Letzten Sonntag, Merkel im Ersten. Gerd Müller ist gerade im Ausland – Tunesien, letzte Station seiner Maghreb-Tour. Gut, dass dieser Abend der einzige seiner Reise ist, der nicht mit Terminen zugepflastert ist. Da bietet sich dem CSU-Mann die Gelegenheit, im Hotel den Auftritt seiner Kanzlerin zu verfolgen, die ihren Kurs auf keinen Fall ändern möchte.
"Nein, weil ich zutiefst überzeugt bin, dass der Weg, den ich eingeschlagen habe, der richtige ist."
"Sie wissen, dass ich am Sonntag nicht Fernsehen sehe!"
Keine Zäune um Europa bauen
Müllers Parteichef zeigt demonstratives Desinteresse. Viel Neues habe ich eh nicht erwartet, meint Horst Seehofer am Morgen danach. Dass der CSU-Vorsitzende von Anne Will nur beiläufig erwähnt wird, hätte ihn vermutlich zusätzlich auf die Palme gebracht.
"Edmund Stoiber macht Ihnen ja den Vorwurf…"
Auch Gerd Müller versteht nicht, warum nicht intensiver nach bayerischen Bedenken in der Flüchtlingsfrage gefragt wird. Dass renommierte Juristen wie Ex-Verfassungsrichter Udo di Fabio die Flüchtlingspolitik der Kanzlerin in Zweifel ziehen, bestärkt auch Müller in seiner Haltung gegenüber Merkel.
"Der bayerische Ministerpräsident, da gibt es volle Übereinstimmung, hat die Probleme in Bayern zu bewältigen. Und wir sind uns alle einig, in der Bundesregierung und in Bayern, dass die Flüchtlingszahlen drastisch reduziert werden müssen."
Der Entwicklungsminister stellt gerne das Einende in den Vordergrund, Seehofer legt seiner Ansicht nach den Finger in die richtige Wunde. Allerdings: zum Naturell des Mannes mit dem berühmten Fußballer-Namen passt der Ton des bayerischen Löwen überhaupt nicht. Als Seehofer eine Obergrenze von 200.000 Flüchtlingen fordert, kontert Müller per Zeitungsinterview: "Wir können keine Zäune um Deutschland und Europa bauen!"
"Wir brauchen schon wieder Regeln, wir brauchen wieder Recht!"
Seehofer der Mann fürs Grobe, Müller das gute Gewissen
Das mag auch Müller unterschreiben, Seehofers Satz aber von der "Herrschaft des Unrechts" wäre ihm niemals über die Lippen gekommen. Ein besonders enges Verhältnis zum Parteichef hat Müller nicht, aber irgendwie funktioniert die Arbeitsteilung. Seehofer der Mann fürs Grobe, Müller das gute Gewissen der CSU. Während der eine markig Grenzkontrollen fordert, will der andere die Welt besser machen und als Entwicklungsminister dafür sorgen, dass sich die Menschen erst gar nicht auf den Weg nach Europa machen – Fluchtursachenbekämpfung, wie es so schön heißt.
"Jetzt gehören Sie ja zu den unbekanntesten Ministern im Kabinett Merkel. Es kennt sie ja niemand… ist das von Vorteil?"
Persönliches Geltungsbedürfnis kann man ihm - anders als seinem Vorgänger Dirk Niebel von der FDP - wirklich nicht vorhalten.
"Zu links! CSU droht Gerd Müller mit Parteiausschluss!"
Für die Sache, für seine Kernbotschaft "Eine Welt ohne Hunger ist möglich!" lässt er sich auch mal in einer satirischen Talksendung auf den Arm nehmen…
"Sie wissen ja, ich war ja Staatssekretär bei Horst Seehofer, der hat mich eigentlich entdeckt, und ich fahre genau in seiner Linie, wir haben da einen breiten Konsens!" – "Sind sie auch so unberechenbar, oder was?"
Müllers Ziel: Arbeitsplätze und Perspektiven schaffen
Im Gegenteil: Gerd Müller ist berechenbar. In der Altstadt von Tunis legt er selbst Hand an, greift zur Maurerkelle, um ein Stückchen Fassade zu verputzen. Neben ihm steht Isabel Knauf, Chefin eines Familienunternehmens, dass in Krisenländern Gips und Mörtel produziert, Arbeitsplätze in der Region schaffen, den Menschen eine Perspektive geben, dafür kämpft Müller.
"Ich würde Sie natürlich auch gerne gewinnen als Kooperationspartner in und um Syrien." – "Wir hatten bereits vor dem Krieg ein Schulungszentrum in Damaskus. Insofern: Gerne!" – "Perfekt!"
Während Seehofer sich in Moskau als Nebenaußenminister versucht, nutzt der Entwicklungsminister die Bühne, die ihm qua Amt durchaus zusteht - wenngleich er sich dabei voller Enthusiasmus auch gerne mal im sprichwörtlichen Sinne zum Horst macht, wie bei im letzten Jahr beim "Earth day" in Washington:
"We all living in one world. I just arrived from Germany and I love you!”
Daheim im Allgäu gibt sich der 60-Jährige bodenständig. Er kennt die Stimmung im Wahlkreis und hält manchen Kollegen in Berlin vor, überhaupt keine Ahnung mehr zu haben, wie sehr die Zuwanderung von vielen Bürgern als Belastung oder gar Bedrohung empfunden wird.
"Uns würde die Teamarbeit auch gut tun!"
Nah dran an der Basis und den Bürgern
Wie Seehofer nimmt auch Gerd Müller für sich in Anspruch, zu wissen, was an der Basis vor sich geht. In der CSU scheinen die meisten Volksversteher zu sein. Ins Mikrofon allerdings spricht Müller so, als stünde er noch voll hinter Merkel und ihrem Bemühen um ein solidarisches Europa.
"Mehr denn je sind europäische Lösungen gefragt. Kommen die nicht, natürlich muss dann national reagiert werden!" – "National, das heißt Grenzkontrollen" – "Jetzt stehen die europäischen Lösung im Fokus!" – "Vielen Dank, wir müssen los!"
Sagt die Pressesprecherin und erspart Müller eine Positionierung zu Forderungen seines Parteivorsitzenden. Die Termine vor Ort in aller Herren Länder, Wände verputzen in Tunis etwa, die sind ihm wichtig.
"Das macht Spaß, man sieht wenigstens was man geleistet hat im Unterschied zur Politik. Du arbeitest 16 Stunden, siehst den Erfolg nicht und kriegst nur Kritik!"