An diesem Montag (10.08.) meldet das Robert Koch-Institut 436 Neuinfektionen. Waren die höheren Zahlen der Vortage kurze Ausrutscher?
Wohl leider nicht. Die Zahlen schwanken im Wochenverlauf. Sonntag und Montag liegen sie immer besonders niedrig, steigen dann im Lauf der Woche an. Am Freitag und Samstag liegen sie am höchsten. Das liegt an der Auswertung der Gesundheitsämter. Die testen zwar, melden aber die Zahlen nicht so schnell weiter.
Deshalb muss man den heutigen Montagswert mit 436 Neuinfektionen mit anderen Montagszahlen vergleichen. Mitte Juli wurden da nur 159 gemeldet. Die Werte liegen also mehr als doppelt so hoch, und das gilt für das Ende vergangener Woche mit Werten über 1.000 genauso wie für den Sonntag und den Montag. Es ist zu befürchten, dass die Zahlen im Verlauf der Woche weiter deutlich steigen.
Wie wichtig ist vor diesem Hintergrund die Reproduktionszahl R?
Der R-Wert beschreibt nicht die aktuelle Entwicklung der Neuinfektionen, sondern die Trends vor ein, zwei Wochen. Damals war die Epidemie relativ stabil, aber auf eher niedrigem Niveau. Gerade unter diesen Bedingungen haben kleine Abweichungen, etwa wegen eines Meldeverzugs, großen Einfluss auf den R-Wert. Der schwankt deutlich. Das zeigt sich auch im Unsicherheitsbereich. So langsam nimmt der R-Wert den Anstieg der Zahlen in den Blick und wird heute vom RKI auf den Bereich zwischen 1,03 und 1,52 geschätzt. Steigt der R-Wert über 1, breitet sich die Epidemie tendenziell aus. Und das obwohl die aktuellen Zahlen fallen. Das ist kein Widerspruch, einzelne Zahlen können in die Irre führen, deshalb ist es wichtig, unterschiedliche Maße zu betrachten und vor allem zu gucken: Wohin geht der Trend.
Laut RKI sind immer weniger Kreise in Deutschland frei von COVID-19. Was bedeutet das?
Die Bedeutung großer Ausbrüche wie etwa im Fall Tönnies nimmt tendenziell ab. Das Virus konzentriert sich nicht, es findet sich an vielen Orten diffus verteilt. Das spiegelt sich eben darin wider, dass die Zahl der Kreise, die eine Woche lang gar keine Neuinfektion registriert haben, beständig gesunken ist, auf jetzt unter 50 von 401 Kreisen und kreisfreien Städten.
Wenn es jetzt aber an vielen Stellen zu kleinen Ausbrüchen kommt, dann ist das für die Amtsärzte eine Herausforderung. Die Vorstellung, dass das Virus nicht in kleine Gemeinden gelangt, ist eine Illusion. Was viele Gesundheitsämter beobachten, ist, dass kleine Ausbrüche auf Reisende zurückgehen. Von daher kommen die Infektionen auch keineswegs nur aus Risikogebieten, sondern auch aus vielen Urlaubsländern.
Wie können die Behörden auf die veränderte Situation reagieren?
Testen ist in jedem Fall eine gute Maßnahme. Die überwiegende Mehrzahl der Ansteckungen findet nach wie vor innerhalb Deutschlands statt. Das heißt für alle: Abstand halten, Maske auf, Händewaschen, Lüften. Gesundheitsminister Jens Spahn hat angemerkt: Fallzahlen um die 1.000 können die Gesundheitsämter bewältigen. Das heißt: Person isolieren, Kontaktpersonen finden, ebenfalls isolieren und testen. Wenn die Zahlen steigen, wird das schwierig.
Der Virologe Christian Drosten schlägt eine etwas andere Strategie vor: Wenn jemand positiv getestet wird, dann sollte zunächst abgeklärt werden, ob die Person an einem Ort war, wo andere leicht angesteckt werden konnten. Zum Beispiel auf einer Party, bei einem Gottesdienst oder am Arbeitsplatz. Das sind Situationen, wo es zu Superspreader-Ereignissen kommen kann. Die Kontaktpersonen sollten dann direkt für fünf Tage in Quarantäne und erst dann getestet werden. So könnten viele Übertragungen mit vergleichsweise kleinem Aufwand verhindert werden. Allerdings müssten sich dann auch viele Personen isolieren.