"Man sucht ein Gegenüber, dem man alles Schlechte zuschreiben kann und schließt den Dialog, die Verständigung, den Kompromiss mit diesen Anderen von vornherein aus. Das ist das Perfide an dieser Konstruktion. Deswegen sind sie in Konflikten immer so etwas wie ein Brandbeschleuniger"
Die Rede ist vom Ressentiment, das europaweit zurückgekehrt sei. Reinhard Olschanski weiß, wovon er spricht. Zehn Jahre war es für ihn als Kulturreferent in der Bundestagsfraktion der Grünen eine vordringliche programmatische Aufgabe, dem Populismus entgegen zu arbeiten. Dabei gelangte er zu der Erkenntnis, dass wir es mit einem neuen Ressentiment zu tun hätten, das alte Affekte auf einer modernen Legitimationsbasis auslebe. Doch welche alten Denkmuster sind es, die da wiederbelebt werden?
"Der Islam ist das Feindbild, so wie es im späten Mittelalter entstanden ist, in den Kreuzzügen, dann die Nation, die nationalen Ressentiments tauchen offensichtlich wieder auf, der Abendland-Morgenland-Gegensatz, der Ost-West-Gegensatz. Also das ganze Kaleidoskop der Ressentiment-Denkformen, wie es in den letzten Jahrhunderten präsent war, wird wiederbelebt und aktualisiert."
Um alte Denkmuster und neue Gefahren besser verstehen zu können, versucht der Autor in drei Schritten dem Ressentiment auf den Grund zu gehen. Erstens durch eine theoretische Annäherung an Feindbildkonstruktionen; zweitens durch eine historische Reflexion der Grundmodelle des Ressentimentdenkens sowie drittens durch eine politische Analyse der aktuellen Ausprägungen von Ressentiments in Europa.
Zunächst gilt es zu klären, wie ein Feindbild entsteht. Was spielt sich in der Psyche ab, wenn Hass in eine Obsession umschlägt? Reinhard Olschanski untersucht die Mechanismen der Feindbildkonstruktion und bezieht sich dabei nicht nur auf Texte von Nietzsche und Jean-Paul Sartre oder das berühmt-berüchtigte "Freund-Feind-Denken" Carl Schmitts.
"Ressentiment ist ja eine Art von zeitversetztem Denken. Man ist der Situation, in der man steht und in der man reagieren sollte, nicht ganz angemessen. Man lässt sich von einem anderen Zeitpunkt her bestimmen, von einer zurückliegenden Verletzung, von einer Kränkung, die vielleicht mit dem aktuellen Gegenstand gar nichts zu tun hat. Das ist auch mein Ausgangspunkt, den ich versuche etwas zu erweitern mit Autoren wie Max Scheler, dem großen Phänomenologen, der das sehr ins Soziale gewendet hat und der eigentlich fragt: >Wir leben in einer Markt- und in einer Vergleichsgesellschaft. Welche Ängste kommen da auf Leute zu? Welche Rollenunsicherheiten?<. Und das wird für Scheler so eine Art Hintergrundsfolie, vor der er erklärt, dass auch moderne Gesellschaften besonders für Ressentiments anfällig sind."
Doch das Ressentiment ist nicht nur eine emotionale Deformation. Es "denkt" auch, zum Beispiel geopolitisch oder religiös, richtet sich gegen ganze Völker, Stämme und Konfessionen und weiß im Kolonialismus zwischen "guten" und "bösen" Wilden zu unterscheiden, um Gewaltexzesse, Rassismus oder Sklaverei legitimieren zu können.
"Eigentlich ist ja Ressentiment eine Art Veräußerlichungsbewegung. Man will ein Problem, das man hat, nach außen tragen, indem man sich einen Gegner konstruiert, was man abwerten kann. Man will also letztlich etwas herausschaffen, von sich abhalten. Tatsächlich sind dann ja die Grundformen des Ressentiments, wie wir sie in der Geschichte sehen, durchaus räumlich-geografische Denkformen. Es gibt regelrechte Landkarten des Ressentiments, der wechselseitigen feindlichen Zuschreibung."
Die Rede vom "dekadenten" Westen und vom "arbeitsfaulen" Süden
Reinhard Olschanski hat in der Enquete-Kommission des Bundestags zum Thema "Kultur in Europa" mitgewirkt. Er überschaut die Gefahrenherde und fürchtet eine sich epidemisch ausbreitende Ressentiment-Welle, die am Ende auch unsere "schmale Restutopie Europa" zerstören könnte.
"Wir haben den Ukraine-Konflikt vor Augen, wo uralte Ressentiments plötzlich wieder auftauchen und zu blutigen Konsequenzen führen. Da kämpfen Faschisten gegen Stalinisten, man weiß gar nicht, wo die plötzlich alle herkommen und man ist bereit, sich dafür umzubringen.
Gelähmt von einer Vielzahl regional unterschiedlicher Ressentiments - vom "dekadenten" Westen über den "arbeitsfaulen" Süden bis zur "Sparwut" des Nordens - drohe Europa nur noch als "Watschenfrau" wahrgenommen zu werden, befürchtet der Autor. Doch was können wir dagegen tun, gerade jetzt im Zeichen der Flüchtlingsbewegungen? Wie ist die Wirkmacht des Ressentiments zu brechen?
"Es geht um ein politisches Bündnis, das ein Gegengewicht bildet zu jenem Zusammenspiel von ellbogenliberaler Deregulierung und schnittigem Neuressentiment - ein Bündnis, das Wertkonservative ( ... ) aber auch moderne Liberale umfasst ( ... ) und vor allem eine moderne und weltoffene Linke ( ... ) für eine demokratisch regulierte Globalisierung, die nicht einseitig vom globalen Kapitalismus bestimmt wird."
So entfaltet Reinhard Olschanski in seinem Buch ein umfassendes, gut sortiertes Spektrum über die Entstehung und Entwicklung von Ressentiments. Dabei sind einige Passagen zu akademisch und schwer verdaulich geraten. Umso schlichter dagegen die Therapie, denn es läuft am Ende doch wieder auf eine Neoliberalismus-Schelte hinaus, während etwa das verschwörungsideologisch getränkte antiamerikanische Ressentiment kaum Berücksichtigung findet.
Immerhin nennt Olschanski als Beispiel für den Umschlag von Inklusion in Exklusion islamophobische Tendenzen auf Seiten der Frauenbewegung. Doch damit dürfte der inzwischen in die Düsseldorfer Landtagsfraktion gewechselte Autor nach den Ereignissen in der Kölner Silvesternacht nicht sehr weit kommen.
Reinhard Olschanski: "Ressentiment. Über die Vergiftung des europäischen Geistes"
Wilhelm Fink Verlag, 228 Seiten, 29,90 Euro
Wilhelm Fink Verlag, 228 Seiten, 29,90 Euro