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Entwarnung beim Robbensterben in der Nordsee

Im Laufe des Sommers starben im internationalen Wattenmeer rund 11.000 Seehunde. An allen Küsten wurden die Kadaver angeschwemmt. Die toten Tiere waren aufgedunsen und ihre Lungen waren aufgebläht. Als Ursache identifizierten die Forscher das Seehundstaupevirus, bekannt aus der Epidemie von 1988. Schnell verbreitete sich die Krankheit unter der Wattenmeerpopulation. Auch der Ausgangspunkt war derselbe. Die Krankheit brach zunächst auf den dänischen Inseln Anholt und Laesoe im Kattegat aus. Die Seehundforscher stellten fest, dass die Tiere zwar recht gesund waren, aber keinerlei Antikörper aufwiesen. Dadurch waren sie empfänglich für die Krankheit. Wie geht es den Seehunden jetzt?

von Annette Eversberg |
    Vor einem knappen Monat wurde das Seehundsterben im Wattenmeer offiziell für beendet erklärt. Und Naturschützer in diesen Tagen sogar Grund zur Freude. Bei den Kegelrobben vor Sylt und Amrum, die im Winter ihre Jungen zur Welt bringen, gab es Nachwuchs, berichtet Lothar Koch von der Schutzstation Wattenmeer auf Sylt.

    Wir haben auf unserer Kontrollfahrt zusammen mit dem Zollschiff Kniepsand schon 15 Jungtiere gezählt. Und das ist schon eine stattliche Zahl wenn man bedenkt, dass wir im schleswig-holsteinischen Wattenmeer nur etwa 20-50 Alttiere haben.

    Kegelrobben sind größer und schwerer als ihre Artgenossen, die Seehunde. Und ihre ursprüngliche Heimat ist die Arktis. Deshalb ist es nicht ungewöhnlich, dass sie ihre Jungen im Winter zur Welt bringen. Beachtlich ist aber, dass die jetzige Geburtenrate vom guten Vorjahresergebnis nicht weit entfernt ist. Lothar Koch:

    Wir beobachten die kleine Kegelrobbenkolonie vor Sylt und Amrum bereits seit über 10 Jahren, und die Geburtenzahlen haben sich im Laufe dieser Zeit langsam gesteigert, und im letzten Jahr hatten wir ein Rekordergebnis von 21 Jungtieren. Jetzt kurz vor Weihnachten schon 15, die Wurfzeit, so rechnen wir bis Ende Januar, wir gehen also davon aus, dass noch nachgeworfen wird. Und sind gespannt, ob in dieser Wurfzeit der Rekord noch einmal gebrochen wird.

    Die Epidemie unter den Seehunden ist an den Kegelrobben fast spurlos vorbeigegangen. Zwar gab es etwa 22 Todesfälle. Doch auf die Gesamtpopulation im Wattenmeer berechnet waren es allenfalls 5 Prozent, während bei den Seehunden insgesamt über 40 Prozent starben. Den Grund sieht Lothar Koch in der Art des Virus:

    Dieser Staupevirus ist ganz eng auf die Art Seehund eingeschossen. Es ist offensichtlich für sehr schwache Tiere auch übertragbar, aber normale Kegelrobben, die gut gesund sind, scheinen sich den Virus nicht einzufangen.

    Das bedeutet jedoch für die Verwandten der Kegelrobben, die Seehunde, keine Entwarnung. Dass das Sterben beendet ist, hat aus Sicht von Dr. Ulrich Rösner von der Umweltstiftung WWF in Husum eher saisonale Gründe:

    Wir nehmen an, dass es so ähnlich ist, wie beim ersten Seehundsterben 1988. Und da ist es auch so gewesen, dass zum Herbst hin die Epidemie erloschen ist. Das liegt einerseits daran, dass die besonders empfindlichen Tiere, deren Immunsystem nicht ausgereicht hat, um sie überleben zu lassen, zu diesem Zeitpunkt gestorben waren, zum anderen, weil die Tiere die Sandbänke verlassen, wo sie eng zusammen liegen, und sich in der offen Nordsee aufhalten und sich dort auch nicht mehr anstecken.

    Für das kommende Jahr hoffen die Experten, dass sich der Verlauf des letzten Seehundsterbens wiederholt. Das bedeutet, dass die überlebenden Tiere so viele Abwehrkräfte haben, dass es 2003 keine weiteren Todesfälle mehr gibt. Das hängt allerdings nicht nur vom Virus ab. Entscheidend ist nach wie vor für die Seehunde die Schadstoffsituation in der Nordsee. Wie sehr Schadstoffe wie die Schwermetalle den Seehunden schaden können, weiß man wiederum von den Kegelrobben der Ostsee. Obwohl die Tiere widerstandsfähig sind, haben Schadstoffe, die in die Gebärmutter der weiblichen Kegelrobben drangen, Anfang des Jahrhunderts die gesamten Kegelrobbenbestände der Ostsee ausgerottet. Vom Seehundsterben 1988 ist zudem bekannt, dass damals ein enger Zusammenhang zwischen der Schadstoffbelastung der Tiere und der Schwächung des Immunsystems bestand. Diesen Kenntnisstand gibt es- so Hans Ulrich Rösner, heute jedoch nicht.

    Wir wissen zwar, dass in die Nordsee Schwermetalle in geringerem Maße hineinkommen. Das ist ein Erfolg der Umweltpolitik. Ob dies aber den Seehunden auch geholfen hat, und das der Anteil der sterbenden Seehunde noch geringer ist als 1988, das können wir heute nur vermuten, weil niemand sich bislang angeschaut hat, was eigentlich heute in den Seehunden noch drin ist.

    Es geht also vor allem darum, nach den Ursachen der Seuche zu forschen. Dazu gehört nach wie vor eine Klärung der Frage, warum das Seehundsterben wie 1988 wieder auf denselben Ostseeinseln ausgebrochen ist. Waren es Nerze, wie behauptet wurde, oder auch andere Tiere. Bisher haben die Fachleute noch keine Antwort darauf gefunden.