht er nicht auf sich aufmerksam:
Frank Franz: "Aufgrund dieses Antrags wird die NPD sicher nicht verboten."
Journalistin: "Warum nicht?"
Frank Franz: "Weil der Antrag dafür nicht ausreicht."
Journalistin: "Können Sie das inhaltlich noch mal begründen?"
Frank Franz: "Das werden wir hier vor Gericht vortragen."
Das ist jedenfalls nicht die große Propaganda-Show, die Skeptiker für den Fall vorhergesagt hatten, dass die NPD die Gelegenheit erhält, sich auf der Karlsruher Bühne zu inszenieren. Rechtsanwalt der NPD ist Peter Richter, ein gerade 30-jähriger Jurist, der seit seiner Jugend im NPD-Milieu verwurzelt ist. An der juristischen Fakultät der Universität Saarbrücken galt er als talentierter Nachwuchsjurist.
In Karlsruhe wirkt er, als gehe es ihm vor allem darum, auf Augenhöhe mit den obersten Richtern und bedeutenden Staatsrechtslehrern mitreden zu können. Von einer aggressiven Verteidigungsstrategie, die Prozessbeteiligte zuvor befürchtet oder "Knallern", die die NPD-Leute vorher angekündigt hat, ist nichts zu vernehmen.
Richter: "Die können ja immer noch kommen, die Knaller. Wir sind ja noch lange nicht fertig mit dem Verfahren."
Journalistin: "Das heißt, das waren sie noch nicht?"
Richter: "Das waren sie noch nicht, nein."
Vier Gutachter, zwei Meinungen
Die Bundesländer müssen in der mündlichen Verhandlung nun belegen, dass die Partei, die sich in Karlsruhe so handzahm gebärdet, dennoch gefährlich genug ist, um die europarechtlich verschärften Kriterien für ein Verbot zu erfüllen. Vier Rechtsextremismusforscher hat das Gericht als Gutachter dafür geladen. Am Ende ihrer Befragung blieb das Bild zwiegespalten, meint Prozessbeobachter Horst Meier:
"Es stand zwei zu zwei. Herr Jesse, der Doyen der deutschen Extremismusforschung, Eckhard Jesse, hat gesagt, das ist ein Zwerg, das ist eine Möchtegern-Großmaul-Partei und man möge bitte nicht ihre vollmundigen Parolen mit ihren Handlungsmöglichkeiten verwechseln. Ganz anders Herr Kailitz, ein Schüler von Herrn Jesse, der quasi die Vorsätze und Parolen und programmatischen Aussagen der NPD hochgerechnet hat, so nach dieser fiktionalen Art, was wäre wenn die NPD die Macht ergriffen hätte in Deutschland. Dann gäbe es ein riesiges Deportationsprogramm, Ausweisungen, Ausschaffung von mehreren Millionen Menschen."
Am dritten Tag der Verhandlung steigen die Innenminister selbst in die Karlsruher Arena, Joachim Herrmann aus Bayern und Lorenz Caffier aus Mecklenburg Vorpommern. Die Politiker geben zunächst beschwörende Statements ab, wie sie sie vor Fernsehkameras und ihren Landesparlamenten geübt haben.
Bedrohlichkeit der NPD schwer nachzuweisen
Die Verfassungsrichter aber wollen es genauer wissen – und die Argumentationslinie der Antragsteller wird brüchig: Je drängender die Richter nach Fakten und Erkenntnissen über die tatsächliche Bedrohlichkeit der NPD fragen, desto kleinlauter werden die Minister. Die so genannten "national Befreiten Zonen" in Mecklenburg Vorpommern, von denen im Vorfeld der Verhandlung viel die Rede war, schrumpfen auf wenige Brennpunkte von NPD-Aktivisten zusammen, in denen die Partei von einer Vorherrschaft jedoch weit entfernt ist.
"Also in Anklam haben sie natürlich keine Meinungsführerschaft, weil das durchaus ein kleines Städtchen in Mecklenburg-Vorpommern ist. Aber sie sind durchaus eine wahrnehmbare Größe innerhalb des Ortes und sie versuchen unterschwellig natürlich, ihr Gedankengut des Nationalsozialismus auch zu transportieren. In Jamel ist das allerdings etwas anders. Dort sind Zweidrittel der Einwohner rechtsextremistische Mitglieder. Also insofern ist der Ort, der aus 46 Einwohnern, glaube ich, besteht, davon 17 Kindern, durchaus eine andere Betrachtung."
Gesteht Innenminister Caffier am Rande der Verhandlung auch vor Journalisten ein.
Auch der Politikwissenschaftler Horst Meier nimmt den Auftritt der Landespolitiker in Karlsruhe als Wendepunkt in dem Verfahren wahr:
"Ein Trauerspiel. Sie haben mir wirklich ehrlich gesagt ein bisschen leidgetan. Sie haben die NPD aufgeblasen und aufgebauscht. Und als dann Richter Müller wiederum messerscharf ihnen Zitate aus ihren eigenen Verfassungsschutzberichten vorgehalten hat – 'Aktivitäten am erliegen', 'kaum feste Strukturen' und so weiter – und Müller sagte: Wie verträgt sich das mit ihrer jetzigen Einschätzung? Ja, dann ruderten sie so etwas zurück und betonten praktisch noch: Naja, die NPD ist wahrnehmbar in unseren Bundesländern. Aber sie konnten nicht begründen, dass da eine greifbare reale Gefahr ist."
NPD-Wählerschaft wandert ab zur AfD
Ein halbes Jahr nach der Karlsruher Verhandlung hat die NPD auch in ihrer einstigen Hochburg Mecklenburg-Vorpommern die Bastion im Landtag verloren. Bei der Landtagswahl im vergangenen September kamen die Rechtsextremisten auf gerade noch drei Prozent. Weite Teile ihrer einstigen Wählerschaft waren zur AfD abgewandert, die mit über 20 Prozent noch vor der CDU zur zweitstärksten Kraft im Schweriner Landtag wurde. Macht das Bundesverfassungsgericht vor diesem Hintergrund nun die tatsächliche Gefährlichkeit einer Partei zu einem entscheidenden Kriterium für ein Parteiverbot, hat die zur Randgröße marginalisierte NPD gute Chancen, auch den zweiten Versuch, sie mit den Mitteln des Verfassungsrechts zu eliminieren, zu überstehen.
Für den Sozialwissenschaftler Dierk Borstel, der als einer der vier Gutachter nach Karlsruhe geladen war, wirkt dieses Verfahren wie ein später Reflex auf einem ganz anderen Impuls:
"Das war in der Zeit des NSU. Das heißt, es ging um Sicherheitsorgane, es ging um das Versagen des Staates, vor allem auch mit dem Schwerpunkt des Versagens der Verfassungsschutzorgane. Und aus dieser Zeit heraus ist sozusagen diese Idee des Verbots, die es ja schon sehr lange gegeben hat - die gibt es ja, solange es diese Partei gibt –, Idee wieder aktuell geworden."
Botschaft an alte wie neue Feinde der Demokratie
Droht den Ländern am Dienstag also eine neue, peinliche Schlappe vor dem Bundesverfassungsgericht? Nicht unbedingt. Denn wie auch immer die Richter entscheiden, eines ist nach den drei Verhandlungstagen im vergangenen März bereits klar: Das Gericht hat das zweite NPD-Verbotsverfahren zum Anlass genommen, die rechtlichen Voraussetzungen von Parteiverboten für das 21. Jahrhundert zu aktualisieren.
Auch für den Fall, dass es dieses Mal nicht genutzt werden sollte: Das Schwert des Verfassungsrechts wird in Karlsruhe geschärft werden. Sollte die NPD seinem Schlag noch einmal entgehen, kommt diese Botschaft für die alten wie für neue Feinde von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit deshalb möglicherweise zu einer passenden Zeit.