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Enttäuschender Start

Mit Schillers "Jungfrau von Orleans" und "Hörst du mein heimliches Rufen" des jungen Dramatikers Thomas Jonigk ist das Schauspiel Frankfurt in die neue Saison gestartet. Die Inszenierungen enttäuschen. Die Regisseurinnen Simone Blattner und Tina Lanik liefern eine wenig ergiebige Sicht auf die Texte der beiden männlichen Autoren.

Von Cornelie Ueding |
    "Hörst du mein heimliches Rufen?", fragt der Titel in unübersehbarem Bemühen um ironische Gebrochenheit. Und man vermutet die derzeit handelsübliche Mischung aus Klischees, Kitsch und Betroffenheit. Man vermutet richtig – und wird doch eines besseren belehrt. Denn belehrselig ist Thomas Jonigks in Frankfurt uraufgeführtes Stück in geradezu erschreckendem Maße. Die Figuren - wenn man das, was der Autor da an Karikaturen anbietet, "Figuren" nennen darf - zappeln, kreischen, gestikulieren sich fast zwei Stunden lang wortreich durch Gott und die Welt: Waffenhandel, Osterweiterung, Prostitution, Adoption, Vergewaltigung in der Ehe, Arbeitswut und Suizid, Arbeitsscheu und Asozialität, Konsumterror, Shoppen, Ficken, Krieg und Terror, eigentlich kommt außer Medienkritik alles vor. Man fühlt sich in einen Crash-Kurs im Zeitraffer versetzt, Thema: Wertezerfall des Westens. Nur nicht ins Theater.

    Denn es gibt zwar eine symmetrisch in Raum und Traumraum mit einer kaum wahrnehmbaren diagonalen Trennungslinie geteilte Bühne samt dazugehörigen Träumen und Albträumen, aber es gibt keine konkreten Situationen, und nicht mal grobe Kränkungen können emotionale Reaktionen auslösen. Die Demonstrationsfiguren stammen aus der Retorte der Feminismustheorie der letzten 20 Jahre: sozusagen dreifacher Jelinek mit Anlauf –von der Kolonisierung des weiblichen Körpers bis zur Phallokratie, vom toten Körper der Frau bis zum Ekelexzess, von der Orgasmuslüge bis zur weiblichen Identitätsfindung. Das Ganze wird nun von einem männlichen Autor so hilflos, hemmungslos anbiedernd, verspätet und plakativ durchexerziert, dass es richtig wehtut. Leider nicht da, wo es im Theater wehtun sollte: im Kopf, im Herzen, in den Nerven.

    Dafür gibt es eine Moral: Am Ende wird sich der männliche Protagonist, mittlerweile gekündigt (wie vorhergesagt), in weißer Unterhose mit Blut im Genitalbereich (wie vorausgesagt) mit einer Parabellum (wie vorausgesagt) eine Kugel in den Kopf jagen. Der im roten Anzug und manchmal auch in Unterwäsche mitspielende Todesengel wird ungeduldig assistieren. Dieser Tor wird vom Tod zwar nicht mehr, wie noch bei Hofmannsthal, erleuchtet, aber es riecht mächtig nach morality play, wenn sich der skrupellose Zyniker aus der Vorstandsetage eines Waffenhändlers selbst richtet, nachdem er die Frau vergewaltigt, die neue Ehefrau in spe, eine russische Prostituierte, geschändet und den Adoptivsohn aus der Ex-DDR gedemütigt hat. Zum tröstlichen happy end werden dafür Mutter und Adoptivsohn ein Paar. Was hier wortreich zu einer lauen Halbfarce verarbeitet wurde, sieht man inzwischen in jeder Vorabend-Familienserie fundierter, differenzierter und realitätshaltiger.

    Die talentierte Nachwuchsregisseurin Tina Lanik konnte an ein paar Stellen szenische Fantasie und Handwerk zeigen. Mehr ist nicht drin bei diesem sottisenwütigen, von These zu Gegenthese jagenden Text à la "Der Mann ist ein Verbrecher - aber auch Opfer".

    Wenn es einen gemeinsamen Nenner gibt zwischen dieser fragwürdigen Uraufführung und Simone Blattners Neuinszenierung von Schillers "Jungfrau von Orleans", dann liegt er in der Vereinfachung. Johanna, mit langen blonden Zöpfen die verkörperte Unschuld vom Lande, stammt aus einem Milieu, in dem es nur so gurrt, blökt und muht. Sendungsbewusst und wirkungsmächtig mischt sie sich ein ins große Weltgeschehen - und erliegt dann irgendwann doch ihren Gefühlen. Damals wie heute ist der Karriereknick vorprogrammiert. Aufstieg und Fall der Johnanna d’Arc - das ist eine weibliche Vita des Leidens, die sie zur Jungfrau der Herzen macht. Alle anderen Figuren sind Chargen, eindimensional, vom schwächelnden König von Frankreich bis zu seiner rabiat intrigierenden, mit den Feinden kollaborierenden Mutter Isabeau. Gespielt wird auf Natascha von Steigers steilem mobilen Podest. Das ermöglicht schnelle Perspektiven- und Szenenwechsel. Die Figuren sind immer schon da, stehen auf der anderen Seite bereit oder springen auf, nehmen eine, freilich allzu oft an Darstellungen des sozialistischen Realismus erinnernde Position ein – in der sie dann meist auch verharren: erstarrt, Gefangene ihrer Ideologie. Leider liefern sie auch ihren Text sozusagen en bloc ab. Markige Staccato-Sprechchöre im Wechsel mit Aufsagepassagen, mit und ohne Furor, mit und ohne Gesumme und Gesumse als atmosphärische Untermalung.

    Da entstehen keine Situationen zwischen Personen, sollen wohl auch nicht entstehen – und die politische Dimension des Stückes, das mehrschichtige Intrigenspiel, samt Funktionalisierung und Medialisierung der Jungfrau bleiben auf der Strecke. Simone Blattner hat für die Aufführung einen guten Rhythmus gefunden, aber man kann nicht sagen, dass, in beiden Fällen, die Sicht weiblicher Regieteams auf von Männern geschriebene Texte bei diesem Frankfurter Saisonstart besonders ergiebig wäre.