Jürgen Zurheide: Die Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten haben zusammengesessen, sie wollen eine neue Kommission zur Lage des Föderalismus in Deutschland. Da geht es nicht nur, aber eben auch um die Finanzen zwischen den verschiedenen Ebenen in Deutschland. Wir alle wissen, das ist ein extrem schwieriges Gebiet. Die Länder sind nun mal die Länder und eben nicht die Gemeinden – die große Frage ist, wie sehen denn das eigentlich die Kommunen, dass die Länder da irgendetwas wollen, möglicherweise ja nicht für die Kommunen. Darüber wollen wir reden mit Burkhard Jung, dem Oberbürgermeister von Leipzig. Fangen wir mal an damit, Sie als Städte beklagen ja in den zurückliegenden Jahren immer mal wieder, dass der Bund irgendwas bestellt, aber nicht bezahlt, zum Beispiel beim Thema Flüchtlinge. Ist das immer noch so?
Burkhard Jung: Na ja, das ist schon ein wunder Punkt. Offen gesagt, wir müssen uns immer in zwei Richtungen verteidigen. Zum einen, der Bund neigt dazu, Gesetze zu machen und uns dabei zu vergessen. Und umgekehrt, wenn es dann Ausschüttungen auch auf die kommunale Ebene durch den Bund geben könnte, gibt es dann immer wieder auch bei den Ländern jemanden, der gerne das Geld festhält. Also, in unserer Dreigliedrigkeit des Systems zwischen Bund, Ländern und Kommunen sind wir oftmals am Ende der Fahnenstange und müssen dann bezahlen, was andere bestellt haben. Und wir haben eigentlich einen anderen Grundsatz: Wer bestellt, der bezahlt nicht.
Zurheide: Das wunderbare Äquivalenzprinzip, so heißt das in der Wissenschaft.
Jung: Genau. Konnexität nennen die Fachleute das, also ganz klar, eine Verantwortung liegt bei dem, der ein bestimmtes Gesetz verabschiedet, ist dann auch end- und durchzufinanzieren.
Riesige Schuldenberge
Zurheide: Die entscheidende Frage: Wenn da jetzt so eine neue Kommission oder zur Lage des Föderalismus kommt, verlangen Sie, dass die Gemeinden dabei sein sollen. Eigentlich müssten sie es doch, oder?
Jung: Wir würden uns das sehr wünschen. Es ist besser geworden, das muss man fairerweise sagen. Vor zehn, 15 Jahren saßen wir oftmals am Katzentisch oder gar nicht am Tisch, und mittlerweile – nehmen wir mal die Kommission für die Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse, die hat selbstverständlich auch die Städte und Gemeinden einbezogen, den Landkreistag einbezogen. Also ich denke, es ist ganz wichtig, dass die drei Ebenen zusammen am Tisch sitzen, und in der Tat, dieses schwierige Thema der gerechten Aufteilung, Finanzausstattung und Organisation auch des Finanzausgleichs miteinander ins Benehmen sich setzen.
Zurheide: Was würden Sie konkret erwarten, wenn es da jetzt solche neuen Kommissionen gibt? Ich meine, wir alle wissen, gerade haben wir Riesendiskussionen über die Grundsteuer gehabt, das ist für Sie wenigstens ein kleiner Schritt, dass Sie die Finanzbasis behalten, die Sie bisher hatten, wenngleich sich das in Gemeinden wieder ändern kann. Was könnte denn jetzt realistischerweise passieren, oder sind alle Beteiligten so müde, dass sie sagen, ich hab keine Hoffnung, dass da im Föderalismus irgendwas bezogen auf die Finanzen passiert.
Jung: Nein, ich hab Hoffnung. Ich glaube auch, dass wir ein Fenster haben. Wenn Sie gestatten, möchte ich noch mal ganz kurz das Thema Altschulden ansprechen...
Zurheide: Bitte.
Jung: …was uns sehr, sehr bewegt und auch beschäftigt, und zwar bundesweit. Wir haben ja über 2.200 Gemeinden und Städte in Deutschland, die in der Tat – um das vielleicht Hörerinnen und Hörern klarzumachen – aus dem Dispositionskredit leben und riesige Schulden vor sich herschleppen. Wir nennen das Kassenkredite, 42 Milliarden. Und diese Kommunen und Städte – um mal ein Beispiel zu nennen, das ist dann Oberhausen, das ist Wuppertal, das ist Pirmasens –, die sind nicht mehr in der Lage, selbstständig sozusagen sich aus dieser hoffnungslosen, sumpfigen Situation herauszuziehen, so à la Münchhausen, sondern wir brauchen jetzt wirklich eine klare Regelung. Und wir sehr froh, dass Olaf Scholz, der Finanzminister, anbietet, wenn es einen nationalen Konsens zu dieser Frage gäbe, wir uns gemeinsam an einen Tisch setzen, wir uns auch diesem Thema widmen können, und hat angeboten, auch einen großen Teil dieser Schulden in den Bundeshaushalt zu übernehmen, damit wir mal einen Schuldenschnitt machen können und wir neu durchstarten können. Wissen Sie, wir können ja kaum den Kindern und Jugendlichen von heute erklären, warum das Schwimmbad nicht geöffnet hat, nur weil vor 40, 50 Jahren wir eine Schieflage in den strukturellen Bedingungen der jeweiligen Städte hatten. Das beschäftigt uns sehr, und ich glaube, wir haben in der Tat aufgrund der niedrigen Zinslage, aufgrund der Kommissionsergebnisse diese Chance, jetzt dieses Thema anzugehen – mit den Ländern, mit dem Bund, mit den kommunalen Ebenen. Und dann sind wir beim zweiten Thema: Damit wir eben nicht in eine solche Schieflage erneut kommen, müssen wir über Sozialausgaben und Investitionen reden, über Investitionsstau, aber insbesondere über das Thema Sozialausgaben.
"Es bleibt vieles an den Kommunen hängen"
Zurheide: Was müsste da konkret passieren – wir haben es gerade angesprochen, dieses Konnexitätsprinzip oder Äquivalenzprinzip, wer bestellt, muss auch bezahlen. Also das wäre, Sie sagen bei Sozialaufgaben, dann zum Beispiel Flüchtlinge ist eine Frage, Sie als Gemeinden können das kaum bestimmen, das ist eine Bundesentscheidung, ob und wie viele Flüchtlinge reinkommen, anerkannt werden. Was müsste da klar auf den Tisch?
Jung: Wir brauchen eigentlich die Ist-Situation in der Analyse. Wir haben es erreicht, dass es noch einmal eine Verantwortung des Bundes für dieses Thema gibt, er kommt uns an dieser Stelle entgegen. Wir haben das Thema Klimaschutz, Pariser Klimaabkommen, wie können wir das umsetzen. Das geht nur mit einer Vollfinanzierung, Durchfinanzierung und weiteren Steigerungen des Investitionsbedarfs und Betriebskosten des ÖPNV, also des öffentlichen Nahverkehrs. Wir nehmen das Thema Kita, der Rechtsanspruch, den der Bund ins Gesetz geschrieben haben, auf einen Kindertagesstättenplatz auch im Krippenbereich. Der ist im Ergebnis nie zu 100 Prozent finanziert worden, sondern es bleibt vielfach vieles von dem, was da beschlossen ist, an den Kommunen hängen – ob bei Asyl, ob bei Kita, ob bei Klima –, und das muss auf den Tisch und das müssen wir einfach besprechen.
Zurheide: Ja, und vor allen Dingen darf dann, glaube ich, Folgendes nicht passieren: dass der Bund im Zweifel dann die Tasche aufmacht, dann legt er was auf den Tisch, aber er bestimmt auch mit. Also da stimmt ja auch irgendetwas in unserer Wertordnung nicht. Wenn Sie die Aufgabe habe, müssen Sie auch eigenständige Finanzmittel haben, dass man nicht das tut, was im Moment ja passiert, dass permanent die Arbeitsteilung und die Finanzteilung ausgehöhlt wird, indem der Bund Geld auf den Tisch legt bei bestimmten Projekten, so wie er das will. Dann kann er wieder bestimmen, das kann doch auch nicht Ziel der Operation sein.
Jung: Das kann nicht Ziel… Sagen wir mal, wir haben ein Subsidiaritätsprinzip, das heißt eine kommunale Selbstverantwortung, Autonomie muss gegeben sein bei der Aufgabenerfüllung, das sehe ich auf jeden Fall so. Und oftmals – ich kann es ja auch mal zuspitzen – gibt es dann auch sozusagen vergiftete Geschenke. Da wird was angeschoben, anfangs mitfinanziert, 100 Prozent, dann abgeschmolzen, und am Ende kann man es nicht mehr zurücknehmen und es bleibt bei den Kommunen liegen. Wir haben gerade die Diskussion über das 365-Euro-Ticket in Deutschland – da haben wir auch große Befürchtungen. Da gibt es jetzt eine Anschubfinanzierung, zehn, 15, 16 Städte dürfen mitmachen. Wenn der Bund das nicht dauerhaft in der Finanzierung übernimmt, wird es am Ende so sein, dass wir vor Ort auf den Mehrkosten sitzen bleiben, die daraus entstehen. Das sind alles Dinge, wo das System einfach sich noch nicht schlüssig und nicht gerecht ist, und ich glaube, wir müssen das grundsätzlich noch mal neu klären. Und das dauert, ich weiß das, wie kompliziert das ist.
"Wir haben eine historische Chance"
Zurheide: Aber auf der anderen Seite, der Kernpunkt muss ja sein, dann müssen die Finanzströme in dieser Republik einmal noch mal völlig neu bewertet werden. Haben wir politisch noch die Kraft – das fragen ja manche Bürger, die das alles für sinnvoll halten, 350-Euro-Ticket, das ist ja ein Angebot.
Jung: Klingt gut, ne?
Zurheide: Ja, es klingt nicht nur gut, in Wien sehen wir ja auch, dass es funktioniert. Aber die Frage ist, hat die Politik heute noch die Kraft, solche komplizierten Dinge, die natürlich immer mit Gewinnen und Verlusten zu tun haben, in einzelnen Ebenen das durchzuziehen? Die Länder haben wir jetzt noch gar nicht angesprochen, aber Sie haben gerade schon mal gesagt, die haben oft dann auch Taschen, die sehr klebrig sind.
Jung: Ja. Natürlich ist das die Frage, die im Raum steht: Sind nicht sozusagen durch unsere Interessenvertretungen und durch die Systeme die Lobbyisten so stark, dass es unglaublich schwer wird, diesen Apparat zu verändern. Ich glaube daran, dass es geht, wir haben eine historische Chance. Wir haben das Thema Klimaschutz auf der Agenda, wir haben ein Paket geschnürt, wir haben das Thema Braunkohleausstieg, wo man zeigt, dass man in der Lage ist, auch mit einem großen Wurf zu versuchen, vor Ort die Bedingungen, die Strukturen zu verändern. Und wenn wir zu einer CO2-Bepreisung kommen, wenn wir also letztlich eine Abgabensystematik verändern in diesem Land, dann ist das auch die Chance, grundsätzlich die Frage zu stellen, wie dann die Mittel, die der Staat zur Verfügung hat, auf den Ebenen verteilt werden.
Zurheide: Also eine klare Forderung am Schluss hier zu adressieren: Dann heißt es, das, was die Länder da machen, ist gut, aber Sie als Gemeinden wollen dabei sein, Punkt.
Jung: So ist es. Wir begrüßen im Grundsatz diesen Ansatz der Ministerpräsidenten, ich finde, das ist ein gutes Zeichen, aber bitte: Holt uns an den Tisch und lasst uns offen und ehrlich Kassensturz betreiben, denn am Ende werden die Bürgerinnen und Bürger hier vor Ort in den Kommunen und Städten erleben, was geht und was nicht geht.
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