Ohne Codes und Schlüssel kommt man nicht weit im Hochhaus der Europäischen Arzneimittelagentur. Das gläserne Gebäude liegt in allerbester Lage in Canary Wharf, den ehemaligen Docklands, umringt von den Glaspalästen der großen Banken.
Im riesigen Foyer mit Marmorböden und –wänden sind rechts alle Fahnen der EU-Mitgliedsstaaten aufgereiht, eine davon – die britische – könnte nach dem Umzug weg von London am neuen Standort vielleicht schon nicht mehr dabei sein.
"Beim Brexit geht es nicht nur um den Standort für unsere Agentur, sondern auch darum, wie wir weiter arbeitsfähig bleiben können", erklärte der stellvertretende Chef der Behörde, Noel Wathion, ein Belgier. "Es geht darum, den Betrieb am Laufen zu halten."
Kündigung bei Bukarest oder Sofia
Es gab zuletzt eine Befragung der Mitarbeiter zum bevorstehenden Umzug. Ein Ergebnis lautete:Sollte die Arzneimittelagentur nach Bukarest oder Sofia verlagert werden, wollen Dreiviertel der Mitarbeiter kündigen und sich lieber nach einem anderen Job umschauen. Vorübergehend würde die Behörde keine Anträge auf Zulassung neuer Medikamente mehr bearbeiten können, so versucht man die EU-Außen- und Europaminister zu beeinflussen, die heute in Brüssel über den Umzug entscheiden.
In einer der unteren Etagen werden gerade Mitarbeiter intern geschult, die Tür ist offen. Verschlossen bleibt sie dagegen vor dem Ausschuss für humane Arzneimittel. 35 Experten beraten gerade darüber, welche neuen Medikamente zugelassen werden. Ein Ja oder Nein kann den Aktienkurs eines Pharmakonzerns beeinflussen, erklärt Hans-Jörg Eichler, ein leitender Pharmazeut der Behörde aus Österreich.
"Dieses Komitee stimmt am Ende ab. In vielen Fällen ist das eine einstimmige Entscheidung, denn man hat sich zusammengesprochen. Man hat alle Argumente ventiliert. In manchen Fällen ist das eine Mehrheitsentscheidung."
Die Vertreter der Pharmakonzerne warten derweil unten in dem für sie bestimmten Aufenthaltsraum, der an das Foyer angrenzt. Einige Herren in dunklen Anzügen gehen an uns vorbei, die provisorischen Hausausweise baumeln an roten Bändern um den Hals. Rot ist die Farbe für die Lobbyisten. Nach oben dürfen sie nicht, schon gar nicht in die Ausschusssitzung.
Bonns Chancen gering, Frankfurt schielt auf Bankenaufsicht
Lobby-Arbeit – das betrieben bis zuletzt auch die 19 europäischen Städte, die gerne neuer Sitz der Europäischen Arzneimittelbehörde mit ihren 900 Arbeitsplätzen werden wollen.
"Es ist mir ein Vergnügen, meine Heimatstadt vorzuschlagen", preist etwa der irische Ministerpräsident Leo Varadkar die Vorzüge Dublins in einem eigens gedrehten Werbespot an. Mailand lässt sich in seiner Bewerbung von einer jungen Frau namens Anna repräsentieren. Die Stadt lockt damit, dass die EU-Agentur sofort ins Pirelli-Hochhaus einziehen könne, wo auch das Parlament der Lombardei tagt.
Das Herz der Europäischen Union zu sein, damit wirbt Bonn um die Ansiedlung der neuen EU-Behörde. Die Chancen Bonns gelten aber als gering. Hinter den Kulissen hat sich die Bundesregierung eher dafür stark gemacht, dass die EU-Bankenaufsicht aus London nach Frankfurt umzieht. Auch dort fällt heute die Entscheidung.
Der Aufzug im gläsernen Hochhaus der EU Arzneimittelbehörde geht nach unten, aber die Stimmung der Mitarbeiter sei nicht im Keller, meint Hans-Jörg Eichler. "An sich ist die Stimmung hier immer noch gut. Wir sind uns bewusst, dass wir eine wichtige volksgesundheitliche Aufgabe haben. Wir werden alles tun, um unsere Aufgabe weiterhin gut zu erfüllen."
Der Umzug soll in einem atemberaubenden Tempo durchgezogen werden. Ende kommenden Jahres schon soll die Behörde arbeitsfähig am neuen Standort sein. Die Mitarbeiter befürchten ein politisches Geschacher um ihre Zukunft, statt wirklich den besten Standort zu wählen.
900 hochqualifizierte Jobs, 39. 000 Übernachtungen jährlich
900 hochqualifizierte Jobs gehen jedenfalls London verloren – plus die 170 der kleineren EU-Bankenaufsichtsbehörde. Ständig werden außerdem Arzneimittelexperten aus der ganzen Welt nach London eingeflogen, den Hotels gehen pro Jahr 39 000 Übernachtungen verloren.
Die britische Regierung soll die Umzugskosten in Höhe von 300 Millionen Euro bezahlen, fordert die EU. Es ist aber noch schlimmer: die EU-Arzneimittelagentur hat einen laufenden Mietvertrag bis zum Jahr 2039 in London, ohne Ausstiegsklausel. Der Besitzer des Hochhauses kann darauf pochen, dass weitere irrwitzige 347,6 Millionen Euro an ausstehenden Mieten bezahlt werden müssen.
"Als wir einzogen, war keine Rede vom Brexit", verteidigt der stellvertretende Exekutivdirektor Noel Wathion die peinlicherweise fehlende Austrittsklausel aus dem Mietvertrag – die die EU-Bankenaufsichtsbehörde dagegen hat. "Es ist beim Londoner Immobilienmarkt normal, dass ein Paket geschnürt wird – aus Laufzeit des Mietvertrags, Ausstattung des Gebäudes und mietfreier Anfangszeit."
London wehrt sich noch dagegen, die horrenden Kosten zu übernehmen. Die Behörde hätte doch an der Themse bleiben können. Das aber ist anders entschieden. In gut einem Jahr werden die hochmodernen Räume in einer der teuersten Gegenden Londons leergeräumt sein, und der letzte wird die Tür hinter sich zugezogen haben.