Ein typisches Frühchengreinen. Man kann es hören – den Unterschied zu einem normal geborenen Kind. Aber wissen, was das auf lange Sicht bedeutet, wie genau sich dieser Mensch entwickeln wird, wissen kann man es nicht. Noch nicht. Die Langzeitbeobachtung von extremen Frühchen ist noch jung. Eine der ersten Studien hierzu ist die Epicure-Studie. Dafür wurden alle Frühchen untersucht, die 1995 auf Neonatalstationen in Großbritannien und Irland geboren wurden und 26 oder weniger Schwangerschaftswochen im Mutterleib waren. Jetzt – nach über zehnjähriger Nachbeobachtung können die Forscher sagen, dass bei dieser Gruppe extrem Frühgeborener das Krankheitsbild des Autismus überraschend oft auftritt.
"Gegenüber normativen Stichproben ist es zwischen zehn und 60 Mal erhöht. Das ist wirklich eine sehr hohe Rate","
sagt Professor Dieter Wolke von der Universität Warwick, der die Epicure-Studie leitet. Die betroffenen extremen Frühchen leiden dabei fast ausschließlich unter der schweren Form des Autismus, sind tiefgreifend in ihrer kognitiven und sozialen Entwicklung gestört. Das so genannte Aspergersyndrom hingegen – bei dem Kinder zwar ein auffälliges Sozialverhalten und Rituale zeigen, aber sich sprachlich und kognitiv normal entwickeln, taucht praktisch nicht auf. Dieses Ergebnis ist völlig neu und: überraschend – meint Dr. Wolfgang Voss, der am Sozialpädiatrischen Zentrum in Hannover ebenfalls seit zehn Jahren Frühchen nachuntersucht.
""Professor Wolke, er hat in der Tat höhere Zahlen von autistischen Verhaltensauffälligkeiten. Wir haben sicherlich auch sehr viel höhere Zahlen , als es dem reifen Kollektiv entspricht, aber uns war es so eklatant nicht ins Auge gestoßen. Also bei uns waren es nicht mehr als zwei Prozent. Aber ich möchte da betonen, er hat eine Klientel noch unreiferer Kinde als wir das haben."
In Hannover wurden zum einen sehr viel weniger, nämlich nur 200 Frühchen im Vergleich zu 4000 bei der britischen Studie untersucht, und außerdem waren die Kinder an die 28 Schwangerschaftswochen im Mutterleib – also knapp zwei Wochen länger, als die für die Epicure-Studie ausgewählten Frühchen. Zwei Wochen, das hört sich nach nicht wesentlich mehr an, doch während der Schwangerschaft zählt fast jeder Tag - vor allem in der Hirnentwicklung. Und für eine Geburt vor der 26. Woche heißt das:
"Die wenigen Studien, die es gibt, die wöchentlich bei den extrem Frühgeborenen schon in der Neonatalstation Computertomographien durchführen konnten, haben gezeigt, dass zum Beispiel die Faltung des Cortex nur etwa 60 Prozent von Reifgeborenen ist und dass sich auch die Masse verringert. Das heißt allgemein, dass das Gehirn sich anders entwickelt schon frühzeitig aufgrund der extrem frühen Geburt."
Außerhalb des Mutterleibs kann das Gehirn sich offenbar nicht mehr "normal" aufbauen und gliedern. Für die autistischen Störungen könnte es also eine biologische Ursache geben.
"Es liegt einfach daran, dass ein anderes Gehirn gebaut wird, wo zum Beispiel Dinge, die damit zu tun haben, soziale Stimuli zu erkennen, bei manchen von diesen Frühgeborenen sich anders entwickeln."
Ob sich damit der Autismus bei Frühchen erschöpfend erklären lässt – da sind sich die Forscher allerdings nicht sicher. Extreme Frühchen bleiben oft monatelang in der Klinik, werden künstlich beatmet, teilweise von ihren Eltern getrennt, haben verschiedene Betreuer. Möglicherweise hat diese Situation ebenfalls einen nachhaltigen Einfluss. Interessanterweise fanden die britischen Forscher nämlich ähnliche Ergebnisse bei den sogenannten rumänischen Adoptionsstudien . Dort wurden Kinder aus Waisenhäusern der Ceauscescu-Ära untersucht wurden.
"Diese rumänischen Kinder sind eigentlich normal geboren, die wurden früher vom Ceauscescu-Regime einfach weggenommen von den Eltern, um vom Staat erzogen zu werden. Wurden aber schwer vernachlässigt, sie haben oft in schrecklichen Verhältnissen gelebt, waren 23 Stunden alleine, haben wenig Kontakt gehabt zu anderen Kindern und selbst wenn sie adoptiert wurden in die westliche Welt finden sich jetzt noch häufiger autistische Störungen bei diesen Kindern."
Die rumänischen Kindern haben soziale Stimuli nie bekommen und dieser Mangel hat ihre Gehirnentwicklung beeinflusst. Inwiefern die Situation, in der extreme Frühchen in den ersten Monaten auf der Intensivstation aufwachsen, zum Autismus beiträgt, läßt sich noch nicht sagen. Umweltfaktoren haben gewiss einen Einfluss - vieles aber spricht dafür, dass die biologischen Ursachen schwerer wiegen: unter 26 Wochen - das ist einfach wenig Zeit, für die Entwicklung eines so komplexen Organs wie es das Gehirn ist.
Hinweis: Am kommenden Sonntag, 17. Januar, 16:30 Uhr, hören Sie im Deutschlandfunk, Wissenschaft im Brennpunkt, einen Schwerpunkt zum Thema Wie es Frühchen später geht.
"Gegenüber normativen Stichproben ist es zwischen zehn und 60 Mal erhöht. Das ist wirklich eine sehr hohe Rate","
sagt Professor Dieter Wolke von der Universität Warwick, der die Epicure-Studie leitet. Die betroffenen extremen Frühchen leiden dabei fast ausschließlich unter der schweren Form des Autismus, sind tiefgreifend in ihrer kognitiven und sozialen Entwicklung gestört. Das so genannte Aspergersyndrom hingegen – bei dem Kinder zwar ein auffälliges Sozialverhalten und Rituale zeigen, aber sich sprachlich und kognitiv normal entwickeln, taucht praktisch nicht auf. Dieses Ergebnis ist völlig neu und: überraschend – meint Dr. Wolfgang Voss, der am Sozialpädiatrischen Zentrum in Hannover ebenfalls seit zehn Jahren Frühchen nachuntersucht.
""Professor Wolke, er hat in der Tat höhere Zahlen von autistischen Verhaltensauffälligkeiten. Wir haben sicherlich auch sehr viel höhere Zahlen , als es dem reifen Kollektiv entspricht, aber uns war es so eklatant nicht ins Auge gestoßen. Also bei uns waren es nicht mehr als zwei Prozent. Aber ich möchte da betonen, er hat eine Klientel noch unreiferer Kinde als wir das haben."
In Hannover wurden zum einen sehr viel weniger, nämlich nur 200 Frühchen im Vergleich zu 4000 bei der britischen Studie untersucht, und außerdem waren die Kinder an die 28 Schwangerschaftswochen im Mutterleib – also knapp zwei Wochen länger, als die für die Epicure-Studie ausgewählten Frühchen. Zwei Wochen, das hört sich nach nicht wesentlich mehr an, doch während der Schwangerschaft zählt fast jeder Tag - vor allem in der Hirnentwicklung. Und für eine Geburt vor der 26. Woche heißt das:
"Die wenigen Studien, die es gibt, die wöchentlich bei den extrem Frühgeborenen schon in der Neonatalstation Computertomographien durchführen konnten, haben gezeigt, dass zum Beispiel die Faltung des Cortex nur etwa 60 Prozent von Reifgeborenen ist und dass sich auch die Masse verringert. Das heißt allgemein, dass das Gehirn sich anders entwickelt schon frühzeitig aufgrund der extrem frühen Geburt."
Außerhalb des Mutterleibs kann das Gehirn sich offenbar nicht mehr "normal" aufbauen und gliedern. Für die autistischen Störungen könnte es also eine biologische Ursache geben.
"Es liegt einfach daran, dass ein anderes Gehirn gebaut wird, wo zum Beispiel Dinge, die damit zu tun haben, soziale Stimuli zu erkennen, bei manchen von diesen Frühgeborenen sich anders entwickeln."
Ob sich damit der Autismus bei Frühchen erschöpfend erklären lässt – da sind sich die Forscher allerdings nicht sicher. Extreme Frühchen bleiben oft monatelang in der Klinik, werden künstlich beatmet, teilweise von ihren Eltern getrennt, haben verschiedene Betreuer. Möglicherweise hat diese Situation ebenfalls einen nachhaltigen Einfluss. Interessanterweise fanden die britischen Forscher nämlich ähnliche Ergebnisse bei den sogenannten rumänischen Adoptionsstudien . Dort wurden Kinder aus Waisenhäusern der Ceauscescu-Ära untersucht wurden.
"Diese rumänischen Kinder sind eigentlich normal geboren, die wurden früher vom Ceauscescu-Regime einfach weggenommen von den Eltern, um vom Staat erzogen zu werden. Wurden aber schwer vernachlässigt, sie haben oft in schrecklichen Verhältnissen gelebt, waren 23 Stunden alleine, haben wenig Kontakt gehabt zu anderen Kindern und selbst wenn sie adoptiert wurden in die westliche Welt finden sich jetzt noch häufiger autistische Störungen bei diesen Kindern."
Die rumänischen Kindern haben soziale Stimuli nie bekommen und dieser Mangel hat ihre Gehirnentwicklung beeinflusst. Inwiefern die Situation, in der extreme Frühchen in den ersten Monaten auf der Intensivstation aufwachsen, zum Autismus beiträgt, läßt sich noch nicht sagen. Umweltfaktoren haben gewiss einen Einfluss - vieles aber spricht dafür, dass die biologischen Ursachen schwerer wiegen: unter 26 Wochen - das ist einfach wenig Zeit, für die Entwicklung eines so komplexen Organs wie es das Gehirn ist.
Hinweis: Am kommenden Sonntag, 17. Januar, 16:30 Uhr, hören Sie im Deutschlandfunk, Wissenschaft im Brennpunkt, einen Schwerpunkt zum Thema Wie es Frühchen später geht.