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Entwicklungs-Experte
Digitalisierung kann grüne Wirtschaft voranbringen

Digitalisierung müsse mit Klimaschutz und nachhaltigem Wirtschaften zusammengebracht werden, sagte Entwicklungsexperte Dirk Messner im Dlf. "Bisher funktioniert das noch nicht." Inzwischen gebe es "technologische Werkzeuge", die die Energieeffizienz, Dekarbonisierung und den Klimaschutz vorantreiben könnten.

Dirk Messner im Gespräch mit Susanne Kuhlmann |
Ein Windrad am blauen Himmel
Klimaschutz und Armutsbekämpfung seien zwei Seiten einer Medaille, sagte Politikexperte Messner im Dlf. Die neuen Technologien könnten uns helfen, diese Probleme schneller zu lösen. (picture alliance / dpa / blickwinkel)
Susanne Kuhlmann: Von "kein Hunger" bis "Maßnahmen zum Klimaschutz" reichen die 17 Ziele, die die Vereinten Nationen vor knapp vier Jahren in der "Agenda 2030" vereinbart haben. Das klingt gut, aber wie lassen sich die Ziele realisieren? – Antworten will der Wissenschaftliche Beirat der Bundesregierung "Globale Umweltveränderung (WBGU) mit seinem Politikpapier geben, einem 20seitigen Extrakt aus einem großen Gutachten vom vergangenen April. Das Beratergremium der Bundesregierung stellt dieses Papier heute im Rahmen einer Veranstaltung der Ständigen Vertretung Deutschlands bei den Vereinten Nationen in New York vor. Zentraler Aspekt ist die Digitalisierung.
Wie kann sie die nachhaltige Entwicklung und den Klimaschutz voranbringen? Das frage ich Professor Dirk Messner, den Vorsitzenden des Gremiums. Wir haben ihn gestern in New York erreicht.
Dirk Messner: Zunächst mal ist es sehr wichtig zu verstehen, dass Digitalisierung – darunter verstehen wir Künstliche Intelligenz, automatisierte Entscheidungssysteme, virtuelle Räume. Diese Dimensionen, von denen wir ja merken, dass sie alle unsere Gesellschaften umstülpen, radikal verändern, die haben wir 2015, als die 17 Entwicklungsziele, die Nachhaltigkeitsziele verabredet worden sind, noch gar nicht auf dem Bildschirm gehabt. Das heißt, der erste wichtige Punkt ist: Wir müssen uns dringend damit beschäftigen, wie Digitalisierung sich auswirkt auf die Entwicklungsziele. Das Ergebnis unserer Untersuchung und der Studie ist: Jedes einzelne Entwicklungsziel wird durch Digitalisierung massiv beeinflusst. Wir müssen lernen, Digitalisierung und Nachhaltigkeitsziele zusammenzubringen. Bisher funktioniert das noch nicht.
"Noch werden Technologien nicht in diese Richtung genutzt"
Kuhlmann: Industriestaaten, Entwicklungsländer und Schwellenländer – die Ausgangssituation auf der Welt, die ist ja höchst unterschiedlich. Findet das Niederschlag in Ihrem Papier?
Messner: Ja, selbstverständlich! Ich meine, es geht bei uns darum, dass wir jetzt eine sich beschleunigende Digitalisierung schnell mit Klimaschutz zusammenbekommen und mit nachhaltigem Wirtschaftswachstum. Weil was wir bei uns in unseren Ländern beobachten ist: Wir haben jetzt technologische Werkzeuge auf dem Tisch liegen. Die könnten uns helfen, Energieeffizienz voranzutreiben, Dekarbonisierung, Klimaschutz voranzutreiben. Aber noch werden diese Technologien nicht in diese Richtung genutzt. Da müssen wir die Verbindung schaffen durch Politik und Gestaltung.
In vielen Entwicklungsländern geht es darum, erst mal die technologischen Voraussetzungen zu schaffen, damit diese Länder diese Möglichkeiten nutzen können, und vor allen Dingen in Bildung zu investieren, damit Menschen die Chance haben, diese Technologien auch wahrzunehmen.
Messner: Beim Klimaschutz schneller vorankommen
Kuhlmann: Wie hat man sich das rein praktisch vorzustellen? Vielleicht können Sie mal ein oder zwei Beispiele nennen, wie die Digitalisierung ganz konkret einen Anstoß geben könnte.
Messner: Ich will Ihnen vielleicht zwei Bereiche nennen. Wir haben uns zunächst mal angeguckt: Können uns diese Technologien helfen, grüne Wirtschaft voranzubringen, nachhaltiges Wirtschaften? Klimaschutz, Emissionen müssen runter, Ressourcen-Effizienz muss gestärkt werden, Kreislaufwirtschaft muss vorangebracht werden. Unsere Beobachtung ist und unser Assessment zeigt uns, diese Technologien können uns helfen, das schneller zu schaffen, als ohne diese Technologien das möglich wäre. Aber zugleich beobachten wir, diese Technologien sind ja seit 20 Jahren in der Entwicklung und bisher haben sie nicht dazu beigetragen, nachhaltiges Wachstum zusammenzubringen und nach vorne zu bringen. Da brauchen wir also Politik.
Ein Beispiel wäre CO2-Preise, die dann der Technologie die Richtung zeigen, in der sie genutzt werden müssen. Andere Beispiele wären klare Vorgaben für Kreislaufwirtschaft, damit Technologie genutzt wird, um in dieser Richtung Erfolge zu erzielen, weil von alleine stellen sich diese Erfolge nicht ein.
Kuhlmann: Sie brauchen Politik, haben Sie gerade gesagt. Warum stellen Sie Ihr Papier am Sitz der Vereinten Nationen in New York vor?
Messner: Hier finden in diesen zwei Wochen große Verhandlungen statt, um die 17 Nachhaltigkeitsziele weltweit und in der gesamten Staatengemeinschaft zu besprechen und zu sehen, wo die Länder stehen, vier Jahre nach der Verabschiedung dieser Entwicklungsziele. Deswegen stellen wir das Papier hier in New York vor. Wir wollen den Diskurs bei den Vereinten Nationen und in den Mitgliedsstaaten in die Richtung beeinflussen, dass Digitalisierung und diese neuen Technologien ernst genommen werden als mögliche Treiber für nachhaltige Entwicklung, aber auch als Treiber für mögliche neue Herausforderungen für unsere Gesellschaften. Denn bisher ist die Nachhaltigkeitsfrage und die Digitalisierungsfrage noch nicht systematisch miteinander verknüpft. Das gilt auch für unsere eigene Forschungslandschaft hier in Deutschland und Europa. Die Nachhaltigkeitsforschung und die Digitalisierungsforschung haben bisher herzlich wenig miteinander zu tun. Das muss sich dringend ändern.
Kuhlmann: Welche Ziele halten Sie denn für die vordringlichsten? Was sollte zu allererst angepeilt werden?
Messner: Im Grunde genommen müssen die Entwicklungsziele gemeinsam angegangen werden. Wir können ohne Klimaschutz Armutsbekämpfung nicht voranbringen. Wir können aber auch ohne Bekämpfung von Armut und die Bekämpfung von weltweiter Ungleichheit die Menschen nicht dafür motivieren, im Klimaschutz voranzugehen. Armutsbekämpfung, Ungleichheitsbekämpfung und Klimaschutz sind zwei Seiten einer Medaille und wir müssen an beiden Seiten hart arbeiten. Und dann müssen wir darüber hinaus durch Bildung und Forschung die neuen Technologien mit ins Spiel bringen, um sie so zu nutzen, dass die Probleme, die wir identifiziert haben, endlich gelöst werden können.
"Gespür entstanden, dass Umbruch sehr weitreichend ist"
Kuhlmann: Sehen Sie Chancen, die internationale Politik mit in dieses Boot zu holen?
Messner: Ich sehe große Chancen, weil mittlerweile ein Gespür dafür entstanden ist, dass dieser technologische Umbruch sehr weitreichend ist. Künstliche Intelligenz wird Arbeitsmärkte verändern, Demokratie verändern, unser Denken verändern, die internationale Arbeitsteilung verändern. Wir haben das vor drei, vier Jahren, als die großen Entwicklungsziele aufgestellt worden sind, noch nicht berücksichtigt. Mittlerweile gibt es aber die Erkenntnis, dass wir uns hier stärker beschäftigen müssen mit diesen Fragen, und ich glaube, dass wir deswegen auf viele offene Ohren stoßen werden hier in New York.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.