Der Kampf gegen die Corona-Pandemie dominiert momentan die Schlagzeilen weltweit. Andere wichtige Themen geraten in den Hintergrund, etwa der Klimawandel, aber auch der Schutz von Artenvielfalt und Natur sowie soziale Fragen. Dabei sind viele dieser Probleme eng miteinander verwoben, sagte Florian Schneider vom Institut für sozial-ökologische Forschung (ISOE) im Deutschlandfunk.
Der Mensch dringe immer weiter Ökosysteme ein. Dabei kommt er in Kontakt mit den Krankheitserregern "und gelegentlich kommt es dabei zum Überspringen von Krankheiten von Tieren auf den Menschen". Solche Zoonosen beobachte man in den vergangenen Jahrzehnten immer häufiger. "Von daher kommt die Corona-Pandemie nicht ganz überraschend", so Schneider. Es sei richtig, dass die unhygienischen Zustände auf Wildtiermärkten ein Problem seien. Es sei allerdings die Frage, ob das "aktuelle Eingreifen in diese Praxis der Wildtier-Märkte mit Lebendtieren einen Beitrag leisten kann zur aktuellen Pandemie-Bekämpfung."
Die Wildtiermärkte seien nur ein Symptom dafür, wie wir als Gesellschaften mit der Natur interagierten. "Wenn man an die Ursache will, dann muss man sich eher die Frage stellen, wie können wir die Art und Weise ändern, wie Mensch und Natur zusammenleben?"
Stefan Römermann: Was hat denn eigentlich der Schutz der Artenvielfalt mit Corona und anderen Pandemien zu tun hat.
Florian Schneider: Grundsätzlich ist auch ein Krankheitserreger ein Bestandteil der Biodiversität. In artenreichen Ökosystemen hat man immer auch Krankheitserreger, die einen Beitrag dazu leisten, dass das Ökosystem reguliert wird, dass nicht eine Population Überhand gewinnt und so weiter. Es ist also unvermeidlich, dass es Viren und Bakterien in Ökosystemen gibt.
Zunahme von Zoonosen in vergangenen Jahrzehnten
Römermann: In der Form sind sie was Gutes, die Viren und Bakterien?
Schneider: Quasi ja. Das ist ein wichtiger Bestandteil des Ökosystems. So muss man das auf jeden Fall sagen. Durch das Eindringen der Menschen ergeben sich daraus Probleme. Der Mensch, der in Ökosysteme eindringt, verstärkt die Ökosysteme nutzt und die natürlichen Ressourcen, kommt dadurch in Kontakt mit den Krankheitserregern, und gelegentlich kommt es dabei zum Überspringen von Krankheiten von Tieren auf den Menschen. Dann spricht man von Zoonosen. Das sind eigentlich Vorgänge, die es auch schon lange gibt. Das ist nichts Neues mit der Corona-Pandemie. Geologen warnen auch schon seit langer Zeit davor, dass diese Zoonosen zunehmen.
Römermann: Die Zoonosen sind die Krankheiten, die vom Tier auf den Menschen übergesprungen sind?
Schneider: Genau. Da beobachten wir eine Zunahme in den vergangenen Jahrzehnten schon. Von daher kommt die Corona-Pandemie nicht ganz überraschend.
Ökosysteme geraten aus dem Gleichgewicht
Römermann: Was hat das Ganze jetzt mit dem zunehmenden Verlust der Artenvielfalt zu tun? Wie kommt der dabei ins Spiel?
Schneider: Durch diese Nutzung der Ökosysteme und das Eindringen des Menschen in Naturräume wird die natürliche Artenvielfalt gestört. Es kommt zum Verlust von Arten. Es gerät aus dem Gleichgewicht, wie sich die Arten gegeneinander verhalten und kontrollieren. An dem Punkt kommt es immer häufiger auch zu Berührungspunkten zwischen natürlichen Krankheitserregern aus den Ökosystemen und dem Menschen. Das passiert zum Beispiel dann, wenn man große Regenwaldflächen umwandelt in Ackerflächen, in Siedlungsflächen, wenn sich Städte ausweiten und immer weiter in Regenwaldgebiete vordringen oder in Naturräume. An den Stellen entstehen immer mehr Berührungspunkte zwischen den Menschen und der natürlichen Vielfalt und damit aber auch den natürlichen Krankheitserregern.
Römermann: Die WHO hat jetzt im Kampf gegen solche Zoonosen, gegen die vom Tier auf den Menschen überspringenden Krankheiten gefordert, den Handel mit lebend gefangenen Wildtieren zu verbieten. Was steckt denn dahinter und warum ist speziell der Handel mit den lebenden Wildtieren problematisch?
Schneider: Das geht darauf zurück, dass die WHO ganz aktuell noch mal bestätigt hat, dass es sehr wahrscheinlich zur Corona-Pandemie kam, indem Krankheitserreger im Rahmen von diesem Wildtier-Handel auf sogenannten Wet Markets, Lebendtier-Märkten, vermutlich zustande gekommen ist, dass dort die Zoonose, das Überspringen auf den Menschen geschehen sein kann. Das ist auch lange bekannt, dass solche Märkte zum Teil eben hygienische Bedingungen aufweisen, die dieses Überspringen nicht verhindern können. Deswegen wird es jetzt im Zuge der Corona-Pandemie natürlich auch prominent gemacht, dass das ein Problem ist und man hier eingreifen muss, dass man hier für bessere hygienische Zustände sorgen muss, und das ist auch richtig. Es ist nur die Frage, ob dieses aktuelle Eingreifen in diese Praxis der Wildtier-Märkte mit Lebendtieren einen Beitrag leisten kann zur aktuellen Pandemie-Bekämpfung.
"Epidemiologen warnen schon seit langem vor Pandemien"
Römermann: Warum haben Sie damit ein Problem? Das klingt doch erst mal nach einer ganz logischen und schlüssigen Lösung, dass man da eingreift und sagt, die machen wir dicht. Warum ist das für Sie trotzdem problematisch?
Schneider: Sinnvoll ist es für die zukünftigen, möglicherweise zukünftig entstehenden Zoonosen und Krankheitserreger. Dafür ist es wichtig, an den Stellen auch einzugreifen, wo wir ein Problem identifiziert haben, nämlich bei den hygienischen Umständen auf diesen Wildtier-Märkten. Das will ich auch gar nicht abstreiten. Das ist auf jeden Fall, was das angeht, eine sinnvolle Maßnahme. Im Moment wird natürlich die aktuelle Pandemie-Situation dafür genutzt, dafür die Werbetrommel zu rühren, dieses Projekt voranzutreiben. Wie gesagt: Biologen und auch Epidemiologen warnen davor schon seit langem. Das Problem ist, dass im Zuge von der Pandemie ohnehin eine angespannte Situation herrscht, auch für die ökonomische Situation in vielen Ländern und auch in vielen Ländern, in denen diese Märkte eine gängige Praxis sind. Das Schließen von diesen Märkten voranzutreiben, das kann problematisch sein, kann weiteren Druck ausüben auf die ökonomische Situation.
Römermann: Das heißt, wir sprechen in den Industrieländern über Verbote von solchen Lebendtier-Märkten, Wildtier-Märkten, und in den Entwicklungsländern ist die Situation aber sehr viel anders.
Schneider: Es ist zumindest sehr viel komplexer. Man muss immer sehr genau auf die lokalen Begebenheiten schauen. Ich glaube, dass solche pauschalen Verbote diese Besonderheiten vor Ort vernachlässigen, und letztlich sind die Wildtier-Märkte ja auch nur ein Symptom davon, wie wir als Gesellschaft oder wie Gesellschaften auf der Welt mit der Natur interagieren und im Zusammenhang stehen. Wenn man an die Ursache will, dann muss man sich eher die Frage stellen, wie können wir die Art und Weise ändern, wie Mensch und Natur zusammenleben.
Römermann: Was stellen Sie sich vor? Wie sollte man dann mit so etwas umgehen? Vielleicht nicht sofort diese Tiermärkte verbieten, sondern an anderer Stelle ansetzen? Was würden Sie da vorschlagen?
Schneider: Wie gesagt, ich bin nicht gegen ein Vorgehen gegen die hygienischen Bedingungen auf Wildtier-Märkten. Man muss sich nur auch klarmachen, dass dabei das Bild entsteht oder oft das Bild entsteht, dass Zoonosen nur auf diesen unhygienischen Märkten entstehen können. Tatsächlich ist es nicht so. Die entstehen genauso auch hierzulande in bestimmten Situationen, in denen es zu einer intensiven Nutzung der natürlichen Ressourcen kommt. Das passiert zum Beispiel in der intensiven Massentierhaltung, beim Einsatz von Antibiotika, oder auch durch Situationen, die wir durch den Klimawandel hervorrufen, dass auch Schadenerreger, Krankheitserreger mit dem Klimawandel zum Beispiel vorrücken können, oder auch durch die Lieferketten und durch den Konsum, den wir im globalen Norden oder im Westen verursachen, haben wir durchaus Anteil an dem Eindringen in Naturräume und an der Nutzung von natürlichen Ressourcen in anderen Teilen der Welt. Das müssen wir mit bedenken, wenn wir diskutieren, wie wir in der Zukunft Pandemien nachhaltig, auch mit einer langfristigen Wirkung bekämpfen können oder vorbeugen können.
Regionale Lösungen finden
Römermann: Das heißt, es ist ein sehr komplexes System. Aber an welcher Stelle sollte man denn ansetzen? Ist es so, dass man ganz viele kleine Hebel bewegen muss, oder wie muss ich mir das vorstellen? Das klingt ja schon ein wenig unbefriedigend, sage ich jetzt mal.
Schneider: Ich fürchte auch, dass es das ist. Pauschale Lösungen wird es für das Problem der global ansteigenden Zoonosen nicht geben. Wir müssen das Problem grundsätzlich in vielen Situationen mitdenken, in vielen Bedingungen, in vielen Problemlagen mitdenken. Dabei ist es wichtig, dass wir auf die Besonderheiten vor Ort gucken, auf die Besonderheiten der aktuellen Problemlage, und das gilt sowohl in Europa als auch im globalen Süden, dass wir da einbeziehen, wie sind die vorherrschenden Traditionen, wie ist das Wissen der Bevölkerung, der Menschen vor Ort, die da mit der Natur irgendwie in Verbindung stehen oder in Interaktion treten. Aber auch, wie sind die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen? Diesen ganzen Komplex muss man jeweils betrachten, um da eine gemeinsame Lösung zu entwickeln. Ganz wichtig ist aber auch, dass man die Menschen vor Ort an der Problemlösung beteiligt und ihnen damit nicht nur Verbote auferlegt und Einschränkungen, sondern auch Chancen eröffnet, das Verhältnis mit der Natur für die Zukunft zu gestalten.
Konsum klimafreundlich gestalten
Römermann: Gibt es denn auch Dinge, die ich vielleicht als Verbraucher hier in Deutschland irgendwie sinnvoll beitragen kann, dass ich auf Dinge beim Einkaufen oder was auch immer achte? Oder ist auch das schon schwierig, wenn ich jetzt bestimmte Produkte generell vermeide, dass ich dann auch wieder möglicherweise Effekte habe, die ich eigentlich gar nicht haben will?
Schneider: Ja, das Problem stellt sich ähnlich dar wie mit der Überlegung, was muss ich konsumieren, was darf ich konsumieren, um das Klima nicht überzustrapazieren, einen Beitrag zum Klimaschutz zu leisten, oder was kann ich tun, um die Insekten zu schützen. Ich glaube, wir müssen uns in der heutigen Zeit ganz grundsätzlich die Frage stellen, was unser Konsum auslösen kann, auch am anderen Ende der Welt, und dazu gehört, dass wir uns informieren. Praktischerweise sind viele dieser Probleme ja auch parallel gelagert und haben miteinander zu tun. Wie gesagt, der Klimawandel, der Verlust der Artenvielfalt, die Entstehung von Zoonosen. Das heißt, viele der Ratschläge, wenn es darum geht, den Konsum klimafreundlich zu gestalten, wirken sich auch durchaus positiv auf die Entstehung oder die Vermeidung von zukünftigen Zoonosen aus.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.