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Entwicklungspsychologie
Zunge raus, Zunge rein - imitieren Babys oder nicht?

Neugeborene sind keine passiven Wesen, sie beobachten ihre Umgebung genau und reagieren intelligent. Das konnte inzwischen vielfach bestätigt werden. Aber imitieren sie auch Erwachsene, wie ein berühmtes Experiment in den Siebzigern nahelegte? Kürzlich wurde die bislang größte Studie zu diesem Thema veröffentlicht - so ganz klar ist alles offenbar immer noch nicht.

Von Volkart Wildermuth |
    Ein neugeborenes Baby streckt die Zunge raus.
    Ein neugeborenes Baby streckt die Zunge raus. (imago/MiS)
    Ein vergnügtes Baby. Jede Mutter und jeder Vater kann bestätigen: Schon mit Neugeborenen kann man kommunizieren. Sie registrieren und reagieren. Aber imitieren sie auch? Ob Neugeborene tatsächlich Gesichtsausdrücke, Gesten oder Laute gezielt wiederholen, ist keine Nebensächlichkeit, so Dr. Janine Oostenbroek von der University von York in England.
    "Imitation ist ein Verhalten, das uns Menschen von anderen Arten unterscheidet. Imitation könnte auch wichtig sein für die Empathie, das Verständnis für andere und die Kooperationsbereitschaft. Deshalb ist es wichtig, die Wurzeln der Imitationsfähigkeit zu verstehen."
    Seit den Siebzigern galt es bei den Psychologen als ausgemacht, dass Babys von Geburt an imitieren, dass sie ihre eigene Zunge rausstrecken, wenn sie die Zunge ihrer Eltern oder eben von Forschern sehen. Das zeigen berühmte Studien, die allerdings nur wenige Babys untersucht hatten und nur wenige Gesten, vor allem eben das Zunge zeigen. Janine Oostenbroek hat diese Versuche jetzt auf breiter Basis wiederholt. Mit mehr als 100 Neugeborenen, die mehrfach im Abstand von einigen Wochen zu Hause getestet wurden. Die Kinder saßen auf dem Schoß der Forscherin. Janine Oostenbroek streckte ihnen nicht nur die Zunge heraus, sondern machte auch den Mund weit auf, zeigte mit dem Finger oder sagte "aaa" oder "eee". Viele Neugeborene sahen interessiert zu, einige schliefen auch einfach ein oder fingen an zu schreien. Die Reaktionen der Babys wurden jeweils auf Video aufgezeichnet und von Studenten bewerten, die nicht wussten, was die Forscherin direkt vorher gemacht hatte.
    "Wir haben keine Hinweise darauf gefunden, dass Neugeborene Gesten, Gesichtsausdrücke oder Laute imitieren, zu keinem der vier Zeitpunkte. Sie strecken durchaus die Zunge heraus, aber nicht nur, wenn ich meine Zunge herausgestreckt hatte, sondern auch, wenn ich vorher zum Beispiel mit dem Finger gezeigt hatte."
    Reaktionen anderer Forscher geteilt
    Vielleicht strecken die Babys die Zunge einfach heraus, wenn sie aufgeregt sind. Mit echter Imitation hätte das nichts zu tun. Weil frühere Studien zu wenig Kontrollen hatten, konnten solche Störeffekte das Ergebnis verzerren, vermutet Janine Oostenbroek. Das will Prof. Andrew Meltzhoff vom Institut für Lernen und Hirnforschung in Seattle nicht auf sich sitzen lassen. Er war an einer der ersten Studien zu diesem Thema beteiligt. Das Foto, auf dem er und ein Baby die Zunge herausstreckten, ging damals durch die Presse. Ein Interview wollte er nicht geben, aber in einer E-Mail listet er sieben methodische Kritikpunkte an der Arbeit von Jannie Oostenbroek auf. So sind Neugeborene noch gar nicht in der Lage, einen "eee" Laut zu produzieren, können ihn also auch nicht imitieren. Sein Fazit lautet: "Ich erwarte, dass diese Arbeit von künftiger Forschung wiederlegt wird, weil sie die Babys unterschätzt."
    Unter deutschen Entwicklungspsychologen sind die Reaktionen geteilt. Manche Forscher geben Meltzhoff in seiner Kritik recht. Andere, wie Prof. Markus Paulus von der Universität München, sehen zwar ein paar Probleme, halten die grundsätzliche Schlussfolgerung aber für berechtigt. "Also man kann von diesen vielen Verhaltensweisen, die dargeboten wurden, ein paar herausnehmen und das diese nicht imitiert wurden, ist nicht verwunderlich, allerdings andere Verhaltensweisen müssten eigentlich schon imitiert werden und die wurden nicht imitiert. Von daher würde ich sagen, die Kritik hat 'nen Punkt, aber sie ist nicht vollständig überzeugend."
    Vor allem imitieren die Eltern ihre Babys
    Zumal es schon kleinere Studien gab, die ebenfalls keine Imitation direkt nach der Geburt belegen konnten. "Manche Modelle sagen, auch die Fähigkeit, dass wir sozial lernen können, also die Fähigkeit zum Imitieren zum Beispiel, ist selbst wiederum sozial erlernt. Sie fußt sozusagen oder ergibt sich aus den frühesten Interaktionen, die Kinder mit ihren Bezugspersonen haben."
    Denn es sind vor allem die Eltern, die ihre Babys imitieren und ihnen so dieses soziale Spiel vormachen. Erst mit sechs bis acht Montanen beteiligen sich die Kleinkinder dann auch ihrerseits und machen die Erwachsenen nach. Das zeigen weitere Beobachtungen von Janine Oostenbroek, die ihre Studienkinder inzwischen bis zum vierten Lebensjahr begleitet hat. "Wir bezweifeln nicht, dass Eltern und Babys über das Imitieren eine engere Bindung aufbauen. Aber das entwickelt sich eben erst nach und nach."