Libyen sei ein reiches Land, sagte Kobler im Deutschlandfunk. "Es ist nicht eine Frage des Geldes, es ist letztlich ein Kampf um die Verteilung von Öl und Macht". Es gebe immer noch Kräfte im Osten des Landes, die die Einheitsregierung nicht anerkannt hätten. In Tripolis würden die Milizen die Einheitsregierung nur tolerieren.
Der UNO-Sondergesandte warb deshalb für den Plan, eine einheitliche Sicherheitsstruktur in Libyen aufzubauen. Es müssten Kommandostrukturen aufgebaut werden, die ganz klar der Regierung unterstellt seien. "Nach 42 Jahren Gaddafi-Diktatur, nach fünf Jahren Chaos ist das keine Sache, die über Nacht geschieht."
Nach Ansicht des UNO-Sondergesandten steht das Land vor großen Herausforderungen. "Vieles, was jetzt in Libyen gemacht werden muss, geschieht zum ersten Mal. Starke Institutionen gab es dort nie", so Kobler. Er fügte hinzu, es gehe darum einen Staat aufzubauen, den es in dieser Form bislang noch nicht gegeben habe. Zugleich warnte er vor dem Einfuss des sogenannten Islamischen Staates. Überall dort, wo es ein militärisches und politisches Vakuum gebe, breite sich der Terrorismus aus. Mit Blick auf die US-Luftangriffe gegen Milizen in dem Land meinte Kobler, es sei wichtig, dass die Souveränität des Landes respektiert werde. Die libysche Regierung habe in diesem Fall aber um Unterstützung gebeten.
Das Interview in voller Länge:
Ann-Kathrin Büüsker: Mindestens 22 Tote und 20 Verletzte, das ist die traurige Bilanz der Nacht in Bengasi. In der Hafenstadt im Nordosten von Libyen ist am Abend eine Autobombe explodiert – der Anschlag steht in einer Reihe mit vielen anderen. Libyen kommt einfach nicht zur Ruhe. Ich habe heute Morgen mit dem UN-Sondergesandten für Libyen sprechen können, mit Martin Kobler, und im Angesicht dieser zahlreichen neuen Anschläge habe ich ihn gefragt, wie sehr er sich um die Stabilität des Landes sorgt.
Martin Kobler: Also das Land ist ja geteilt, es ist fragmentiert, es ist bereits seit Jahren in verschiedene Machtzentren zerfallen, und wir versuchen, das Land jetzt wieder zusammenzubringen, aber es sind die Libyer selbst, die das machen müssen. Die internationale Gemeinschaft kann da nur helfen, kann assistieren mit politischen Programmen. Wir haben ja das libysche Abkommen unterzeichnet mit den Libyern zusammen Ende letzten Jahres, und das gilt es jetzt umzusetzen, besonders damit die Gewalt hier nicht weiter um sich greift. Die Entwicklungen sind natürlich beunruhigend.
Büüsker: Wie viel Rückendeckung hat denn die international anerkannte Einheitsregierung im Land?
Kobler: Internationale Rückendeckung 100 Prozent. Der Sicherheitsrat hat das einstimmig abgesegnet, der Präsidentschaftsrat der Regierung der nationalen Einheit ist die anerkannte Regierung – Arabische Liga, Europäische Union, Afrikanische Union, alle sind hier an Bord –, aber es gibt natürlich Widersacher im eigenen Lande, in Libyen, und die gilt es zu gewinnen, weil es kann so nicht weitergehen. Libyen ist ja ein reiches Land, es ist nicht eine Frage des Geldes, es ist letztlich auch ein Kampf um die Verteilung von Öl, von Geld, von Macht im Lande.
Büüsker: Wer sind diese Widersacher?
Kobler: Nun, es gibt Kräfte im Osten, die immer noch nicht diese nationale Einheitsregierung anerkannt haben. Die beiden Regierungen, die vorher existierten, sind nicht mehr aktiv, die Zentralbank ist unter der Kontrolle der Einheitsregierung, das heißt, das Geld fließt in die neue Regierung. Die neue Regierung sitzt in Tripolis, allerdings ist noch schwach auf der Brust, was die Umsetzung anbelangt. Auch die soziale Lage ist schlechter, als das vorher war. Es gibt weniger Elektrizität als vorher, der Wechselkurs ist gestiegen zum Dollar, das heißt, die Leute müssen sehr viel mehr für ihre Grundbedürfnisse bezahlen – all dies muss die neue Regierung ganz schnell in Angriff nehmen.
Büüsker: Wie sehr ist die Regierung dabei auch von den lokalen Milizen abhängig?
Kobler: Tripolis wird ja immer noch – und besonders der Westen des Landes – von Milizen beherrscht, es sind verschiedene Machtzentren, und diese Milizen, vor allem in Tripolis, tolerieren diese Regierung. Deswegen ist unser Schwerpunkt, hier eine einheitlich libysche Sicherheitsstruktur aufzubauen, eine einheitliche libysche Armee, nicht Milizen, das muss überführt werden in Kommandostrukturen, die ganz klar der Regierung unterstellt werden. Und das Gleiche gilt auch für die Polizei, nur ist das natürlich nach 42 Jahren Gaddafi-Diktatur, nach fünf Jahren Chaos im Land keine Sache, die über Nacht geht.
"Der Einfluss von Daish wurde begrenzt"
Büüsker: Wir haben jetzt am Beginn der Woche, am Montag, Luftschläge der Amerikaner erlebt gegen Daish, den selbst ernannten islamischen Staat – wie groß ist der Einfluss von Daish in Libyen?
Kobler: Nun, Daish ist und war ein ganz großes Problem, denn überall da, wo ein militärisches und politisches Vakuum existiert, da dehnt sich natürlich der Terrorismus und der Islamische Staat aus. Der Golf von Sirte war auf einer Breite von 240 Kilometern von Daish beherrscht, und seit einigen Wochen, Monaten hat die Regierung nun versucht, mit vor allem Truppen der Küstenstadt Misrata den Einfluss von Daish im Golf von Sirte zu begrenzen. Die Regierung hat auch die Amerikaner hier um Hilfe gebeten, und die ersten Luftschläge haben da vor einigen Tagen stattgefunden. Ganz wichtig, dass die Souveränität des Landes hier respektiert wird, das muss die Regierung anfordern, und das ist hier geschehen, und man kann schon jetzt sagen, nach den ersten Wochen, dass der Einfluss von Daish begrenzt wurde. Allerdings ist es natürlich auch nicht eine Sache, die von heute auf morgen geht.
"Die Milizen müssen überführt werden in eine richtige Armee"
Büüsker: Wie sehr ist Libyen dabei auf ausländische Unterstützung angewiesen?
Kobler: Libyen ist im Prinzip ein reiches Land, das heißt, es ist nicht eine Frage des Geldes – es ist allerdings eine Frage der Ausrüstung der Armee, die es ja noch gar nicht so gibt. Wir drängen, wie ich gesagt habe, wirklich auf einheitliche Kommandostrukturen und die Bildung einer Armee. Die Milizen müssen überführt werden in eine richtige Armee, die es in dieser Form in Libyen auch gar nicht gab. Es gab zwar unter Gaddafi eine Armee, die aber keine konsolidierte Kommandostruktur hatte, die im Land verteilt war. Vieles, was in Libyen jetzt gemacht werden muss, wird zum ersten Mal in der Geschichte Libyens gemacht, starke Institutionen gab es dort nie – nach 42 Jahren Gaddafi-Diktatur und dem Chaos, was hinterher folgte. Und daran arbeitet die internationale Gemeinschaft, und dafür brauchen die Libyer internationale Unterstützung und Hilfe.
Büüsker: Und wie muss diese Hilfe aussehen, ganz konkret?
Kobler: Diese Hilfe muss vor allem in politischem Druck erst mal aussehen, dass man die Landesteile wieder zusammenführt. Die Regionalmächte, die Nachbarstaaten Libyens, haben ja ein großes Interesse, dass da kein Überschwappen des Terrorismus auf ihre Territorien nach Ägypten, nach Tunesien, nach Algerien, aber auch in den Süden, Niger und Tschad stattfindet. Das heißt, die Überzeugungsarbeit, die konsolidierte, einheitliche Überzeugungsarbeit der internationalen Gemeinschaft auf die Akteure hier in Libyen, dass die Einhaltung und Stabilität des Landes besser ist als die Fragmentierung und die politischen Spiele, die hier gerade stattfinden, das muss das Parlament entscheiden, dass diese Regierung der nationalen Einheit endlich anerkannt wird. Das Parlament trifft sich ja nicht mal. Und das ist ganz wichtig, dass die Strukturen, die existieren, nach dem libyschen politischen Abkommen, dass die Schritt für Schritt implementiert werden, dass sie eingesetzt werden und dass man wirklich jetzt zur Tagesarbeit übergeht, gleichzeitig aber die Elektrizitätsproduktion gesteigert wird, dass der Ölexport gesteigert wird, dass mehr Geld in die Kasse kommt, weil das Land unter einem Budgetdefizit leidet.
"Es geht darum, einen Staat neu aufzubauen"
Büüsker: Herr Kobler, das klingt jetzt alles sehr verzwickt – wie optimistisch sind Sie für die Zukunft des Landes?
Kobler: Es gibt keinerlei Alternative, als diesen Weg jetzt zu gehen. Wir blicken zurück nach 2011 auf sehr wechselhafte Entwicklungen. Es geht darum, einen Staat neu aufzubauen, den es in dieser Form noch nie gegeben hat, und alle Mitglieder der internationalen Gemeinschaft, vor allem der Anrainerstaaten, sind bereit, das zu machen. Wir sind bereit, das zu machen, es gibt keine Alternative. Das ist keine Frage des Optimismus oder Pessimismus, das ist der Weg: Umsetzung des libyschen politischen Abkommens, starke Institutionen bilden, auch wenn es etwas dauert den Terrorismus bekämpfen und die Grundbedürfnisse der Bevölkerung sichern.
Büüsker: Sagt Martin Kobler, UN-Sondergesandter für Libyen. Das Interview haben wir heute Morgen aufgezeichnet.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.